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Kapriziöser Star. Orson Welles, im „Dritten Mann“ der Gangster Harry Lime, war auch am Set die dominierende Figur.
© Studiocanal

"Der Dritte Mann" in neuer DVD-Bearbeitung: Für immer Ärger mit Harry

Welthit aus Großbritannien: Carol Reeds Thriller „Der dritte Mann“ ist in einer aufwendigen DVD-Edition neu erschienen. Über Comedy Thriller, Kuckucksuhren und die Wiener Kanalisation.

„Vor einer Woche hatte ich von Harry für immer Abschied genommen, als sein Sarg in die im Februarfrost erstarrte Erde hinabgelassen wurde. Ich wollte also meinen Augen nicht trauen, als ich ihn in London im Menschengewühl des ,Strand’ ohne ein Zeichen des Wiedererkennens an mir vorübereilen sah.“ Zwei Sätze nur, von Graham Greene auf einem Briefumschlag notiert, hervorgekramt erst wieder, als Produzent Alexander Korda ihn um Stoff für einen neuen Film bittet. Nicht mehr als ein erster Handlungsfetzen – und doch die Keimzelle zu einem der nachhaltigsten Erfolge des britischen Films: „Der dritte Mann“ von Regisseur Carol Reed, mit Joseph Cotten, Orson Welles, Trevor Howard und Alida Valli in den Hauptrollen, nun veröffentlicht in frisch restaurierter Form auch fürs Heimkino.

Ein neues Genre: der Comedy Thriller

Aus der Skizze entwickelte Greene erst einen Roman, dann ein Drehbuch. Das Genre: „comedy thriller“. So hat er selbst die Geschichte um den Groschenheftschreiber Holly Martins genannt, der im Wien der Viermächtebesatzung seinen Freund Harry Lime besuchen will, aber nur noch gerade rechtzeitig zu dessen Beerdigung kommt. Ein mysteriöser Tod, denn wer ist jener dritte Mann, der Harry nach seinem Unfall neben zwei Freunden beigestanden haben soll? Und war Harry wirklich noch der gute Kumpel von früher oder doch ein Schwarzhändler, dessen gepanschtes Penicillin unzählige Kinder das Leben gekostet hat? Ist er überhaupt tot?

Ein grandioser Film um Freundschaft, Liebe, Vertrauen, Verrat ist daraus entstanden, gedreht 1948 in Wien von Kameramann Robert Krasker, der dafür einen Oscar erhielt, auf Reeds Rat hin in oft schrägen Einstellungen, wie ja auch in dieser Geschichte nichts gerade und gesichert zu sein scheint. In der sogar die allgegenwärtige Zithermusik, eher zu gemütlichen Heurigenstuben passend, unter den flinken Fingern von Anton Karas eine beklemmend doppelbödige Heiterkeit gewinnt. Das „Harry-Lime-Thema“ wurde nach dem furiosen Filmstart 1949 ein Welthit und bescherte ausgerechnet der Zither eine zeitweilige Popularität.

Nun auch in bester Qualität: "Der Dritte Mann" in 4k-Auflösung

Der Ruhm des „Dritten Manns“ dagegen dauert an, gerade in seiner Heimatstadt Wien. Noch immer zeigt das Burg-Kino am Opernring den Film dreimal wöchentlich in der Originalfassung, es gibt das private „Dritte-Mann-Museum“ und die „Dritte Mann-Tour“, und kaum ein Tourist dürfte wohl das Riesenrad im Prater besteigen, ohne ein paar Takte des „Harry-Lime-Themas“ vor sich hin zu pfeifen. „Der dritte Mann“ ist im touristischen Wien so präsent wie „Ein Herz und eine Krone“ in Rom, wo jeder Postkartenverkäufer Gregory Peck und Audrey Hepburn auf der Vespa im Sortiment hat. Berlin, als Drehort ebenfalls hochbegehrt, hat einen Film, der ähnlich innig mit dem Bild der Stadt verbunden wäre, nicht zu bieten.

Reeds Meisterwerk, das Kritiker 2012 in einer Umfrage von „Sight & Sound“, der Zeitschrift des British Film Institute, zum besten britischen Film aller Zeiten wählten, ist sogar weiterhin festivaltauglich: In Cannes feierte in diesem Jahr, dem des 100. Geburtstags und des 30. Todestags von Orson Welles, die digital in 4k-Qualität restaurierte Version Premiere. Ein passender Ort: Dort war Holly Martins’ Wien-Abenteuer 1949 mit dem „Grand Prix“ ausgezeichnet worden.

Scorseses Lieblingszitat: „Kein Eis für Mr. Martins?“

Kapriziöser Star. Orson Welles, im „Dritten Mann“ der Gangster Harry Lime, war auch am Set die dominierende Figur.
Kapriziöser Star. Orson Welles, im „Dritten Mann“ der Gangster Harry Lime, war auch am Set die dominierende Figur.
© Studiocanal

