"Marshall Mathers 2": Für immer Nervensäge: Das neue Album von Eminem
Der einstige Hip-Hop-Superstar Eminem schaltet auf seinem achten Studioalbum in den Nostalgiemodus. Bei aller technischer Brillanz überzeugt "Marshall Mathers 2" jedoch nur teilweise.
Matthew Mitchell will Rache. Für seinen großen Bruder Stan. Der war einst ein obsessiver Fan eines Rappers, dem er immer wieder Briefe schrieb. Weil sein Idol nicht antwortete, brachte Stan sich und seine schwangere Freundin um. Das ist 13 Jahre her, Matthew war damals noch ein Junge, aber er hat alles mitbekommen. Nun fährt er zum Haus des Stars, überwältigt ihn, sperrt ihn in den Kofferraum seines Wagens und will mit ihm über eine Klippe rasen – ein Kopie des Bruderselbstmordes.
Diese düstere, mit einem fies hochgepitchten Streicherakzent unterlegte Fantasie trägt den Titel „Bad Guy“. Sie eröffnet das neue Eminem-Album und ist unverkennbar die Fortsetzung seines Megahits „Stan“ aus dem Jahr 2000. Darin schreibt er dem Fan am Ende doch noch zurück, merkt aber in der letzten Zeile, dass es zu spät ist. Das für seine Verhältnisse einfühlsame Stück mit dem melancholischen Dido-Sample erschloss dem Großmaul aus Detroit damals neue Hörerschichten. Bei der Grammyverleihung sang sogar Elton John mit dem notorischen Schwulenbeschimpfer.
„Marshall Mathers LP“ hieß die Platte, auf der sich neben „Stan“ mit „The Real Slim Shady“ und „The Way I Am“ noch zwei weitere Großhits befanden. Der mittlerweile 41-jährige Eminem hat offenbar Sehnsucht nach dieser Zeit. Sein neues Album hat er „Marshall Mathers LP 2“ genannt. Auf dem Cover ist wie damals eine Schwarz-Weiß-Fotografie des Holzhauses in der Detroiter Dresden Street zu sehen, in dem er aufgewachsen ist.
Fenster und Tür sind vernagelt, die Regenrinne und das Vordach fehlen. Auf den Stufen sitzt kein junger blonder Mann mehr, und die Sonne scheint auch nicht. Das Foto gibt einen guten Eindruck vom Inhalt der Platte. Genau wie das abgebildete Haus ist der alte Eminem auf den 16 neuen Stücken zwar deutlich zu erkennen, doch über allem liegt ein tief grauer Tristesseschleier. Denn trotz beeindruckendem Flow, irrer Zungenakrobatik und hoher Reimfertigkeit erreicht Eminem auf seinem achten Album nicht ansatzweise die Fallhöhe oder Relevanz, die er in seinen besten Zeiten um die Jahrtausendwende herum hatte.
Seiner Mutter macht Eminem eine Art Versöhnungsangebot
Es wirkt armselig, dass einem der größten Genies des Genres anno 2013 nichts besseres einfällt, als einfach noch mal das komplette Hassprogramm abzufahren, mit dem er seit jeher genervt hat. In streberhafter Manier erarbeitet er sich innerhalb der ersten drei Songs mit einer Ladung Schimpfwörter sowie homophober und frauenfeindlicher Ausdrücke den „Explicit Content“-Warnhinweis auf der Albumhülle. Zum Glück hat er seinen Sinn für Selbstverarschung nicht verloren, weshalb es an einer Stelle heißt: „Yeah, you mothafuckin’ (Insert insult here)“. Hier bitte die Beleidigung einfügen.
Das superaggressive „So Much Better“, in dem er einer Frau den Tod wünscht, klingt wie eine Selbstkopie. Wahrscheinlich geht es mal wieder um seine zweifache Exfrau Kim. Und natürlich darf auch seine millionenfach verfluchte Mutter nicht fehlen. Sie war erst 17, als sie Marshall Bruce Mathers III 1972 zur Welt brachte. Sein Vater suchte bald das Weite, und der Junge wuchs in einer miesen Gegend von Detroit auf. Eminem hat seine Horrorjugend ausführlich in Songs verarbeitet, auch der Hollywoodfilm „8 Mile“ mit ihm in der Hauptrolle war daran angelehnt. Was der Familiensaga bisher fehlte, war eine tränenreiche Versöhnung. Die ist zwar immer noch nicht in Sicht, aber eine Art Entschuldigung liefert Eminem mit dem Lied „Headlights“ – und das ist tatsächlich mal etwas Neues.
Zu einem Beat in mittlerem Tempo, sanften Keyboardharmonien und einer von Nate Ruess leidenschaftlich gesungenen Hookline zeigt er erstmals so etwas wie Verständnis für seine Mutter, sagt, dass er ihr vergibt, und zeigt sogar Reue wegen seiner früheren Ausfälligkeiten: „Did I take it too far?/,Cleaning Out My Closet’ and all them other songs/But regardless I don’t hate you ’cause, Ma/You’re still beautiful to me, ’cause you’re my mom“.
Als Hip-Hop-Star älter zu werden, ist nicht einfach, Vorbilder gibt es kaum. Tupac Shakur und The Notorious B.I.G. wurden frühzeitig erschossen, Snoop Dogg macht jetzt in Reggae, Jay-Z spielt mit Beyoncé Glamourpärchen und Nas verhält sich unauffällig. Eminem selbst hatte mit „Encore“ 2004 einen Abschied angetäuscht, was die 2009 und 2010 folgenden Werke zu Quasicomebacks machte. Darauf verarbeitete er seine Tabletten- und Alkoholsucht, seine Rückfälle und seine Genesung. Das Thema spielt diesmal nur am Rande eine Rolle, stattdessen sinniert Eminem über seinen Status („Legacy“, „Rap God“) und schaltet in den Nostalgiemodus.
Das ist vor allem bei drei von Altmeister Rick Rubin produzierten Stücken der Fall, besonders bei der Single „Berzerk“, die mit Scratches sowie Samples von Naughty by Nature und den Beastie Boys in die goldenen Achtziger und Neunziger zurückführt. Hier macht die mit knapp 80 Minuten viel zu lange Platte tatsächlich Spaß und Sinn. Das gilt auch für „Rhyme Or Reason“, einer Aneignung des Zombies-Klassikers „Time Of The Season“. Doch zu oft haut Eminem daneben, etwa bei dem von beknacktem E-Gitarrengeriffe begleiteten „Survival“ oder der Liebeskummernummer „Stronger Than I Was“, bei der Eminem klingt, als wolle er sich als Sänger bei einer Emorockband bewerben.
Auf „Marshall Mathers LP 2“ sind viele unbekannte Gastsängerinnen (Ausnahme: Rihanna) zu hören, aber mit Kendrick Lamar nur ein einziger Gastrapper. Trotz der Albernheit des gemeinsamen Tracks kann man ihn so verstehen, dass Eminem hier andeutet, wen er als seinen Nachfolger sieht. Keine schlechte Wahl: Der 26-jährige Lamar ist einer der Protagonisten der neuen Rap- und R’n’B- Generation, die Eminem offenbar aufmerksam verfolgt. So erwähnt er auch Frank Ocean und Drake – ohne sie groß anzugreifen. Ein Anflug von Altersweisheit?
„Marshall Mathers LP 2“ ist bei Aftermath/Universal erschienen.
Nadine Lange
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