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Bedrängt. Johannes Pinneberg (Dimitrij Schaad).
© Gorki Theater/Ute Langkafel

Maxim Gorki Theater: "Kleiner Mann - was nun?": Albträume eines Angestellten

Ein Volkstheater-Dejà vu, aber sehr unterhaltsam: Das Berliner Maxim Gorki Theater spielt „Kleiner Mann – was nun?“, nach dem Roman von Hans Fallada.

Die Sprints, die Johannes Pinneberg auf der Bühnenschräge des Maxim Gorki Theaters hinlegt, sind definitiv rekordverdächtig. Angetrieben von seinem Chef, dem gern mal restalkoholisierten Kleinholz, hetzt der Buchhalter immer wieder den breiten Steg rauf und runter, den Sylvia Rieger in ochsenblutroter Berliner Mietshausdielen-Optik gebaut hat. Das live aufspielende Musiker-Trio Valentin Butt, Lukas Fröhlich und Matthias Trippner schlägt dazu einen gnadenlosen Beschleunigungstakt.

Aber Pinneberg hält mit; egal, wie besorgniserregend der Kopf sich rötet oder wie gefährlich instabil sich die federnde Diele an der Rampe bereits in Richtung Bodenlosigkeit neigt. Er würde eher tot umfallen als auszusteigen: Bloß nicht arbeitslos werden, lautet das Mantra, das der Angestellte und seine schwangere Frau „Lämmchen“ Abend für Abend auf der Ehebettkante beschwören. Was freilich wenig nützt. Schließlich kann sich Pinneberg noch so engagiert die Lunge aus dem Leib rennen: Da er verweigert, die Tochter des Chefs zu ehelichen, wird er „abgebaut“ und zieht aus einem Ostsee-Kaff in die Hauptstadt, um einen Job als Herrenkonfektionsverkäufer anzutreten.

Da man ihn dort allerdings mit einem Verkaufssoll knechtet, das strukturell auch nicht angenehmer ist als der Ehelichungszwang der Cheftochter (und das zudem die Konkurrenz unter den Kollegen anstachelt), bleibt es erneut beim kurzen Job-Intermezzo. Zumal Pinneberg samt Gattin in Berlin intrigenfördernd bei seiner Mutter wohnt, die ein halbseidenes Etablissement betreibt.

Im Theater gerade hip: die Twentysomething-Kleinbürger

Mit dem ausdrücklichen Sympathieträger-Paar Pinneberg und Lämmchen, das sich nach jedem Strauchler, Stolperer und Fall so pragmatisch wie schicksalsdevot wieder aufzurappeln versucht, hat Hans Fallada nicht nur einen internationalen Lektürebestseller gelandet. Sondern die rührenden Twentysomething-Kleinbürger sind auch im Theater schwer gefragt. Unzählige Bühnenadaptionen des mittlerweile 84 Jahre alten Romans „Kleiner Mann – was nun?“ dürften inzwischen existieren. Auch in Berlin ist es noch nicht allzu lange her, dass sich Pinneberg und Lämmchen zuletzt wacker der Weltwirtschaftskrise entgegenwarfen. Die Münchner Kammerspiele gastierten 2010 mit einer Inszenierung von Luk Perceval beim Theatertreffen, die das schmissige Berlin-Kolorit des Textes ausdrücklich minimierte und sich stattdessen – bei durchaus ulkig angelegtem Nebenpersonal – auf eine Art Leidensballade des Ehepaares konzentrierte.