Die Wiederbegegnung mit dem „Dritten Mann“ in perfekter technischer Qualität, sogar ergänzt um einige kurze, in der deutschen Synchronfassung bislang fehlende Szenen, ist jetzt auch am heimischen Fernseher möglich: Die von Arthaus auf DVD, Blue-ray und als Video on Demand herausgebrachte „Special Edition“ trägt diesen Namen zu Recht. Die Restauratoren – auch über ihre Arbeit gibt es einen Beitrag – haben den Film auf der Basis der besterhaltenen, den Original zeitlich nächsten Fassungen gründlich aufgearbeitet und poliert. Es gibt einen Audiokommentar von drei Mitarbeitern Reeds, darunter dem späteren James-Bond-Regisseur Guy Hamilton („Goldfinger“), der als Regieassistent dabei war. Eine Filmbiografie schildert das ruhelose, sich in seinen Werken widerspiegelnde Leben Graham Greenes, der von sich selbst sagte: „I am my books.“ Auch einige Regiegrößen kommen zu Wort und erzählen vom Einfluss des „Dritten Manns“ auf ihr Schaffen. Der Film habe ihm gezeigt, „was man mit visueller Erzählkunst machen kann“, bekennt etwa Martin Scorsese, der auch sein Lieblingszitat verrät: „Kein Eis für Mr. Martins?“ Und von Orson Welles persönlich gibt es eine Episode aus der 1951/52 für die BBC produzierte Hörspielserie „The Adventures of Harry Lime“, die als eine Art Prequel an den Erfolg des Films anzuknüpfen suchte. Der spannendste Teil der Extras aber, fast so spannend wie der Film selbst, ist Fredrick Bakers Dokumentation „Shadowing the Third Man“ – eine akribische, Erstaunliches aufdeckende Spurensuche zur Geburt des „Dritten Mannes“.

Beinahe wäre aus "Der Dritte Mann" nur "Eine Nacht in Wien" geworden

Dessen Titel gefiel dem Hollywood-Mogul David O. Selznick, Produzent von Klassikern wie „King Kong und die weiße Frau“ oder „Vom Winde verweht“ und auch diesmal mit im Boot, gar nicht. Wer sehe sich denn schon einen Film an, der so heiße, maulte er bei der ersten Begegnung mit Greene. Zum Glück setzte er sich mit seinem Alternativvorschlag „Eine Nacht in Wien“ nicht durch. Guy Hamilton dagegen berichtet, wie schwer es war, Anwohner dazu zu bewegen, ihre Schlafzimmer etwa zur Postierung eines Scheinwerfers zu überlassen. Sein Hinweis auf Greene, Reed, Cotten, Welles verpuffte, in Wien kannte sie keiner. Erst als er Paul Hörbiger erwähnte, eingesetzt in einer allerdings grandios gespielten Nebenrolle, hellten sich die Mienen auf: „Paul Hörbiger? Kommen Sie, kommen Sie!“

Kaum einfacher war es, Orson Welles vor die Kamera zu bekommen. Erst lieferte er sich ein Katz-und-Maus-Spiel mit Produzent Korda, reiste zwischen Paris und Rom hin und her, um die Gage in die Höhe zu treiben. Dann war er nur dadurch aus dem Hotel zu locken, dass Korda versprach. der beste Zauberer Wiens werde ihm Tricks zeigen. Und der erste Drehtag in der Kanalisation endete mit einer entrüsteten Tirade des Schauspielers, wie man ihm zumuten könne, in solch einem Drecksloch zu arbeiten. Ohnehin ist Welles nur in zehn Prozent des Films, teilweise gedoubelt, zu sehen – und hat doch in Harry Lime einen unvergesslichen Charakter geschaffen, teils liebenswerter Bruder Leichtfuß, teils mephistophelischer Verführer, teils eiskalter Verbrecher. Und die berühmtesten Sätze des Films standen nicht etwa in Greenes Drehbuch, Welles hat sie, mit einem Bonmot Churchills spielend, improvisiert: „In den 30 Jahren unter den Borgias hat es in Italien nur Krieg, Terror, Mord und Blutvergießen gegeben, aber sie brachten Michelangelo, Leonardo da Vinci und die Renaissance hervor. In der Schweiz herrschte brüderliche Liebe, 500 Jahre Demokratie und Frieden. Und was hat es gebracht? Die Kuckucksuhr!“

Die Wiener Kanalisation: Fluchtweg auch in der realen Welt

Bleibt die Frage, wer Greene auf die Wiener Kanalisation als Handlungs- und damit Drehort brachte. Auch Dokumentarfilmer Baker konnte sie nicht klären, präsentiert aber eine faszinierende These: Nach den Februar-Kämpfen 1934, dem gescheiterten sozialdemokratischen Aufstand gegen das austrofaschistische Dollfuß-Regime, seien in Wien viele Kämpfer durch die Kanalisation geflüchtet, geführt unter anderem vom britischen Kommunisten Kim Philby. Sechs Jahre später wurde Philby vom britischen Geheimdienst MI6 angeworben, nahm bald Führungspositionen ein, wurde erst 1963, nach seiner Flucht Richtung Moskau, endgültig als Doppelagent entlarvt – damals ein die westliche Welt erschütternder Skandal. Auch Greene war im Zweiten Weltkrieg MI6-Spion, dabei Philby unterstellt und mit ihm befreundet. Der Doppelagent könnte Greene also von dem Wiener Tunnelsystem erzählt, ihm die Anregung zu dem spektakulären Fluchtweg Harry Limes gegeben haben. Der Name dieses genialen, ebenso charmanten wie grundbösen und wie Philby mit den Russen kooperierenden Verbrechers wäre gleichsam eine Hommage an den Ideengeber. Denn Kim war nur ein Spitzname. Eigentlich hieß Philby mit Vornamen Harry.

„Der dritte Mann“ (1949). Special Edition, digital remastered in 4K, mit vielen Extras (erschienen bei Arthaus).

Andreas Conrad

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