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Die Bamberger Symphoniker in Berlin: An der Kandare

Eindrücklich: Die Berliner Philharmoniker und die Bamberger Symphoniker beim Musikfest Berlin

Schlicht ist das Programm, mit dem die Berliner Philharmoniker in einem Sonderkonzert des Musikfests auftreten: zuerst György Kurtágs „Stele“, 1994 als Auftragswerk für die Berliner entstanden, darauf Gustav Mahlers zweite Symphonie. Aber was für ein Abend! Da wäre von der Freiheit von jenem mitunter breiigen Klang zu reden, der in der letzten Zeit öfter von den Philharmonikern ausgegangen war, dem Verharren im schönen Augenblick. Kühl wird es stattdessen. Schärfe, ja Schneidigkeit herrschen vor, eine rhythmische Disziplin, der man anzuhören glaubt, dass der, der sie hervorruft, seinen Weg zur Musik einst über das Schlagzeug fand.

Da müsste man zweitens davon erzählen, wie sich das Klangmesser an den kontinentalen Klassikern der Moderne wetzen lässt. Denn nicht nur, weil beide Stücke Toten-, Gedenk- und Auferstehungsmusik sind, folgt Mahler hier fast folgerichtig auf Kurtág. Sondern auch, weil die Präzision etwa der ausfransenden Pendelschläge, in die die „Stele“ mündet, weil diese Balance aus Atmen und Arretieren eine ideale Vorbereitung für die Symphonie zu bieten scheint.

Rattle hält schon die ersten Minuten des Mahler-Eingangssatzes an der Kandare und gibt auch dem vermeintlich (bei Mahler sowieso übersetzten, mehrfach vermittelten) Süßen stets Nüchternheit. Scharf zügeln wird er das Orchester bis zuletzt. Dass das Englischhorn-Solo später blödsinnig penetrant vor den kaum hörbaren, präzis radierten Hintergrund von Kontrabässen und Violoncelli treten wird; dass das rasche Zwiegespräch zwischen Solo-Violine und Solo-Flöte im dritten Satz nicht passgenau geschnitten ist; dass die Tanzweisen im zweiten an Distanz verlieren und Rattle am Ende doch wieder swingen lässt, sich hingibt – all das ist unwichtig. Noch die Wahl Magdalena Koženás für den Altpart, deren biegsame Stimme nicht genügend trägt und deren Urlicht-Verse zu „echt“ empfunden bleiben, zu momenthaft-dramatisch, und Soile Isokoskis, deren griffiger, wenngleich leuchtender Sopran zu klein ist für die Apotheose des fünften Satzes: Auch das wird egal. Mit dem Einsatz des Niederländischen Rundfunkchors (Einstudierung: Simon Halsey), dessen Bässe geradezu monströs gelassen der Mahler’schen Bitte um ein tiefes b nachkommen und der mit einer übergangslosen Mischung der Stimmgruppen aufwartet, dann schließlich mit dem Wagnis zu totalem Blech und totalem Gleißen kommt ein fantastischer, zutiefst eindrücklicher Abend zu seinem Ende (nochmals heute, 20 Uhr).

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Auch die Bamberger Symphoniker stimmen mit ihrem Konzert beim Musikfest in den fahlen Grundton des Festivals ein. Harrison Birtwistles „The Shadow of Night“ wirkt wie eine elegische Landschaftsmalerei, in deren nächtlicher Beleuchtung die Bruchstücke von Melodien am Betrachter vorbeiziehen. Die Stimmung ist seltsam indifferent, weil die fragmentierten Melodien nicht als Träger des Ausdrucks dienen, dieser vielmehr wie abgespalten in die scharfen Akzentuierungen anderer Klangschichten verlagert erscheint. Sehr packend wirkt das nicht, auch wenn das Orchester unter Jonathan Nott hier vor allem mit sehr präzisen Bläsersätzen beeindrucken kann. Nott, seit sechs Jahren Chef des Bamberger Orchesters, tut von dort aus, ähnlich wie Simon Rattle in Berlin, viel für das englische Repertoire, und so folgte Benjamin Brittens hierzulande selten gespieltes Violinkonzert von 1939. Daniel Hope hat das Stück vor zwei Jahren zusammen mit dem Berg-Konzert auf CD eingespielt, als zwei Trauermusiken von doch wohl unterschiedlichem Rang. Brittens Konzert, das mit seinem tänzerischen Beginn das Spanien der Bürgerkriegszeit evozieren will und zum Schluss im scharfen Kontrast von individueller Klage und quasi offiziellem Triumph zerspringt, arbeitet sich zu selten zu wirklich deutlichem Ausdruck hervor. Daniel Hopes Violinspiel, dessen fast vergleichslose Klangkultur wie bei kaum einem anderen Geiger vom Effekthascherischen befreit ist, bleibt zu bewundern, auch noch in der Zugabe, dem langsamen Satz aus Erwin Schulhoffs Solosonate, den dieser anspruchsvoll denkende Musiker zwischen die glücklicheren Zeitgenossen Britten und Strauss stellt. Martin Wilkening

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