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Die Bamberger Symphoniker
© Michael Trippel

Bamberger Symphoniker beim Musikfest Berlin: Gier auf Neues

Labororchester und positiv musikantisch: Ein Porträt der Bamberger Symphoniker und ihres Dirigenten Jonathan Nott, die im September zum Musikfest Berlin kommen.

Ein ganzer Saal voller junger Leute. Angehende Psychologen, Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler füllen die 1400 Plätze des Joseph-Keilberth-Saals, sicher sind auch einige Pädagogen, Philosophen und Informatiker darunter. 70 000 Einwohner hat Bamberg, 13 000 Studierende sind an der städtischen Otto-Friedrich-Universität eingeschrieben. Und sie kommen tatsächlich, wenn die Bamberger Symphoniker zum Studentenkonzert laden.

Extrem aufmerksam lauschen sie der Werkeinführung zu Bruckners Siebter, die Jonathan Nott auf der Bühne gibt. Der 52-jährige britische Chefdirigent spricht frei, singt Melodien vor, legt seine ganz private Vision des Werks dar. Sehr detailreich und fachspezifisch ist das, und wie viele seiner Zuhörer ihm wirklich in die Verästelungen der Interpretation folgen können, bleibt fraglich. Aber sie lassen sich ein auf die komplexe, mehr als einstündige Sinfonie. Kein Handy klingelt während der Aufführung, zwischen den Sätzen herrscht gespannte Stille. Und auch noch eine Stunde nach dem Konzert diskutieren Grüppchen auf dem Vorplatz vor dem Konzertsaal.

Tags darauf sitzt Jonathan Nott in seinem charmant chaotischen Büro und schwärmt vom Bamberger Kulturleben. „Musik und Leben sind hier sehr eng verbunden. Wir spielen nicht für die Elite einer Metropole, sondern für alle, auch für die Menschen vom Land.“ Die durchschnittliche Auslastung der Konzerte liegt bei 95 Prozent, die Besucher kommen ebenso zu Fuß zum Kulturzentrum auf der Regnitz-Insel wie die Musiker. Die Entfernungen sind kurz, der Kontakt eng zwischen den Instrumentalisten und ihrem Publikum. Als im Jahr 1993 das neue Stammhaus des Orchesters eröffnet wurde, verdoppelte sich die Abonnentenzahl auf 6000. Obwohl der Entwurf von denselben Architekten stammt, die den Münchner Gasteig vergeigt haben, ist die Bamberger Akustik gelungen. Bei Bruckners Siebter ist das Klangbild erstaunlich transparent, im Tutti sind alle Instrumentengruppen stets klar unterscheidbar.

Mit seinen in Weiß- und Gelbtönen gestrichenen Wänden wirkt der weite, ranglose Saal nicht gerade festlich. Hier herrscht Arbeitsatmosphäre, alles signalisiert Offenheit. Und tatsächlich findet hier nachhaltige Hörerziehung statt. Weil hier immer wieder dieselben Stammgäste sitzen. „Die Leute sind gierig nach Neuem“, sagt Jonathan Nott. „Und sie vertrauen uns, wissen, dass alles ernst und gut gespielt wird."

Sein Intendant Markus Rudolf Axt, der zuvor Leiter der Konzertplanung bei den Berliner Philharmonikern war, nennt die Bamberger ein „Labororchester“: Anders als in London oder Wien stehen die Musiker hier nicht ständig unter weltweiter Beobachtung. Eine ideale Voraussetzung für junge Dirigenten, um sich bei einem Spitzenensemble zu bewähren – in der kommenden Saison bekommen sechs Debütanten diese Chance. Und eine gute Ausgangsbasis für die kontinuierliche ästhetische wie stilistische Arbeit der Chefdirigenten. Joseph Keilbert war hier 18 Jahre lang, Horst Stein 11 Jahre, wenn Jonathan Notts Vertrag 2016 ausläuft, wird er ebenfalls 18 Jahre dabei gewesen sein.

