Cirk La Putyka: Glücklich mit Gummipuppe
Poesie aus Prag: Der etwas andere Zirkus La Putyka gastiert mit „Roots“ im Chamäleon.
Artistische Höchstleistungen haben, so beeindruckend sie auch sein mögen, oft etwas Abstraktes an sich. Wir Normalsterblichen können meist nicht wirklich beurteilen, ob das Dargebotene „nur“ gut oder superaußergewöhnlich und einzigartig ist. Von daher ist es eine weise Entscheidung, dass die Akteure des tschechischen Cirk La Putyka, die mit ihrem Stück „Roots“ für die kommenden Monate im Chamäleon gastieren, keine Anstalten machen, in Konkurrenz zu den auf reines Körperspektakel gedrillten Menschmaschinen ostasiatischer Staatszirkusse zu treten. Bei dem von Rotislav Novák, dem Sprössling einer alten Puppenspielerdynastie aus Prag, entworfenen und von acht wunderbaren Darstellern, fünf Männern und drei Frauen, auf die Bühne gebrachten Programm geht es eben nicht vordergründig um Leistung, sondern um Gefühle, um Humor, um kleine Geschichten.
Da ist zum Beispiel die schwedische Kontorsionistin Lisa Matilda Angberg: Natürlich kann sie, wie jede ernst zu nehmende Vertreterin ihrer Zunft, ihre Gliedmaßen verbiegen und verknoten. Doch sie erspart einem das an Unwohlsein grenzende Erstaunen, das einem beim Anblick extremer Schlangenmenschen beschleicht. Stattdessen gibt sie eine leicht derangierte Schönheit von gummipuppenartiger Elastizität, deren Partner sich ob dieser Eigenschaften augenzwinkernd als glücklichster Gatte der Welt wähnt – bis ein amouröser Widersacher auftaucht, der die biegsame Dame zum lasziven Tanzduett von trunkener Eleganz entführt.
Schlafwandlerische Leichtigkeit und Spielplatztoberei
Viele der immer wieder durch kleine Puppenspielszenen aufgelockerten Nummern spielen mit dieser schlafwandlerischen Leichtigkeit, sei es eine an jugendliche Halfpipe-Rituale erinnernde Trampolin-Choreografie, das mit dem Energielevel einer Spielplatztoberei dargebotene Schleuderbrett-Gewirbel oder die Barrenkür von Michal Boltnar. Der lässt die anfängliche Scheu vor diesem Folterinstrument schulischer Sporterziehung durchblicken und hebt dann doch in die Schwerelosigkeit ab – was gar nicht so makellos sein muss wie die gleichzeitig als Videoprojektion gezeigten Aufnahmen von olympischen Turnwettbewerben.
Ein emotionaler und artistischer Höhepunkt ist das Trapezduo von Mira Leonard und Esmeralda Nikolajeff, die seit Kindertagen gemeinsam im Zirkusmilieu leben und arbeiten. Diese kreatürliche Vertrautheit glaubt man zu spüren, als Mira die sich tot stellende Esmeralda, ein paar Meter über dem Saalboden hängend, mit allen zur Verfügung stehenden Körperteilen dreht, wälzt und wendet, immer wieder ein Stück fallen lässt und rechtzeitig auffängt – bis die Erschlaffte endlich ins Leben zurückkehrt.
Steampunk-Ästhetik und Glitzerdisco
Lobend zu erwähnen wären unbedingt noch die fantasievollen Kostüme zwischen viktorianischem Theaterfundus, Steampunk-Ästhetik und Glitzerdisco; die das Bühnengeschehen mal kommentierenden, mal sanft konterkarierenden Videos (Jakub Jelen) und die mit zirzensischen Balkanfolk-Klischees spielende, aber auch Minimal Music und Techno souverän einbeziehende Musik von Jan Balcar.
Man kann sogar den im Programmheft behaupteten Überbau, dass nämlich „Roots“ als zweiter Teil einer Trilogie von der „Familie des 21. Jahrhunderts“ erzähle, getrost ignorieren und wird am Ende von zwei wie im Flug vergehenden Stunden doch seinen Glauben an die poetische und künstlerische Kraft des Cirque Nouveau erneuert haben.
Chamäleon-Theater, bis 28.8., Di–Fr 20 Uhr, Sa 18 und 21.30 Uhr, So 18 Uhr
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