Zum 85. Geburtstag: Gerhard Richter - Retter des Schönen
"Meine Bilder sind klüger als ich", hat Gerhard Richter einmal gesagt. Bis heute geben sie Rätsel auf. Kölns Museum Ludwig zeigt seine neueste Produktion.
Der große Schweiger, die Sphinx vom Rhein wird er genannt, denn Gerhard Richter pflegt seine Bilder nicht zu erklären – nicht die gegenständlichen, schon gar nicht die abstrakten. Das Rätselraten um ihre Bedeutung hebt wieder an, zu seinem 85. Geburtstag an diesem Donnerstag, zu dem er das Kölner Museum Ludwig mit einer Ausstellung beehrt. Als Geburtstagsgeschenk des Meisters an das Museum wird die Schau in seiner Heimatstadt empfunden. So war es auch vor fünf Jahren bei der Retrospektive der Berliner Nationalgalerie zum 80. im Mies van der Rohe-Bau.
Diesmal sind es vor allem allerjüngste Werke, 26 abstrakte Gemälde aus dem vergangenen Jahr, die der Maler telefonisch dem Kölner Museum zur Erstpräsentation anbot. Das griff sofort zu und ergänzt die schlicht „Neue Bilder“ überschriebene Ausstellung um 30 weitere Stücke aus dem eigenen Bestand, um Ikonen wie „Ema (Akt auf einer Treppe)“ von 1966 oder „48 Porträts deutscher Geistesgrößen“ von 1971/72.
Wie in Berlin war der Künstler wieder beim Aufbau dabei und gab damit auch seinen Segen zur ungewöhnlichen Hängung des schwarz-weißen Geistesgrößen-Tableaus über Eck. Vermutlich wird er auf Nachfragen, wie es ihm gefiele, wieder mit „schön“ geantwortet haben. Mehr gibt Richter nicht preis, eher weniger, denn diesmal findet weder eine Pressekonferenz noch offizielle Eröffnung statt, bei der ihm ein Kommentar zur neuesten Produktion zu entlocken gewesen wäre.
Die 26 Gemälde setzen Richters Reihe abstrakter Malerei fort, die heute zwei Drittel seines Schaffens einnehmen, auch wenn die figurativen Motive nach wie vor seine bekanntesten sind: der Totenkopfschädel mit Kerze, seine Frau madonnengleich beim Stillen, das Rückenbild er Tochter. Legendär ist sein Stammheim-Zyklus, inspiriert von Presse- und Polizeifotos von Ensslin, Baader und Meinhof, den Stuttgarter Zellen, der Beerdigung, der sich heute im New Yorker Museum of Modern Art befindet. Richter entfachte damit neu die Diskussion um eine moderne Historienmalerei.
Zuletzt wurden die abstrakten Gemälde noch leuchtender, freier
Nach wie vor geht der Künstler Tag für Tag in sein Atelier im selbst entworfenen Haus in Köln-Hahnwald. Seine abstrakten Bilder sind in den letzten Jahren noch leuchtender, freier geworden. Kleckse, Schlieren ziehen sich darüber. Mit Pinsel, Spachtel, Rakel, Messer bringt der Künstler die Farbe auf die mal riesigen, mal kleinen Formate. „Fast alle abstrakten Bilder zeigen Szenen, Umgebungen oder Landschaften, die es eben nicht gibt“, hat er doch einmal erklärt. „Aber sie müssen die Qualität haben, als könnte es sie geben.“
Genau um diese gefundene oder besser verlorene Inhaltlichkeit ist zuletzt ein Streit entbrannt, genauer: um seinen Zyklus „Birkenau“, den er vor zwei Jahren in Dresden erstmals ausstellte, damals noch ohne Titel und vor allem ohne die Vorlage, vier Schwarz-Weiß-Fotos, die Häftlinge 1944 im Vernichtungslager Birkenau aufnahmen. Ist das Grauen überhaupt darstellbar, wurde gefragt. Wird durch die Abstraktion nicht noch mehr verrätselt? Ja, wird auf diese Weise sogar erst Erhabenheit produziert?
Richter bewegt sich bewusst auf der Schwelle, entzieht sich jeder eindeutigen Aussage. Bezeichnend dafür ist jenes Bild von 1962 mit dem Titel „Tisch“, mit dem er sein Werkverzeichnis beginnen lässt, auch wenn immer wieder vorherige Stücke auf dem Markt auftauchen, denen der Maler jedoch seine Anerkennung versagt. Auf dem Frühwerk ist ein Wohnzimmertisch zu sehen, den grauer Wirbel verdeckt. Figuration und Abstraktion reichen sich die Hand. Auf eine Richtung wollte sich der chamäleonhafte Künstler nie festlegen. „Meine Bilder sind klüger als ich“, lautet eines seiner Bonmots.
Geboren in Dresden, hat er bei seinem Weggang aus der DDR kurz vor dem Mauerbau ein tiefes Misstrauen gegenüber klaren Inhalten, zumindest Botschaften mitgebracht, den Glauben an die Malerei aber nie verloren. Dafür wird er gefeiert, dafür zahlen seine Sammler Summen, die der Künstler selbst als aberwitzig bezeichnet. Erst zuletzt wurden für drei seiner Gemälde bei den New Yorker Herbstauktionen Gebote im zweistelligen Millionenbereich gemacht. Für die Kunst hat der Maler das „Schöne“ gerettet, eine Kategorie, die eigentlich unter Generalverdacht steht. Mit Richter aber darf der Betrachter schwelgen und sich zugleich kluge Gedanken machen.
Aus Anlass des 85. Geburtstages des Künstlers zeigt die Edition Block, Prager Str. 5, vom 10.2. bis 22.4. Beispiele aus seinem frühen druckgrafischen Werk.
Nicola Kuhn