Der Regisseur Hakan Savas Mican geht die Sache im Maxim Gorki Theater jetzt deutlich verspielter an. Die Musiker-Combo verhehlt den Retro-Charakter des offensiv rührseligen Geschehens genauso wenig wie die Kostümbildnerin Sophie du Vinage, die den Cast mit Lust in die Vintage-Klamotte steckt. Kurzum: Wir sehen untadeliges Volkstheater auf Augenhöhe mit der Textvorlage. Was insofern plausibel ist, als sich der Kapitalismus seit Johannes Pinneberg bis in heutige Globalisierungszeiten ja durchaus verändert hat; allen Unkenrufen zahlreicher Theatermacher zum Trotz, die über gesellschaftliche Strukturdifferenzen gern großzügig hinwegsehen. Auf der anderen Seite werfen Historizitätsbekenner-Abende wie dieser die Frage nach dem Bühnen-Mehrwert auf. Jedenfalls, wenn sie auch ansonsten nicht mehr sein wollen als gut gemachtes Roman-Erzähltheater.

Der Held, ein charmanter Lebenskünstler

Insofern funktioniert „Kleiner Mann – was nun?“ im Gorki tatsächlich am ehesten als bebildertes Déjà-vu mit einem Text, den so gut wie jede/r irgendwann mal gelesen hat und der beim Wiedersehen auch keine neuen Akzente setzt, dessen Darstellern man aber gern zusieht. Dimitrij Schaad betont an der Titelfigur des „kleinen Mannes“, dessen Tendenz zur Lebensuntüchtigkeit bei Fallada gern mal einen leichten Depri-Touch bekommt, eher das charmante Lebenskünstlertum.

Außerdem gönnt er seinem Pinneberg Anflüge von (Selbst-)Ironie, die sich als wohltuende Kitschvermeidungsmaßnahme erweisen, ohne dass die existenzielle Angestellten-Not denunziert würde. Selbst in der Szene, in der sich Pinneberg als naheliegende Illustration des Verkaufszwanges zusehends schwitzend und gebeugt zig Jacketts übereinander zieht, gelingt es Schaad, platte Stereotypen zu umschiffen. Gleichermaßen trittsicher weicht Anastasia Gubareva als „Lämmchen“ allen erdenklichen Klischeefallen aus. Sie spielt die sparsame Gattin, die man auf den versammelten Bühnen gern mal in großäugigem Pathos versinken sieht, angenehm klar und mit der maximal beiläufigen Selbstbestimmtheit, die diese Rolle zulässt.

Oh, der fleischfarbene Tanga!

Unterhaltsam sind auch die Nebenfiguren, die ein gut aufgelegtes Schauspieler-Quintett in fliegendem Rollenwechsel unter sich aufteilt. Den spektakulärsten Auftritt hat an diesem reichlich dreistündigen Abend Mehmet Yilmaz als Pinnebergs Berliner Kaufhaus-Kollege Heilbutt, der seine Neigung zur Freikörperkultur in einer nicht nur schön ironischen, sondern sogar Turn-WM-tauglichen Akrobatiknummer zelebriert. Die multiplen Handstände jedenfalls, in denen sich Yilmaz im fleischfarbenen Tanga an die Rampe vorarbeitet, rechtfertigen den anschließenden Fall in die lustige Adonis-Pose allemal. Çigdem Teke beweist in den weiblichen Nebenrollen von der proletarischen Lämmchen–Mutter bis zur unwirsch zu verkuppelnden Cheftochter Marie Kleinholz, dass Witz und Angriffslust ideale Klischee-Killer sind. Und Tim Porath verbindet in den Chef- und Liebhaber-Rollen geradezu mustergültig das Schmierige mit dem Verschlagenen, ohne dabei beim Publikum sämtliche Sympathie- und Identifikationsbonuspunkte loszuwerden.

Am Schluss wird das Thema des Abends – der zunehmende Rückzug von der bösen Welt ins liebe, private Familienidyll, das dann natürlich auch um jeden Preis standhalten muss – noch einmal in einer besonders innigen Pinneberg-Lämmchen-Umarmung zelebriert. Da fragt man sich dann doch, ob sich die Aufführung, bei allem aus heutiger Sicht leicht rührselig Daherkommen der Romanvorlage, nicht mehr Gegenwart hätte leisten können.

Wieder am 17. und 27. Januar sowie am 6. und 25. Februar.

Christine Wahl

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