Ausstellung über das Ende der Belle Époque: Glanz und Untergang
Mit einer großartigen Ausstellung beleuchtet das Berliner Bröhan-Museum das Ende der Belle Époque und zeigt die Kunst als das, was sie war: Avantgarde.
Das Mahagoni poliert, die Griffe versilbert, die blütenförmigen Intarsien aus Elfenbein und Palisander. In seinem Möbel-Ensemble für die Weltausstellung 1904 in St. Louis verwendete der schwedische Architekt und Gestalter Alfred Grenander nur das feinste Material. Ein Empfangs- und ein Wohnzimmer sollten das Publikum auf den modernen Wohnstil einstimmen. Lange waren die Möbel von der Bildoberfläche verschwunden. Nun zählen Tisch, Couch und Chiffonière zu den kleinen Sensationen, die das Bröhan-Museum in seiner Ausstellung „1914. Das Ende der Belle Époque“ souverän beiläufig präsentiert.
Tobias Hoffmann, seit Februar 2013 neuer Direktor des Berliner Landesmuseums für Jugendstil, Art Déco und Funktionalismus, hat nicht nur die bestehende Sammlung neu geordnet. Er hat fast vierzig neue Objekte für seine zweite große Ausstellung nach der Secessions-Schau im vergangenen Jahr hinzugewonnen und damit die Kollektion der Institution erweitert. Das Möbel-Ensemble von Alfred Grenander gelangte mit Hilfe der Ernst-von-Siemens-Kunststiftung als Dauerleihgabe an das Charlottenburger Haus.
Zerrissen zwischen Technik und Handarbeit
Nun fügen sich Neuerwerbungen, Bestände und Leihgaben zu einer organischen Erzählung, die mit der fließenden Eleganz der Exponate korrespondiert. Sie spannt ihren Bogen von der Pariser Weltausstellung im Jahr 1900 bis zur Kölner Werkbund-Schau 1914. Überraschend deutlich lässt die Gestaltung der Alltagsgegenstände die Widersprüche dieser vierzehn Jahre hervortreten, die Zerrissenheit zwischen dem neuen Takt der Technik und dem vertrauten Rhythmus der Handarbeit. Hundert Jahre später können Besucher aus der Erfahrung des digitalen Umbruchs nachvollziehen, welche Anpassungsleistung Industrialisierung und Elektrifizierung erforderten.
Die Metropolen gaben das Tempo vor. Alfred Grenander entwarf nicht nur Möbel, sondern auch siebzig Berliner Hoch- und Untergrundbahnhöfe mit den hölzernen Bänken, die bis heute dort stehen. In einem Gemälde von Franz Skarbina erleuchten elektrische Lampen das Café Bauer im nächtlichen Trubel Unter den Linden. Mit dem Licht konnte das Café 24 Stunden geöffnet bleiben. Ein Türsteher sortierte das Publikum.
Beweglichkeit gegen Behäbigkeit
Auf der Pariser Weltausstellung war das Deutsche Reich im Jahr 1900 noch spießig im neugotischen Schlösschen aufgetreten. Die „Art Nouveau“ wurde nur von dem privaten Galeristen Siegfried Bing auf eigene Kosten in der fiktiven Villa einer reichen Dame vorgestellt. Das Speisezimmer gestaltete Eugène Gaillard. Mit den geschwungenen Linien und vegetabilen Formen setzte er sich über die Starrheit des Historismus hinweg. Bei der nächsten Weltausstellung vier Jahre später wollte man diese Scharte wettmachen. So kam Alfred Grenander zum Zuge und eine neue Zeit zog ein.
Beweglichkeit gegen Behäbigkeit – die Ausstellung vermittelt die Antagonismen der Vorkriegsjahre als gegenläufige Geschwindigkeiten. Die Frauen setzen sich auf’s Fahrrad. Gut vorbereitet, wie die Werbung für „Fahrunterricht nach hygienischen Grundsätzen“ beweist. Der männliche Aufschrei erfolgt in Versform: „Denn als sie das Rad bestieg, zog sie an die Hose. Wir verlieren mehr und mehr uns’re Herrscherpose.“
Die sportliche Kleidung führt zu einer expressiven Körpersprache. Der Tanz experimentiert mit der plötzlich gewonnenen Freiheit. Mit schöner Selbstverständlichkeit fügt sich die Malerei von Dora Hitz oder Ida Gebhardi in das Bild. Das Rauchen wird zum Kult, für die Männer nicht anders als für die Frauen. Schon formt sich die Gegenbewegung mit skurrilen Auswüchsen. In neu gegründeten Gartenstädten verweigern sich die Bewohner den „Kulturlastern“ Alkohol und Nikotin, sie leben vegetarisch. Viele der Ansätze des 20. Jahrhunderts sind in diesen Jahren schon zu erkennen. Während die Politik den Nationalismus schürt, verbreitet sich die angewandte Kunst über die Ländergrenzen hinweg.
Befreit aus der Umklammerung der Nostalgie
Mit der industriellen Produktion wächst die Hoffnung, gutes Design zu demokratisieren. Im Bröhan-Museum sind die Maschinenmöbel zu sehen, die Richard Riemerschmid für die Dresdner Werkstätten entwarf. Die schlichten Schränke machen aus ihrer seriellen Fertigung überhaupt kein Geheimnis. Zu den Glanzlichtern der Ausstellung zählen auch die Bugholzmöbel des Wiener Gestalters Josef Hoffmann: sein verstellbarer Lehnstuhl, Sitzmaschine genannt, oder seine kühne Kinderwiege, ebenfalls ein Neuzugang in der Sammlung. Im Deutschen Werkbund fusionierten Künstler und Industrie. Doch die Kölner Ausstellung musste im Jahr 1914 wegen des Beginns des Ersten Weltkrieges vorzeitig schließen.
Jetzt bestimmt die Politik das Design, ablesbar an den Zigarettenschachteln. Weltläufige Markenbezeichnungen müssen deutschen Namen weichen. Dandy wird zu Dalli, La Fleur heißt nun Gudrun. Der Nationalismus wird greifbar. Das Bröhan-Museum aber befreit seine Bestände aus der Umklammerung der Nostalgie. Vom abrupten Ende des Aufbruchs her betrachtet strahlen die Entwürfe als das, was sie waren – als Avantgarde.
Bröhan-Museum, Schlossstr. 1 a, bis 31. August; Dienstag bis Sonntag 10–18 Uhr. Am 19. Juni um 19 Uhr gibt es die Buchpräsentation des Buches „Krieg und Zusammenbruch. 1914 / 18 aus den Feldpostbriefen von Harry Graf Kessler“
Simone Reber
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