„Positiv musikantisch“ nennt Axt die ästhetische Grundhaltung der Orchestermitglieder. Und Altmaestro Herbert Blomstedt, der den Bambergern seit drei Jahrzehnten verbunden ist, sagt: „Ich werde jedes Mal aufs Neue überrascht, wie wunderbar hier Musik gemacht wird, mit einer Gelassenheit, Natürlichkeit und Frische, die heute immer seltener wird.“

Wobei der berühmte, ebenso dichte wie intensive Streichersound der Bamberger in ihrer böhmischen Musiziertradition wurzelt: 1946 trafen ehemalige Mitglieder des Deutschen Philharmonischen Orchesters Prag in der vom Krieg verschonten Domstadt auf Kollegen, die ebenfalls aus ihrer tschechischen Heimat hatten fliehen müssen. Sie gründeten ein Orchester, fanden Förderer in der Bürgerschaft und Geldgeber beim Bund. Nach der Wende sprang der Freistaat als Hauptfinanzier ein, seit 2003 dürfen die Bamberger den Ehrentitel „Bayerische Staatsphilharmonie“ tragen.

"Wir wollen die Musik nicht fehlerfrei präsentieren, wir wollen, dass die Musik miterlebbar wird."

Der macht sich natürlich gut bei den vielen Tourneen im In- und Ausland. Kaum ein anderes Orchester reist so viel, 6500 Auftritte in 500 Städten verzeichnet die Orchesterchronik. Am 8. September sind sie mal wieder in Berlin zu Gast, beim „Musikfest Berlin“ in der Philharmonie. Mit einem Programm, das ganz nach dem Geschmack von Jonathan Nott ist: Zum Start spielt der Bamberger „principal organist“ Christian Schmitt eine Fantasie von Max Reger, dann singt Christine Schäfer Richard Strauss’ „Vier letzte Lieder“. Und nach der Pause folgt Helmut Lachenmanns „Ausklang“ mit Pierre-Laurent Aimard als Klaviersolisten. „Natürlich ist das eine Herausforderung an die Agilität der Zuhörer“, gibt der Brite zu, „alle drei Stücke sind wie Planeten – eine spannende Konstellation.“

Das 1985 entstandene Lachmann-Stück hat Jonathan Nott zuletzt mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks aufgeführt, bei der Münchner Konzertreihe „Musica viva“, die ebenso wie das „Musikfest Berlin“ künstlerisch von Winrich Hopp geleitet wird. Dort entstand dann auch die Idee zur ungewöhnlichen Zusammenstellung für den Hauptstadt-Auftritt. „Die Sinnlichkeit der Strauss-Komposition setzt sich bei Lachenmann fort“, findet Jonathan Nott, so wie er überhaupt überzeugt davon ist, dass man in den allermeisten Werken der zeitgenössischen Musik einen schönen Klang finden kann.

Jonathan Nott ist ein Mann, der extrem schnell redet. Da bleiben dann oft die Satzenden offen, ohne dass jedoch der Sinn verloren ginge. Er hat in Oxford Gesang und Flöte studiert, in London das Dirigieren gelernt und dann seinen Karriereweg in Deutschland begonnen, als Kapellmeister in Frankfurt und Wiesbaden.

Er war Musikdirektor des Luzerner Theaters und des Pariser Ensemble Intercontemporain, bevor er im Jahr 2000 nach Bamberg kam. Proben betrachtet er als „notwendiges Übel“, damit im Orchester „eine gewisse Großzügigkeit entsteht – und Vertrauen“. Beides ist für Jonathan Nott einfach nötig für die Live-Situation: „Wir wollen die Musik nicht fehlerfrei präsentieren, wir wollen, dass die Musik miterlebbar wird.“

Wenn er gefragt wird, wie sich so ein Maestro-Dasein denn nun anfühle, erzählt er gerne von seinem Lamborghini: „Wie beim Autofahren geht es beim Dirigieren eher ums Steuern und Dinge-Zulassen als ums Befehlen und Festlegen. Du wählst die Richtung, entscheidest, wie schnell du in die Kurven gehen willst, versuchst, mit dem geringsten Energieeinsatz das Maximum herauszuholen. Ob es sich um ein Sinfonieorchester handelt oder einen Sportwagen – die Denkprozesse sind gar nicht so weit voreinander entfernt.“

Am 8. September treten die Bamberger Symphoniker beim „Musikfest Berlin“ auf. Weitere Infos unter: www.berlinerfestspiele.de

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