Yael Ronen inszeniert am Gorki: Fremde oder Freundin
Yael Ronen inszeniert am Maxim-Gorki-Theater „Feinde – die Geschichte einer Liebe“.
Den einen oder anderen Kilometer wird der Schauspieler Aleksandar Radenkovik sicher zurücklegt haben am Ende dieses Abends auf der Bühne des Berliner Maxim-Gorki-Theaters. Schließlich rotiert er als polygamer Ghostwriter Herman Broder zwei Stunden lang hochintensiv zwischen drei verschiedenen Podesten auf Heike Schuppelius’ Gerüstbauszenario. Denn auf jedem wartet eine andere Frau. Unten links bereitet Orit Nahmias – als Hermans zweite Gattin Yadwiga mit blondem Flechthaarkranz – das vom eigenen Munde abgesparte Essen für den Ehemann zu. Rechts oben, auf dem Höchstplateau, schüttelt Lea Draeger als betont laszive Geliebte Mascha unterdessen die rote Lockenperücke. Und zwischen diesen beiden personifizierten Gegensätzen – auf der mittleren Ebene – taucht schließlich Hermans totgeglaubte erste Ehefrau wieder auf, die in Çizdem Tekes Darstellung gleichermaßen elegante wie lakonische Tamara.
Die 1976 in Jerusalem geborene Gorki-Hausregisseurin Yael Ronen hat Isaac Bashevis Singers Roman „Feinde, die Geschichte einer Liebe“ für die Bühne adaptiert, der 1966 zuerst in jiddischer Sprache als Fortsetzungsserie in einer Tageszeitung und 1972 – bearbeitet und ins Amerikanische übersetzt – schließlich als Buchausgabe erschienen war. Singers Protagonist Herman ist, wie die meisten der Romanfiguren, Shoah-Überlebender. Die Polin Yadwiga, das einstige Dienstmädchen der Familie, hatte ihn auf dem Dachboden vor den Nationalsozialisten versteckt und ihm so das Leben gerettet.
Wie bei den anderen Geflüchteten, die Herman in Amerika wiedertrifft – seiner Geliebten Mascha, ihrer Mutter Shifrah Puah (Ruth Reinecke) und eben seiner Frau Tamara, von der er geglaubt hatte, sie sei im Konzentrationslager ermordet worden – schieben sich die Traumata der Vergangenheit in jeden Winkel seiner Gegenwart, was der Literaturnobelpreisträger Singer in einer ganz eigenen tragikomischen Lakonik erzählt.
Nun steht die Regiemarke Yael Ronen vor allem für maßgeblich mit den Biografien der beteiligten Schauspieler arbeitende Stückentwicklungen zu aktuellen politischen Konfliktherden, die dann zumindest auf der Bühne dank politisch unkorrekten Maximalhumors ziemlich wirkungsvoll entspannt werden. Bestes Beispiel ist die gerade zum Berliner Theatertreffen und zu den Mülheimer Theatertagen eingeladene Nahostkonflikt-Inszenierung „The Situation“ am Gorki.
Die Regisseurin verzichtet auf jede Aktualisierung der Flüchtlingsthematik
Als Inszenatorin fertiger Textvorlagen kennt man Ronen hingegen weniger, weshalb sich mancher Zuschauer dieser Singer’schen „Feinde“ auch überrascht die Augen reiben dürfte. Die Regisseurin verzichtet nicht nur auf jedwede Aktualisierung der Flüchtlingsthematik: Die Stoffwahl ist ihr – nachvollziehbarerweise – Statement und selbst erklärende Folie genug. Sondern Ronen stellt auch, und das mag für die meisten Zuschauer wesentlich gewöhnungsbedürftiger sein, eine durch und durch konventionelle Inszenierung auf die Gorki-Bretter.
Statt des distanzierenden Aus-der-Rolle-Tretens und der epischen Einsprengsel, ohne die heutzutage praktisch kein Romanadaptionstheater mehr auskommt, gibt es hundertzwanzig Minuten dramatisch-dialogisches Einfühlungstheater pur zu sehen – in entsprechend zeitgerechten Kostümen und atmosphärisch untermalt von dem Genres, Stile und Sprachen wild mixenden Livemusiker Daniel Kahn.
Von hohem Wiedererkennungswert ist dabei der Ronen’sche Humor. Die Regisseurin akzentuiert den komischen Anteil der Textvorlage momentweise sogar so stark, dass der tragische darunter fast ein wenig wegzurutschen droht. Ansonsten ist „Feinde – die Geschichte einer Liebe“ ein ähnlich solider Romanadaptionstheaterabend wie Hakan Savas Micans Fallada-Inszenierung „Kleiner Mann – was nun?“ am Gorki. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.
Nächste Vorstellungen am 15. März sowie am 4. und 7. April, 19.30 Uhr
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