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Ganz vorn. Edgar Selge wurde 1948 in Bückeburg geboren.
©  Doris Spiekermann-Klaas.

Edgar Selge zum 70.: Geisteskopf und Großkomödiant

Edgar Selge verbindet: intellektuelle, völlig unsentimentalische Ausstrahlung mit Schalk, Kopf- mit Bauchgefühl. An diesem Dienstag wird der große Schauspieler 70.

Wenn man bei Google nur das Wort „Edgar“ eingibt, dann ploppt bereits der Name Edgar Selge auf. An erster Stelle, vor Edgar Wallace und Edgar Allan Poe.

Wäre Edgar Selge nun außer Schauspieler nicht auch ein feiner, jedem Starrummel ferner Geist, müsste man sofort ausrufen: Ey, Mann! Wallace, 150 Millionen verkaufte Krimis, gelber Rolls Royce, eigene Rennpferde, zahllose Verfilmungen, und Poe = Weltliteratur. Aber die Nummer eins bist du!

Natürlich ist das auch amüsanter Quatsch. Und eine Pointe! Denn kaum ein anderer Schauspieler kann eine intellektuelle, völlig unsentimentalische Ausstrahlung so verbinden mit dem tollsten komödiantischen Schalk. Hat er doch diesen doppelten Witz. Kopfgeboren und bauchgefühlt. Wobei das Wort Bauch bei ihm ein bisschen schief wirkt, weil Edgar Selge ja überaus schlank ist und gar nicht der Typ Unterleibserotiker. Aber, er übersetzt Intelligenz in leibhaftige Intensität.

Atemberaubend erzählt und verkörpert er in Hamburg Michel Houellebecqs Roman "Die Unterwerfung"

Man kann das noch immer bei seiner Erfolgsrolle am Deutschen Schauspielhaus Hamburg beobachten, wo er seit 2016 ganz allein Michel Houellebecqs Roman „Die Unterwerfung“ erzählt und verkörpert. Das ist atemberaubend: ein schmaler Mensch auf der verhängten Bühne des größten deutschen Theaters – und am Ende jeder ausverkauften Vorstellung erheben sich tausend Zuschauer zur stehenden Ovation. Die Aufführung (Regie Karin Beier) hat jetzt Titus Selge, Neffe des Schauspielers und seiner Frau und Kollegin Franziska Walser, für den RBB verfilmt, mit Szenen zudem in Paris und Berlin, mit Gastauftritten auch von Matthias Brandt oder Alina Levshin.

Vor 70 Jahren in Bückeburg geboren (in einer Komödie wäre schon der Ort ein Lacher), wuchs Edgar Selge am Rand einer Jugendstrafanstalt auf, in der sein Vater Direktor war. Das mag, selbst in einer protestantisch nüchternen Familie, früh die Fantasie angeregt haben. In Detmold und in Wien studierte er zunächst Klavier, zog dann nach München zum Studium der Philosophie und Germanistik bei Ernesto Grassi, machte nebenher freies Theater und wechselte von der Wissenschaft zum Schauspielunterricht an die Münchner Otto-Falckenberg-Schule. Bald darauf spielte Selge schon am Berliner Schiller- Theater unter Harald Clemens Regie und inszenierte einen Tom Stoppard in Dublin, wo er als Student mal Station gemacht hatte. Worauf, zurück in München, der allmähliche Aufstieg in Dieter Dorns damals phänomenalem Kammerspiele-Ensemble begann.

Immer auf dem Sprung in die erste Reihe

Da war er der etwas spillrige, als glänzender Sprecher und agiler Verkörperer sofort auffällige junge Mann in der zweiten Reihe. Und erkennbar immer auf dem Sprung in die erste. Ob als elendes Häuflein Komik in Gestalt des Junkers Bleichenwang in Shakespeares „Was ihr wollt“ oder, eigentlich schon ganz vorn, als diabolisch intriganter Spindoktor Marinelli in Lessings „Emilia Galotti“, Regie Thomas Langhoff. Dazu viele von ihm mit wenigen Federstrichen scharf oder geheimnisvoll konturierte Botho-Strauß-Figuren – und in Helmut Dietls Filmkomödie „Rossini“ geriet sein ins Literaturkino investierender Bankvorstand zum Sketch für sich. Vorher war er schon bei Dietls „Kir Royal“ dabei, und hernach sind viele Film- und Fernsehrollen gefolgt. Vom „Tatort“ bis zum Pastorendrama „So auf Erden“ (2017 mit seiner Frau Franziska). Herausragend war Selge 2010 in Chris Kraus’ Kinofilm „Poll“: als romantisch-rationaler Leichendoktor im Baltikum vor hundert Jahren, zusammen mit seiner Filmtochter, der Debütantin Paula Beer. Heute feiert er seinen 70. Geburtstag, mit Familie in Berlin.

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