Pläne fürs Berliner Stadtschloss: Freier Eintritt in die Welt durchs Humboldt-Forum
Die Gründungsintendanz hat ihre Pläne für das Humboldt-Forum vorgestellt. Neil MacGregor malt das Bild eines offenen, bürgernahen Hauses. Der Probelauf mit dem „Humboldtstrom“ hat begonnen.
Es geht demonstrativ voran. Während im Hintergrund dezent die Sägen für die Backsteine der Fassade kreischen, gibt Neil MacGregor die Losung aus: „Das Humboldt-Forum fängt heute an.“ Ein Gebäude, das anfängt? Er meint es genau so. Die deutsche Formulierungskunst des Schotten lässt auch an diesem kalten Mittwochvormittag im Auditorium des Neubaus nichts zu wünschen übrig.
Es kann anfangen, weil das Humboldt-Forum kein herkömmliches Museum wird und als Idee bereits ausstrahlt auf die Stadt. Und als sichtbares Zeichen, dass nun auch im oder am Humboldt-Forum das Programm beginnt, eröffnet in der Humboldt-Box die Ausstellung „Extreme! Natur und Kultur am Humboldtstrom“, eine kleine Skizze für das große Ganze. Neil MacGregor und seine beiden Mitgründungsintendanten Hermann Parzinger und Horst Bredekamp legen los wie Animateure. Ihre Botschaft: Der Strom ist jetzt eingeschaltet. Er fließt, der Berliner Humboldtstrom.
Schöne Rhetorik weht über die Baustelle. Es gab hier schon eine Reihe von Präsentationen und Presseterminen, doch diesmal ist der Auftrieb so groß wie sonst nur bei der Berlinale-Eröffnung. Es gab einige Zweifel, ob und wie die vielen mit dem Projekt befassten Köpfe effektiv und inspirierend zusammenarbeiten – in dieser relativ kurzen Zeit. Seit sechs Monaten hat das Humboldt-Forum erst das Personal, das es braucht, um sich organisatorisch aufzubauen. Neil MacGregor, der Primus inter pares der GIs, der Gründungsintendanten, ist erst seit Anfang des Jahres in Berlin.
Überall im Gebäude soll an die Historie des Ortes erinnert werde
Sie haben sich Gedanken gemacht. Sie bieten Lösungen an und Neuigkeiten. Im Humboldt-Forum, einem Haus mit sechs Eingängen, sollen die Besucher, die Bürger dieser Stadt freien Eintritt haben. So wie es die großen Museen in London (woher MacGregor kommt), in Washington und Peking mit den öffentlichen Sammlungen halten. Sie sollen Teil des Alltags und des Lebens in der Stadt sein.
Der gesellschaftspolitische Bildungsgedanke und -auftrag, der sich mit dem Namen der Brüder Alexander und Wilhelm von Humboldt verbindet, zeigt sich auch beim nächsten wichtigen Punkt, den MacGregor vorträgt: Die ursprünglich im Humboldt-Forum geplante Kunstbibliothek wird einen anderen Ort finden, stattdessen soll es im ersten Stock des Forums, der Beletage, eine „Humboldt-Akademie“ geben. Dort beginnt dann in einem „Basislager“ der Rundgang, die Reise in die Welt. Den Anstoß dazu hat indirekt das Land Berlin gegeben, das seine Präsentationspläne im Humboldt-Forum auch noch einmal kurzfristig geändert hatte.
Künftig wird man also auf dem Weg zu den Sammlungen der Kulturen der Welt zunächst auf die Humboldt-Brüder und daneben die Berliner Geistes- und Kulturgeschichte treffen. Noch eine neue Idee: Überall im Gebäude soll an die Historie des Ortes erinnert werden, an das Schloss der Preußenkönige mit der Kunstkammer und den Palast der Republik.
All das ist besucherfreundlich und verspricht ein offenes Haus. Natürlich haben die GIs die Neuerungen mit Kulturstaatsministerin Monika Grütters abgestimmt, die kurz darauf das Wort ergreift. Auch sie wartet mit Nachrichten auf: Das Humboldt-Forum bewegt sich nach wie vor im Kostenrahmen von 590 Millionen Euro, es bleibt bei der Eröffnung Ende 2019. Auf Nachfrage präzisiert sie die jährlichen Betriebskosten, die sich ab 2020 auf 50 Millionen Euro plus belaufen werden.
