Valentin Silvestrov zum 80.: Gesten des Abschieds
Schönheit wie aus einer anderen Welt: Der ukrainische Komponist Valentin Silvestrov wird 80 Jahre alt. Eine Gratulation.
Musik aus nächster Nähe und doch ungreifbar. Eine akustische Fata Morgana, deren Ursprung sich immer gleich hinter der nächsten Wegbiegung zu befinden scheint, dann aber wieder zurückzieht und von Neuem lockt. Valentin Silvestrovs Kompositionen klingen nicht nur in den Ohren der Cellistin Anja Lechner wie aus einer anderen Welt. Sie schöpfen ihren Zauber aus der paradoxen Vertrautheit mit ihrem melodischen Grundgewebe und der Irritation über dessen kaum merklich verschobenes Gravitationsfeld. Man kann die Werke des ukrainischen Einzelgängers aber auch als letzte Signale eines sich entleerenden Bewusstseins beschreiben, das sich noch einmal mit seinem ganzen klassisch-romantischen Zierrat verströmt, bevor es sein Vokabular und die Lebensenergie, die es speisen, verbraucht hat.
Valentin Silvestrov, am 30. September vor 80 Jahren in Kiew geboren, wo er seit über 40 Jahren in derselben schlichten Wohnung 49 im Korpus 1 der Ulitsa Entusiastov, der Straße der Enthusiasten, wohnt, schreibt eine Musik nach der Musik. Sie liest auf, was von Mozart, Beethoven oder Schumann geblieben ist. Oder vielmehr: Sie schickt sich an, das zu entziffern, was sie in der göttlichen Ordnung schon immer angelegt sah. Eine Originalität, die in Konkurrenz zum bereits Vorhandenen steht, ist für sie ein Unding, und die Avantgarde, der sie mit Zwölfton-Konzepten noch in den 60er Jahren nacheiferte, gilt ihr als anmaßend und überholt. Silvestrov nennt seine Stücke deshalb auch Postludien oder Metamusik. Eine Vielzahl von Abschiedsbegriffen rund um die Elegie charakterisiert das Entschwindende.
In der sinfonischen Form verfolgt er eine „verborgene“ thematische Arbeit, ein Fließen der Zeit, das wie bei Gustav Mahler die Information „manchmal bewusst verlangsamt oder beschleunigt“. In kleineren Formen, die vielleicht seine Domäne sind, rückt das Material manchmal so nah heran, dass man ihn des Epigonentums verdächtigen könnte. Seine Klavierbagatellen aus dem Jahr 2005, die er für sein Münchner Hauslabel ECM eingespielt hat, wirken wie ein Aufguss Schubert’scher „Moments musicaux“, gepaart mit einem sich selbst genießenden, bis ins Süßliche reichenden Wohlklang, der nur durch seine Zerbrechlichkeit vom rein Schwelgerischen abgehalten wird.
Je nackter und ärmer, desto überzeugender ist seine Musik
Tatsächlich ist Silvestrovs Musik nicht missbrauchsresistent. In einem YouTube-Video sieht man, wie der norwegische Pianist Joachim Kwetzinsky in einem Osloer Friseursalon, dem Magic Spa, den ersten Satz der „Kitsch Music“ spielt. Die Klangtapeten eines Ludovico Einaudi sind hier nicht fern. Auch bei der mozartesken Sonatinen-Hommage „Der Bote“ für Streicher und Klavier muss man hinter der naiven Anmutung des Formelhaften erst die Unzahl subtiler Gesten entdecken. Silvestrovs Musik ist so reich an Akzentuierungen und Verzögerungen, dass er Novizen mit seinen Partiturmarkierungen verschreckt.
Je nackter und ärmer sich seine Musik präsentiert, desto überzeugender ist sie – wie auf dem soeben erschienenen Album „Hieroglyphen der Nacht“ (ECM). Es enthält ausschließlich Stücke für ein und zwei Celli, herausragend eingespielt von Anja Lechner und Agnès Vesterman: darunter „Augenblicke der Stille und Traurigkeit“, eine Komposition voller Fahl- und Schroffheiten, Serenaden und – natürlich – Elegien, alles ausgerichtet an Silvestrovs listiger Empfehlung, man solle seine Musik „mit gehobener Unbedeutsamkeit“ interpretieren.
Bis zum Frühjahr ist der Unermüdliche, der Freundschaften zu Kollegen wie Arvo Pärt, Tigran Mansurian und Giya Kancheli unterhält, die sich wie er einst mit den sowjetischen Kunstidealen überwarfen, erst einmal Composer-in-Residence der Staatskapelle Weimar: Mitte Januar wird dort sein erstes Violinkonzert uraufgeführt.
Gregor Dotzauer
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