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Schwarz, schwul und stolz. Aloysius Itoka (r.) und Ronni Maciel.
© Zé de Paiva

Schwarze Männlichkeit im Theater: Fremde Blicke und eigene Bilder

Das Stück „Complex of Tensions“ verhandelt das Leben als queerer schwarzer Mann. Es ist eine vielstimmige Collage voller literarischer Verweise.

Schwarze Männlichkeit? Da ploppen schnell bestimmte Bilder auf, zumindest bei weißen Menschen. Von Härte und Unnahbarkeit, von einer muskelbepackten Coolness mit Goldkettenbehang. Vorgeformte Posen aus Ghetto-Dramen und Hip-Hop-Videos.

Freilich, die gibt es auch in der Realität. Aber was hinter diesen Attitüden steht, das hat der Essayist Ta-Nehisi Coates beeindruckend im literarischen Brief an seinen Sohn beschrieben, „Zwischen mir und der Welt“: nicht weniger als der Versuch nämlich, sich gegen die Gefahr der allgegenwärtigen rassistischen Strukturen zu wappnen, gegen Polizeigewalt und andere Brutalitäten.

Im Zuge der Black Lives Matter-Proteste konnte man ja immer wieder lesen, welche Verhaltensregeln schwarze Kids in den USA von ihren Eltern eingebläut bekommen. Im Laden nie einfach an den Regalen entlang bummeln. Bei Dunkelheit bloß nicht die Straße entlang rennen. Ein beklemmender Überlebenskatalog.

Um wie viel bedrohter – von Diskriminierung und fortwirkender Unterdrückung im kolonialen Geiste – ist da erst der queere schwarze männliche Körper? Der Körper, der sich vielleicht nicht panzert, sondern das Feminine zulässt?

Die Frage steht im Zentrum des Abends „Complex of Tensions“ von Jasco Viefhues, mit dem nun auch das Ballhaus Naunynstraße nach Monaten der Schließung in die Corona-Saison startet, Maskenpflicht im Saal inklusive. Viefhues – ein Dokumentarfilmer, der unter anderem das hochgelobte Porträt „Rettet das Feuer“ über die Berliner Schwulen-Szene der 80er und 90er gedreht hat – inszeniert zum ersten Mal am Theater. Ein starkes Geflecht aus literarischen Verweisen

Die Arbeit, deren Titel auf den amerikanischen Star-Autor James Baldwin rekurriert, basiert auf Interviews mit queeren Männern in Berlin, auch Erfahrungen seiner Performer sind eingeflossen: von Aloysius Itoka, der in Liberia geboren und in New York ausgebildet wurde und heute als Schauspieler zwischen Freier Szene und Telenovela wandert. Sowie vom brasilianischen Tänzer-Choreografen Ronni Maciel, der unter anderem mit Constanza Macras gearbeitet hat.

[wieder am 12. u. 13. Oktober, 20 Uhr]

In einem Bühnenbild aus transparenten Vorhängen (Marian Nketiah), angetrieben vom drängenden Cello-Spiel des Musikers Eurico Ferreira Mathias, kreisen die beiden mit Tanz, Monolog-Passagen und Songs um Selbstbilder und fremde Blicke.

Was entsteht, ist ein starkes Geflecht aus literarischen Verweisen (vom Postkolonialismus-Denker Frantz Fanon bis zum Lyriker Jericho Brown), aus Erinnerungen an die rassistische Türpolitik im legendären Studio 54 (indes: „im durchsichtigen weißen Shirt ging so einiges“), oder an die haitianische Revolution als Matrix für die Furcht vor Schwarzer Emanzipation.

„Complex of Tensions“ ist eine assoziative Collage von Stimmen aus der Afro-Diaspora, von Berichten einer persönlichen Identitätsfindung im Spannungsfeld der Projektionen. „Du kannst dich entscheiden, die Wahrheit oder die Lüge zu leben“, heißt es einmal. „Aber du kannst dich nicht entscheiden, queer zu sein“.

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