Zombies und der Tod von George A. Romero: Friss oder stirb
Was Zombies mit uns zu tun haben? Fast alles. Wie der Regisseur George A. Romero das Horrorkino revolutionierte
Die Wiederauferstehung der Toten ist ein christliches Privileg. Keine andere Weltreligion kennt sie. Der Buddhismus spricht von Reinkarnationen, aber da hat man als Toter immerhin die Chance auf ein nächstes Dasein als Vogel. Wie es wäre, unter Wiederauferstandenen leben zu müssen, will man, ganz ehrlich, vielleicht aber gar nicht so genau wissen. Jedenfalls nicht, seit Filmregisseur George A. Romero 1968 ein ganzes Heer solcher Untoter mobilisierte und gegen die Welt ins Feld ziehen ließ. Da krochen sie aus ihren Gräbern und fielen ohne erkennbaren Grund über Mitbürger her, verwandelten sie in ihresgleichen; verstümmelt, gierig und apathisch, wie sie waren, verkörperten sie die Schlimmste aller Bedrohungen – unaufhaltsam zu sein.
Das Debüt des damals 28-jährigen Romero mit dem Titel „Night of the Living Dead“ war nicht nur ein Horrorfilm, sondern ein revolutionärer Akt. Aufgewachsen in der Bronx, war der Junge früh hingerissen gewesen von den Monsterfilmen Hollywoods, von den fremdartigen Schleim- und Geiferwesen, die wie Godzilla aus unergründlichen Vorzeiten zu stammen und von der Zivilisation pervertiert zu sein schienen. Und als Romero nach seinem Graphikdesign-Studium in Pittsburgh selbst daranging, Monster zu erschaffen, da habe er sie nur „von ihrem exotischen Habitus befreit und in Nachbarn verwandelt“, sagte er einmal.
Das zynische Gegenbild zur Hippie-Träumerei
Mit dem lächerlich niedrigen Budget von hunderttausend Dollar inszenierte er ein finsteres Pendant zur Woodstock-Euphorie. Sein Zombie-Film war das zynische Gegenbild zur Hippie-Träumerei, das mit dieser um den Realitätssinn der Jugend kämpfte. Während die Acid-Fraktion der 68er für sich einen freieren Lebensstil reklamierte und in Bob Dylans Schlachtruf Zuspruch fand, dass „die Zeiten reif für einen Wandel“ seien, tauchte Romero diesen Wandel in ein mörderisches, paranoides Licht.
Sein frühes Meisterwerk wurde von der Kritik zunächst als „unappetitlich und brutal“ geschmäht. Doch entging den Zeitgenossen keineswegs, dass hier einer eine neue, perfide Horrorlogik etablierte, nach der sich die Grenzen zwischen Normalität und Wahnsinn verwischten. Und zwar zu einem Grad, dass der einzige Überlebende der Zombie- Schlacht am Ende von eben jener Bürgerwehr erschossen wird, die ihm zu Hilfe eilt – aber den Unterschied zwischen Mensch und Monster nicht mehr macht. Der Held, ein Schwarzer namens Ben (Duane Jones), wird nach allem, was ihm die Zombies abverlangt haben, mit einem Kopfschuss „unschädlich“ gemacht.
Es war wohl diese rassistische Konnotation, die „Nacht der lebenden Toten“ über das Jahr der Studentenunruhen hinaus zu bleibender Anerkennung verhalf. Der Film sollte über drei Millionen Dollar einspielen. Allerdings nicht sofort.
Romero betrachtete sich als Independent-Filmer. Er drehte erst vier weitere Filme, darunter „The Crazies“ über ein desaströses Biowaffen-Experiment und den Vampir-Stoff „Martin“, bevor er die kulturelle Sprengkraft seiner Zombie-Allegorie erkannte und sie Ende der siebziger Jahre wieder aufgriff. „Dawn of the Dead“ von 1978 gilt als bester Schocker aller Zeiten und war Auftakt für eine ganze Reihe weiterer „Dead“-Versionen, deren letzte 2008 unter dem Titel „Diary of the Dead“ ins Kino kam. Da war die Gruselgrammatik längst ausformuliert und ins Mainstream-Kino eingewandert. Aber Romero hatte den Sprung nach Hollywood verpasst, als man dort zu Beginn des Jahrzehnts an die Adaption des japanischen Videospiels "Resident Evil" dachte. Romero war als Regisseur und Autor vorgesehen, wurde dann aber ausgetauscht durch Paul W.S. Anderson, einen Maximalisten des Effektkinos, der jeden Einfall, den er hat, zu verdoppeln und danach nochmal zu verdoppeln pflegt.
Das Phänomen reicht bis weit in die Romantik zurück
Heute sind die Untoten und deformierten Überlebenden einer namenlosen Katastrophe aus Blockbustern wie „28 Days Later“ oder „World War Z“ nicht mehr hinwegzudenken. Die „Walking Dead“-Serie zelebriert den Weltuntergang als Endlosschleife. Die allgemeine Diagnose: Die Welt ist am Arsch. Und mehrheitlich bevölkert von denen, die es auch sind.
