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Nach David Bowie, Prince und Leonard Cohen ist ein weiterer großer Pop-Star im Jahr 2016 gestorben.
© AFP

Wham!-Sänger ist tot: George Michael: Mode und Verzweiflung

Vom Teeniestar mit Wham! und Pop-Oberflächenprodukt zur großen Persönlichkeit: Der Soulsänger George Michael ist tot. Ein Nachruf.

Wäre es nicht so traurig, müsste man sagen, dass das Timing dieses Todes absolut perfekt ist: „Last Christmas“ heißt einer der größten Hits von George Michael, einer der unvermeidlichsten, aber nun mal besten, wie es scheint, mit jedem Jahr besser werdenden Weihnachtspopsongs aller Zeiten – und in der Nacht vom ersten auf den zweiten Weihnachtstag dieses Jahres stirbt George Michael, gerade einmal 53 Jahre alt, zu Hause in London. Wie es aus dem Kreis seiner Familie heißt, sei er „friedlich entschlafen“. Das kann man jetzt glauben oder nicht, Fragen nach dem Drogenkonsum oder drogeninduzierter Erkrankungen stellen sich bei so frühen Toden relativ junger Popstars da ja immer sofort.

Wie friedlich Michaels Leben in den vergangenen Jahren war, dürfte ebenfalls Spekulation bleiben. Zumindest ist künstlerisch von dem 1963 in London als Kind einer Britin und eines griechisch-zypriotischen Einwanderers geborenen Sängers und Komponisten nicht mehr viel Neues gekommen. Letztendlich vermittelten die vergangenen zehn, 15 Jahre den Eindruck, George Michael würde vor allem sein Werk verwalten, mit Aufnahmen in Begleitung eines Symphonieorchesters oder 25-Jahre-Best-of-Veröffentlichungen. 2004 erschien von ihm zuletzt ein Album mit ausschließlich neuen Songs, vielsagend „Patience“ betitelt, weil es nach dem 1996 veröffentlichten „Older“ lange acht Jahre auf sich hatte warten lassen. Vergessen aber war er nicht. „Patience“, obwohl es keinen großen Hit hat, wurde wieder ein Nr.-1-Album. Auf dem Cover sieht man Michael im schwarzen Anzug auf einem weißen Ledersofa sitzen, nachdenklich nach unten blickend: der weiße Soulman im klinisch sauberen Ambiente. So hat er sich in den neunziger und nuller Jahren am liebsten präsentiert, als Solokünstler wird er wohl so in Erinnerung bleiben..

Nur war unter dieser Oberfläche seit längerem viel in Bewegung geraten, von Depressionen und Drogenabusus nach dem Tod eines Lovers 1993 und dem der Mutter ein paar Jahre später über sich jahrelang hinziehende Rechtsstreitigkeiten mit seiner Plattenfirma bis zu eben jenem 7. April 1998, an dem Michael von einem Zivilpolizisten wegen des Cruisens auf einer öffentlichen Toilette am Sunset Boulevard in Los Angeles verhaftet wurde. Ein Coming-Out wider Willen war das. Trotz vieler Videos in den Jahren zuvor, in denen sich der Sänger in kurzen Hosen und riesigen Ohrringen wie eine Vorzeigefigur des Camp präsentiert hatte, stand Michael plötzlich vor einer ihn enorm belastenden Aufgabe. So wie er es in Southan Morris’ Dokumentarfilm „A Different Story“ erzählt hat: „Ich dachte: Oh Gott, ich bin ein Weltstar und ich glaube, ich bin eine Tunte – was zur Hölle soll ich jetzt bloß tun?“

Es gelang ihm schließlich ein relativ souveräner Umgang mit dem daraufhin einsetzenden Gesumme, den medialen Nachstellungen. Er veröffentlichte ein paar Monate später mit „Outside“ ein flottes, von einem House-Rhythmus getragenes Stück mit Zeilen wie „Let’s go outside in the sunshine/ I know you want to, but you can’t say yeah/Let's go outside in the moonshine/Take me to the places that I love best“. Dazu gab es ein Video, das ihn selbst als Prügel schwingenden Polizisten auf der Tanzfläche zeigt, mit diversen lasziven oder schlicht konventionellen Liebesszenen zwischen Frauen und Männern und Männern und Männern, mit Reihen von Pissoirs, immer wieder kreisenden Polizeihubschraubern und am Ende zwei Polizisten, die sich nach einer erfolgten Festnahme innigst küssen. So manchem war das damals nicht offensiv genug, gerade weil sich George Michael danach trotzdem nur ungern als „Proud-to-be-Gay“-Ikone einvernehmen lassen wollte. Doch war das Zeichen eindeutig, das Video inszenierte die Utopie der freien Liebe.

