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Die Künstlerin Anne Imhof und Außenminister Sigmar Gabriel bei der Eröffnung des Deutschen Pavillons auf 57. Kunstbiennale Venedig.
© Felix Hörhager/ dpa

Debatte um Leitkultur: Gabriel: "Unsere Eltern entwickelten eine ziemlich kluge Leitkultur: das Grundgesetz"

Bundesaußenminister Sigmar Gabriel mischt sich von der Biennale in Venedig in die Leitkultur-Debatte ein. Auszüge aus seiner Rede.

In Zeiten des Wahlkampfs kommt die Leitkultur auf die Tagesordnung. Norbert Lammert, Wolfgang Thierse, immer wieder gibt es wortgewaltige Befürworter einer Besinnung auf die deutsche Leitkultur, immer wieder verläuft die Debatte im Sande. Vor zwei Wochen entfachte Innenminister Thomas de Maizière die Diskussion neu, mit seinen zehn Thesen zur Leitkultur. Für seinen zugespitzten Satz „Wir sind nicht Burka“ erntete de Maizière reichlich Kritik. Zwar stimmten ihm laut Umfragen Dreiviertel der Deutschen zu, aber Politiker wie Jürgen Trittin von den Grünen sprachen von "rechter Stimmungsmache". Nun hat sich Außenminister Sigmar Gabriel in der Debatte zu Wort gemeldet. Bei der Eröffnung des deutschen Pavillons auf der Biennale Venedig machte er sich Gedanken über die Architektur des in der NS-Zeit entstandenen Pavillons und über die Leitkultur. Hier einige Auszüge aus seiner Rede:

„In der wuchtigen Fassade des Pavillons ist der Absolutheitsanspruch eines nationalen oder gar nationalistischen Kunstverständnisses immer noch deutlich erkennbar. Ein Verständnis, oder eher: ein Missverständnis, das postuliert, Kunst müsse in erster Linie die eigene nationale Überlegenheit gegenüber anderen benachbarten Kunst- und Kulturformen demonstrieren. Ein Kunstverständnis, das auf Abgrenzung und Ausgrenzung setzt. Das Überlegenheit und Arroganz an die Stelle von Dialog, Austausch und Kommunikation treten lässt.

"Kulturnation? Damit sprechen wir einzelnen Ländern eine Sonderstellung zu"

Ein solches Verständnis fordert im Kern zur nationalen Enge auf. Und es zieht Grenzen, zuerst in den Köpfen. Aber in letzter Konsequenz will es die Abgrenzungen von Menschen, Gesellschaften, Ländern. Wir erleben ja, dass solche Gedanken heute wieder eine Renaissance haben. (...) Populisten werfen ihre Angeln aus mit Parolen, die vorgaukeln, einzelne Staaten könnten in einem vernetzten Europa und in einer globalisierten Welt Gestaltungskraft dadurch wiedergewinnen, indem sie sich abkoppeln. (...)

Lösungen können wir nicht dadurch finden, indem wir versuchen, Kulturen mit einem exklusiven Goldstandard zu definieren. Oder indem wir eigene „Leitkulturen“ gegenüber anderen in Stellung bringen. Es ist eben nur ein kleiner Schritt von der Einengung des Kulturbegriffs auf aktuell mehrheitsfähige Normen zur kulturellen Ignoranz oder gar Intoleranz. Wenn wir einzelne Länder als „Kulturnation“ bezeichnen, sprechen wir ihnen eine Sonderstellung zu, die sie nicht haben. (...)

Gabriel genügen die ersten 20 Artikel der Vefassung als Leitkultur

Mein Verständnis der politischen Einbettung des Kulturbegriffs ist zugegebenermaßen ein ziemlich einfacher: „Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei.“ Das ist Artikel 5 des deutschen Grundgesetzes. Und ich finde, bei aller erlaubten Debatte um Leitkultur haben wir es als Deutsche eigentlich ziemlich gut. Weil wir Eltern und Großeltern hatten, die eine ziemlich kluge Leitkultur entwickelt haben. Die befindet sich in den ersten 20 Artikeln der deutschen Verfassung. Wer das liest, der versteht, was er braucht, um im eigenen Land, aber auch mit allen anderen Völkern der Welt auf eine vernünftige, friedliche und kulturell aufgeschlossene Weise zu leben. Wir haben das denen zu verdanken, die aus solchen Gebäuden wie dem hiesigen die richtigen Konsequenzen gezogen haben.“ Tsp

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