Man kann das als den Ausdruck allgemeiner Verrohung betrachten. Andererseits bietet der Zombiefilm ja nicht bloß visuell drastische Momente an, bei denen Gedärme hervorquellen, Blut aus aufgebissenen Wunden sprudelt, Haut zerfließt wie Butter und überhaupt alles nur schauderhaft ist. „Zombies können nicht rennen“, pflegte Romero auf die Frage zu erwidern, worin deren Bosheit besteht. Und er meinte das keineswegs ironisch. Er liebte diese Kreaturen, weil sie indifferent gegenüber dem Bösen blieben: „Man kann nicht wütend auf sie sein“, sagte er, „sie folgen keinem geheimen Plan, sie sind, was sie sind.“ Wollte man etwa, dass sie sich schneller bewegten, schmunzelte er, würden ihre Gelenke auskugeln. „Sie sind doch tot.“
Kulturelle Vorläufer dieses Phänomens reichen weit in die Romantik zurück, die der Natur ein Eigenleben und ,sprechendes’ Wesen attestierte, sie reichen bis in karibische Voodoo-Kulte, und auch Mary Shelleys Frankenstein-Figur trägt Züge eines Zombies. Wobei Jacques Tourneurs früher B-Movie „I walked with a Zombie“ von 1943 bei aller Mystik, die solchen Kunstfiguren eigen ist, auf dem Rationalen der Metamorphose beharrt: Noch sind Zombies hier nur Werkzeuge einer diabolischen Intelligenz, wie Frankensteins Monster. Dass Lebewesen ohne erkennbaren Grund aus Grüften steigen, sollte Romero veranlassen.
Durch Zombies nehmen wir den Blick des Psychopathen ein
Sein Erstling war inspiriert von Richard Mathesons Roman „I am Legend“ von 1954, der im Zuge des Zombie-Booms der Nuller Jahre mit Will Smith in der Hauptrolle ebenfalls verfilmt werden sollte. In Mathesons Geschichte kämpft ein „letzter Mensch“ nach einer verheerenden Seuchenepidemie gegen die mit ihm ums Überleben konkurrierenden Vampire. Er muss erfahren, dass er, der Jäger, in den Augen der anderen, die sich mit den Folgen der Seuche arrangiert haben, ein Übel ist, das unbedingt beseitigt werden muss. Der Mensch als Schädling.
Dieser narzisstische Knick ist für das Zombie-Genre konstitutiv und hat Romeros Karriere bei allen Abschweifungen in artverwandte Bereiche – etwa mit „Creepshow“ – immer wieder angekurbelt. Nun ist der Filmemacher mit den riesigen Brillengläsern, dem weißen Bart und verschmitzten Lächeln, nach kurzer Krankheit gestorben. Romero wurde 77 Jahre alt. Auf seinem Grabstein könnte ein Satz Jean-Paul Sartes stehen: "Die Hölle, das sind die Anderen." Niemand hat so konsequent an der cineastischen Umsetzung dieser Erkenntnis gearbeitet wie Romero.
Doch woher stammt die anhaltende Faszination an einem Weltuntergang, der epidemische Züge trägt und wie eine Selbstausrottung der menschlichen Art wirkt? Da ist einerseits die Angst vor entfesselten Massen, die das seit den sechziger Jahren gesellschaftlich atomisierte Individuum umtreibt. Was, so lautet die Frage, wenn der Einzelne der Übermacht der Vielen ausgesetzt ist. Was, wenn es keinen Puffer zwischen den eigenen Ansprüchen und denen der Gemeinschaft gibt? Romeros "Dead"-Filme gaben Antworten darauf, und sie fielen in ihrem Blutdurst nicht eben ermutigend aus. Dabei sind sie ihrem Ursprung nach eigentlich nur demokratisch. Es gehöre zum Demokratieverständnis, meinte der Dramatiker und Weltuntergangsexperte Heiner Müller einmal, sich Gedanken über die Toten zu machen. "Denn es gibt mehr Tote als Lebende." So müsse sich eine liberale Gesellschaft auch auf die Probleme der Toten einlassen.
Der Zombie verkörpert die Last einer verdrängten Geschichte, die in die Gegenwart einbricht, ein pervertiertes Versprechen auf Erlösung. Wir nehmen die Untoten wahr als Geschöpfe eines eschatologischen Stillstands, als Opfer einer unverwirklichten Utopie, die nun auf Rache sinnen. Das ist der Rechtfertigungsrahmen, um in einem Zombie-Film zum Massenmörder werden zu können. Denn genau das geschieht in der psychodynamischen Umprogrammierung, die der Schriftsteller Daniel Kehlmann in einem Interview mit dem SZ-Magazin einmal so erklärte, dass Zombie-Filme dem Publikum den Blick des Psychopathen erlauben würden: „Der Zombie als Figur ist eigentlich uninteressant, er hat keine Aura, aber genau darum geht es: Durch ihn können wir Mitmenschen als seelenlose Wesen sehen, die man ohne Mitleid wegballern kann. Für einen Psychopathen wären alle Menschen Zombies, genau das bestimmt den Blick des Psychopathen auf seine Mitmenschen.“
Nach dieser Logik steht der Zombie für die Sehnsucht des Spießers, sich aller anderen Spießer um sich herum zu entledigen. Man darf die Täterperspektive ausleben, ohne Bestrafung fürchten zu müssen: ein radikales, anarchistisches Befreiungsprogramm, geleitet vom totalen Wahn der Rechthaberei. Wie nah diese idiotische Selbstermächtigung der Wirklichkeit zuweilen kommt, demonstrieren die Amokläufe in den USA ebenso wie die NSU-Morde und die Verwüstungsorgien linker Autonomer. Wodurch immer sie sich legitimiert wähnen, Romero war ihnen einen Schritt voraus.
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