Im Kino: "Mia Madre": Fremd im eigenen Leben
Zwischen Filmset und Sterbebett: Nanni Morettis Existenzkrisen-Melodram „Mia Madre“.
Sie geht durch die Straßen, es ist dunkel in Rom, an der Ecke ein Kino, die Leute stehen Schlange und schimpfen auf sie. Sie verliert sich zwischen Alltag und Traum, sie driftet aus ihrem Leben heraus, allmählich, unaufhaltsam. Dabei hatte sie am Filmset gerade noch heftig mit dem Kameramann gestritten, weil der die Gewalt bei der Straßenschlacht zwischen Demonstranten und Polizei viel zu nahe heranzoomt. Wenig später sitzt sie am Krankenbett ihrer Mutter, die lange Lateinlehrerin war und der langsam die Worte entfallen. Das Herz macht nicht mehr mit, sie wird sterben. Margherita weiß nicht, wie das geht, die Mutter verlieren, während die halbwüchsige Tochter gerade beginnt, sich ihr zu entziehen.
„Mia Madre“ gehört in die Reihe der autofiktionalen Filme von Nanni Moretti; der italienische Regisseur hat kürzlich selbst seine Mutter verloren und sich in Gestalt der Regisseurin Margherita ein weibliches Alter Ego geschaffen. Der Film lebt von Margherita Buys verhaltenem, eindringlichen Spiel, ihrer melancholischen Aura. Entfremdung, Selbstentfremdung, darum geht es, in düsteren Klinikzimmern und trennungsbedingt verlassenen Wohnungen. Selbst die Zeit gerät ins Stolpern, verheddert sich zwischen heute und gestern.
Das eitle Leiden des Nanni Moretti
Moretti ist klug genug, Margheritas ohnehin von Verlustangst und Trauer auf die Probe gestellten Pragmatismus gleich mehrfach herauszufordern. Zum einen in Gestalt des aus Amerika eingeflogenen Stars Barry Huggins (John Turturro) samt nervenzerrenden Allüren und Albernheiten, die seine Gedächtnislücken kaschieren sollen. Während Margherita beim Arbeiterkampf-Dreh mit ihren politisch-moralischen Überzeugungen hadert, kann ihr lausig spielender Hauptdarsteller sich die Dialoge nicht merken! Zum anderen ist da Margheritas Bruder Giovanni, ihr besseres Ich, von Moretti persönlich verkörpert. Giovanni weiß, was zu tun ist, wenn die Mutter stirbt: den Job kündigen, selbst gekochtes Essen in die Klinik mitbringen, gütig sein.
Irgendwann stört es einen dann doch, bei aller atmosphärischen Dichte der den Plot zum Film-im-Film sorgfältig parallel führenden Erzählung, bei aller Nähe zu den Figuren und trotz Giulia Lazzarini als Mutter, der 81-jährigen Grande Dame von Giorgio Strehlers Piccolo Teatro: Moretti stellt seine Selbstzweifel als Autorenfilmer derart überdeutlich zur Schau, dass sie zur wehleidig-eitlen Pose schrumpfen. Männer in Lebenskrisen, darauf kapriziert sich Moretti (62) jetzt offenbar – selbst wenn eine Frau sie verkörpert. Bei seinem letzten Film, „Habemus Papam“ war es der Papst persönlich, der nicht mehr weiter wusste.
Nur als Margheritas Tochter ihre erste holprige Runde auf dem Mofa dreht, statt brav Latein zu lernen, blitzt sie noch einmal kurz auf: die ungeheure Leichtigkeit und Selbstironie des einst in „Caro Diario“ mit seiner Vespa durch Rom kurvenden Nanni Moretti.
In 9 Berliner Kinos. OmU: fsk, Lichtblick, Tilsiter