George Michael war spätestens zu diesem Zeitpunkt von einem Soul-Oberflächenprodukt (trotz toller Stimme!) zu einer Persönlichkeit des Pop geworden, und wie weit weg waren auf einmal seine musikalischen Anfänge mit Wham!. Seine Erfolge als Achtziger-Jahre-Teeniestar mit dem hellen Jeans-Outfit, den hochgekrempelten Ärmeln und der Föhnfrisur sowie der Vorgabe „Make It Big“. Wer kennt sie nicht, Stücke wie „Wake Me Up Before You Go Go“, „Everything She Wants“, „Freedom“, das wunderschöne, noch heute diverse Gänsehäute bescherende „Careless Whisper“ mit seinen Trompetenfanfaren, das Michael damals schon allein schrieb und komponierte, und eben „Last Christmas“? Michael und sein Partner Andrew Ridgeley sorgten für die popmusikalische Ausstattung der mittleren achtziger Jahre. An Wham! kam niemand vorbei, nolens volens. Selbst wenn es viel interessantere New-Wave-Musiker zu der Zeit gab, Bands wie Heaven 17, ABC, Human League, OMD oder Soft Cell, glamourösere wie Boy George, auch bessere, vielseitigere Künstler wie Madonna, Prince oder David Bowie, so gehören die Wham!-Hervorbringungen doch inzwischen zum Kanon der Popmusik.

Als Wham! 1986 auflösten, stand George Michael vor dem Problem, das viele Teeniestars oder Boygroup-Mitglieder haben: wie sich ein neues Image verschaffen, wie ernst genommen werden? Michael entschied sich zunächst für die Variante „einfach weiter so, bloß allein" und hatte mit dem Album „Faith“ ein Jahr später denselben Erfolg wie mit Wham!: mit zackigen, auch funklastigen Soulballaden, etwa mit „I Want Your Sex“ oder „Father Figure“ und gängigen, leicht schmierigen Disconummern. Zwischen den Genres positionierte er sich auch in den neunziger Jahren: hier die Uptempo-Nummern mit House-Anmutung und straffem four-to-the-floor-Beat, dort die Balladen wie zum Beispiel der anrührende Song „Jesus Was A Child“ oder die in den nuller Jahren mit Elton John eingespielte, gleichfalls enorm berührende Pianoschnulze „Don’t Let The Sun Go Down On Me“.

Mag sein 1996 veröffentlichtes drittes Soloalbum „Older“ im Titel etwas platt auf den nun gereiften Michael anspielen, so sind es doch die neunziger Jahre, die entscheidend dazu beigetragen haben, dass aus George Michaels Karriere ein beispielhafter Bildungsroman wurde. Aufgewachsen in einem Londoner Vorort, ist George Michael ein schüchterner, zurückhaltender, seiner Herkunft und seinem Viertel verbundender Working Class Boy, der seine Schüchternheit und Angst vor öffentlichen Auftritten später nie abzulegen vermag, wie der von ihm selbst 2005 in Auftrag gegebene Porträtfilm „A Different Story“ beweist. Der sich trotzdem für die Musik entscheidet, mit Wham! viel Glück hatte, auch vom Übergang vom naserümpfend belächelten Chartspop-Star zum ernst zu nehmenden Solomusiker – dem aber die Sonne nicht mehr dauernd auf den Kopf scheint.

"John & Elvis are dead" hieß einer seiner traurigsten Songs

Man staunte nicht schlecht, als ausgerechnet George Michael sich gegen seine Plattenfirma Sony zur Wehr setzte, von der er weg wollte, aber nicht durfte. Er verlor Prozesse, konnte sechs Jahre nichts veröffentlichen, wurde dann für „Older“ vom Sony-Konkurrenten Virgin aus seinem Vertrag für viel Geld ausgelöst und spielte mit dem Album eines der besten und schönsten der musikalisch so enorm unübersichtlichen neunziger Jahren ein, gerade im Ressort Großpop. Der bewusste elegante Modemann blieb George Michael weiterhin. Aber einer mit viel Stimme, echtem Charisma, Biografiebrüchen und politischem Bewusstsein, der sich nach „Outside“ schließlich noch George W. Bush vorknöpfte und diesen in „Shoot The Dog“ vom Cowboy zu einem Mitglied der Village People mutieren ließ.

Als Kind seiner Zeit, der achtziger Jahre, vor seiner entscheidenden Reife, setzte Michael auch mit seinen letzten Veröffentlichungen auf die Kraft der Bilder. So mutet es nun seltsam traurig machend an, wenn man sich noch einmal das Video zu seinem 2004er-Song „John & Elvis are dead“ anschaut. Es ist eine Verbeugung vor Elvis Presley, John Lennon und Marvin Gaye, deren Porträts an einem vorbeiziehen, hin und wieder ist das Antlitz von Michael zu sehen, und dazu singt er, sich seiner Jugend erinnernd: „If Jesus Christ is alive and well/Then how come John & Elvis are dead?" (und am Ende übrigens „If Jesus Christ is going to save us from ourselves/ How come peace, love and Elvis are dead?"). George Michael ist nun selbst gewissermaßen zurück in seine (Pop-)Gattung getreten, und mit seinem Tod und nach denen von Prince und David Bowie scheint es, als habe das Jahr 2016 endgültig ein ganzes Jahrzehnt zu Grabe getragen.

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