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Secessions-Schau im Bröhan-Museum: Hier die Schlote, dort die Seen

Das Bröhan-Museum würdigt die Maler der Berliner Secession, die Kaiser Wilhelm „Rinnsteinkünstler“ nannte.

Zusammengesackt hängen die Betrunkenen auf den Parkbänken. Trübe Gaslaternen beleuchten die Grünanlage. Über den Häusern steht der Mond. In Hans Baluscheks Bild „Die Obdachlosen“ (1919) warten die Männer auf nichts mehr – eine auch aktuell vertraute Szenerie.

Die Ausstellung „Grunewald und Großstadtluft. Meisterwerke der Berliner Secession“ bewegt sich zwischen den städtischen Extremen: der Härte des Zentrums und den Seen und Wäldern des Umlands. Tobias Hoffmann, der neue Direktor des Charlottenburger Hauses, hat die Sammlung mit frischem Blick neu sortiert. Der Kunsthistoriker, der zuvor das Museum für konkrete Kunst und Design in Ingolstadt leitete, will dem Landesmuseum ein schärferes Profil verpassen. Neu sind nicht nur die grauen Wände, neu ist auch die rauere Perspektive auf die Verlorenen und Verdammten des Molochs Stadt.

Hans Baluscheks „Obdachlose“ sind nun erstmals seit Bestehen des Museums zu sehen. Dem Maler ist ein ganzer Raum gewidmet – mit anteilnehmender Nüchternheit zeigt er die Verlierer des Gründerzeitbooms: die Prostituierten, die Arbeiterkinder hinter den Mietskasernen, die Toten neben den Gleisen im Schnee. Die Werke in den Schattenfarben Grau und Blau gehören zu den Höhepunkten der Sammlung, die Karl H. Bröhan 1981 dem Land Berlin schenkte.

Als Gegenpol zu Baluschek tritt Karl Hagemeister auf, der stille Star des Museums. Der Sohn von Obstbauern, in Werder geboren, lebte als Jäger und Fischer – und malte in freier Natur. Seine mit dem Handballen aufgetragenen Farben ahmen die Oberfläche von Rinde, Stein oder Sand nach. In den scharfen, gesplitterten Linien der Pflanzen aber scheint sich auch die Großstadtwelt zu spiegeln.

Hagemeister, Jahrgang 1848, zog sich zwar aufs Land zurück, gehörte aber zu den Gründungsmitgliedern der Berliner Secession. Erst hatte eine Ausstellung von Edvard Munch die Künstlerszene gespalten. Dann wies die Jury der Großen Berliner Kunstausstellung 1898 ein Grunewaldbild von Walter Leistikow zurück. Da war der Eklat perfekt. Die Secession wollte sich unabhängig machen von Anton von Werner, dem konservativen Akademiedirektor – und von den Kommentaren des Kaisers. Wilhelm II. forderte Heldenverehrung, Alltagsmotive erklärte er zur „Rinnsteinkunst“.

Am besten lassen sich in den Porträts die Gärungsprozesse der Zeit erkennen. Von Munch angeregt, suchen die Künstler nach einem neuen Ausdruck für die Seelenzustände der Menschen. So umgibt Willy Jaeckel die Gestalt des Schriftstellers Georg Walter Sommer mit einer rosa glimmenden Aura. Bruno Krauskopf malt sich selbst 1915 als Soldaten, bebend und aufgelöst. Die Frauen dagegen starten selbstbewusst ins 20. Jahrhundert. In der Gruppenschau aber vermisst man ihr Temperament – die Leichtigkeit einer Julie Wolfthorn etwa oder das forschende Interesse einer Sabine Lepsius.

Dafür bindet der Kurator Tobias Hoffmann den Gestalter Henry van de Velde mit einer Möbelgruppe ein, deren organische Linien auf Hagemeisters Naturbeobachtungen antworten. Daneben zeugt van de Veldes silberner Leuchter für den Kunstmäzen Harry Graf Kessler vom großbürgerlichen Berlin. Vom Schwung des Jugendstils bis zu Baluscheks Außenseitern – auf engem Raum klaffen hier die Abgründe der Zeit. Simone Reber

Bröhan-Museum, bis 17. November,

Di–So 10–18 Uhr

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