Die Reformation in Brandenburg: Glaube, Kriege, Hoffnung
Gedenk-Overkill: Zum Reformationsjubiläum gibt es 70 Ausstellungen. Eine der besten zeigt jetzt, wie Luthers Ideen Brandenburg erreichten.
Ob Martin Luther am 31. Oktober 1517 tatsächlich eigenhändig seine 95 Thesen ans Tor der Schlosskirche in Wittenberg genagelt hat, ist umstritten. Klar ist, dass er mit seiner Kritik am Papst und dessen Ablasshandel die Welt ins Wanken brachte. Entsprechend aufwändig hat die Evangelische Kirche das 500-jährige Jubiläum des Befreiungsaktes gefeiert. Zwischen Altenburg und Telgte, Rendsburg und Meißen waren und sind fast siebzig Ausstellungen über Luther und die Reformation zu sehen. Ein Gedenk-Overkill.
Die Bilanz des Luther-Kraftaktes: eher bescheiden. So kamen zur „Weltausstellung Reformation“, die am 10. September zu Ende ging, nur 294 000 Besucher nach Wittenberg. Gerechnet hatten die Veranstalter mit 500 000. Aufgebessert wurden die Zahlen durch ein 360-Grad-Panorama des Künstlers Yadegar Asisi, in dem sich 300000 Gäste in die Zeit des Reformators zurückversetzen ließen. Margot Käßmann, Reformationsbotschafterin der Evangelischen Kirche, nannte die Weltausstellung ein „insgesamt gelungenes Experiment“, bei dem es aber auch „kritische Punkte“ gegeben habe.
Auf der Wartburg bei Eisenach, dem zweiten Schauplatz der nationalen Reformations-Ausstellungen, wo Luther das Neue Testament ins Deutsche übertrug, haben bislang knapp 240 000 Menschen die Schau „Luther und die Deutschen“ besucht, die noch bis zum 5. November zu sehen ist. Eine Sprecherin zeigte sich damit „sehr, sehr zufrieden“. Und in Berlin wurden im Deutschen Historischen Museum in der dritten nationalen Reformations-Ausstellung „Der Luthereffekt“, die ebenfalls bis zum 5. November läuft, 50 000 Besucher gezählt. „Wir sind mit der Resonanz weitgehend zufrieden“, versichert ein Sprecher. Möglicherweise haben Kirche und Kuratoren Luthers Zugkraft überschätzt. Ein Mann, der an Zauberer und Hexen glaubte und verbal gegen Juden und Bauern wütete, taugt kaum als Idol für unsere Gegenwart.
Ein abgedunkelter Raum, tapeziert mit Papierfahnen, auf denen immer wieder ein Wort in verschiedenen Schreibweisen zu lesen ist: Freihaitt, Freyheyt, Freiheit. So beginnt die Ausstellung „Reformation und Freiheit“ im Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte in Potsdam. Es ist eine der letzten Ausstellungen des Reformationsjahres – und eine der gelungensten. Weil ihre Thesen originell sind, und weil sie keine Materialschlacht entfacht, sondern sich auf hundert Exponate beschränkt.
Freiheit als religiöser Begriff
So liegt im Entrée bloß ein einziges Schaustück in einer Vitrine: eine Erstausgabe des Traktats „Von der Freiheit eines Christenmenschen“ aus dem Jahr 1520, bis heute neben den 95 Thesen Luthers bekannteste und wirkmächtigste Schrift. Ein Christenmensch, schreibt der Reformator, sei „eyn freyer herr über alle ding und niemand unterthan“. Doch gleichzeitig – darin zeigt sich die ganze Dialektik von Luthers Glaubenslehre – ist der Christenmensch auch „eyn dienstpar knecht aller ding und yderman unterthan“.
Für den Wittenberger Theologen war Freiheit ein religiöser Begriff. Der Gläubige braucht keine sakrale Hierarchie, kein Priestertum. Aber der weltlichen Ordnung hat er sich zu fügen. Er ist gleichzeitig Herr und Knecht. In Brandenburg wurde die Reformation von Kurfürst Joachim II. und seinem Bruder Johann eingeführt, der als Markgraf über die Neumark und die Niederlausitz herrschte. 1539 ist das erste evangelische Abendmahl gefeiert, 1540 eine evangelische Kirchenordnung eingeführt worden. Die Reformation war auch eine Geschichte materieller Umverteilung, was die von Ruth Slenczka kuratierte Ausstellung mit einer Nachbildung der Glocke von Wilsnack illustriert.
Das Dorf in der Prignitz war zum florierenden Wallfahrtsort aufgestiegen, nachdem sich 1383 in der dortigen Kirche drei blutende Hostien gezeigt hatten. Doch Kurfürst Joachim II. beendete den frommen Reiseverkehr, als er die Glocke 1562 nach Berlin schaffen ließ, wo sie bis ins 20. Jahrhundert zum Geläut des Doms gehören sollte. Daneben ließ er auch alle Kleinodien und alles Silber aus der „Wunderblutkirche“ in seine Residenz schaffen. Joachim bereicherte sich am Besitz des Bischofs von Havelsberg – und bekämpfte gleichzeitig den Aberglauben.
Luther lehnte Rebellionen ab
Der Streit um den richtigen Glauben führte bald zum Krieg. Auf dem Turnier-Harnisch des Markgrafen Johann von Brandenburg ist die Inschrift „SOLUS SPE MEA CHRISTUS“ eingraviert, „Christus meine einzige Hoffnung“. Der Sinnspruch spielt auf Luthers Auffassung an, dass Christus allein den Menschen erlösen könne. Johann, der in Küstrin residierte, gilt als einer der vehementesten Verfechter des Protestantismus. Ein Gemälde von Lukas Cranach d. J. zeigt ihn als Kreuzritter mit beeindruckendem Backenbart vor dem gekreuzigten Jesus. Der Markgraf zog immer wieder für Luthers Sache ins Feld, weigerte sich aber, gegen den Kaiser zu kämpfen. Im Schmalkaldischen Krieg verschlug es ihn, nachdem Protestanten seinen Schwiegervater gefangengenommen hatten, auf die katholische Seite.
Luther wollte die Menschen befreien, lehnte aber jede Rebellion ab. Das war in den Bauernkriegen so, das war beim samländischen Aufstand nicht anders, bei dem 1525 bis zu 4000 Bauern bei Königsberg Schlösser plünderten und Adlige festnahmen. Der Umsturz endete mit ihrer Niederlage und der Hinrichtung der Anführer. Luther warf den Bauern in seiner Schrift „Ermanunge zum fride“ vor, die Botschaft des Evangeliums dafür zu missbrauchen, ihr Recht in die eigenen Hände zu nehmen. Es gibt nur einen Erlöser: Jesus. Auf einem Epitaph aus der Berliner Nikolaikirche, das der Bürgermeister Simon Mehlmann 1562 in Auftrag gab, klettert der Gottessohn in die Hölle hinab, um Adam und Eva aus einem Monsterschlund zu befreien. Seine Fahne trägt Christus wie einen Speer.
Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte, Potsdam, bis 21. Januar. Di–Do 10–17, Fr–So 10–18 Uhr. Katalog (Michael Imhof Verlag) 29,95 €.