Nach der Baukostenexplosion und der zu erwartenden langen Verzögerung am Pergamonmuseum tut die Humboldt-Show gut. Denn nicht nur bei Alexander von Humboldt hängt alles mit allem zusammen, sondern auch auf der Museumsinsel. Insel und Forum sollen sich aufeinander beziehen, betont Hermann Parzinger, der Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, mit Leidenschaft.
Überhaupt wird das eine sehr berlinische Geschichte
Da ist ein auf lange Jahre geschlossenes Pergamonmuseum eine bittere Sache. Auch die Museen in Dahlem sind jetzt zugesperrt, für immer. Aber unter dem Motto „Neue Nachbarn“ werden einzelne Stücke auf die Museumsinsel wandern. Im Bode-Museum eröffnet nächstes Jahr eine Ausstellung, die christliche Kunst mit afrikanischen Skulpturen zusammenbringt. Etwas vom Humboldt-Forum hat tatsächlich begonnen.
Es war putzig anzuschauen, wie die Gründungsintendanz ihre so lange erwartete Pressekonferenz als kleines Gelehrtenkolloqium inszenierte. Neil und Horst und Hermann – man duzt einander – erweisen Wilhelm und Alexander ihre Reverenz. Wenn Bredekamp auf dem Podium sitzt, geht es natürlich immer auch um den Universalgelehrten Leibniz, der den Humboldts vorauseilte.
Überhaupt wird das eine sehr berlinische Geschichte. Die kulturellen Einrichtungen haben hier traditionell niedrige Schwellen, der Volksbildungsgedanke verträgt sich jedenfalls bei den Humboldts durchaus mit wissenschaftlicher Exzellenz. Sammeln und forschen und das Wissen teilen, mitteilen, das gehört zum Besten der preußischen Tradition.
MacGregor hebt Alexander von Humboldts „Kosmos“-Vorlesungen in der Singakademie (heute Maxim-Gorki-Theater) als Modell hervor. Im Winter 1827/28 begeisterte der Weltreisende und Forscher mit seinen Vorträgen Bürger und Adlige, Männer und Frauen gleichermaßen. Für seine Auftritte musste man nicht bezahlen. Man musste nur das Glück haben, einen Platz zu bekommen.
Das Humboldt-Forum hat sich von der Politik abgenabelt
Die erste Aufwärm–Ausstellung in der Humboldt-Box fällt nicht so eindrucksvoll aus, was bei dem seltsam verwinkelten Ding kein Wunder ist. Man kann aber die Grundlinie erkennen,. Das Thema Klimawandel stellt die Fragen nach dem Verhältnis von Natur und Kultur, um die es im Humboldt-Forum gehen soll.
Die Box als Probebühne, wie MacGregor sagt, bringt schon einmal das Museum für Naturkunde, den Botanischen Garten und das Botanische Museum und das Ethnologische Museum zusammen. Darin sehen die Neu-Humboldtianer die Zukunft. Sie wollen die Berliner Sammlungen füreinander öffnen, für das Publikum und die Forschung.
So einfach geht das: Schmuck, Tierpräparate, Keramik, Fetische in einer Vitrine vereint, aus jener pazifischen Gegend in Südamerika, die der kalte Humboldtstrom berührt. Das Klima dort ist extrem, und es beeinflusst die ganze Welt. El Nino – ein anderes Wort für Globalisierung. Alexander von Humboldts Amerikaexpedition mit dem Botaniker Aimé Bonpland wird hier kurz angerissen, Landkarten hängen an der Wand, Videos laufen; sichtbar ein Schnellschuss. In der oberen Etage versinken die Weltmeere im Müll, ist plötzlich Verschmutzung das Thema. Der Humboldtstrom transportiert nicht nur Gedanken und Fische, sondern auch immer mehr fatalen Plastikabfall. Das ist noch nicht das Nonplusultra neuer Ausstellungsästhetik und Vermittlung.
Die zweite Probelauf-Ausstellung wird im Frühjahr den Kindern gewidmet sein und der Frage nachgehen, wie unterschiedliche Kulturen ihren Nachwuchs schützen. Da ist man sofort, sagt MacGregor, bei Flucht und Migration. Oder beim Gold – dem Edelmetall gilt die dritte Ausstellung, die einen Bogen schlagen will vom Eldorado der Spanier zu den Problemen Afrikas heute.
So schnell stellen sich Verbindungen her, wird die Welt größer und kleiner zugleich, wenn Humboldt im Spiel ist. Alexander aber war auch ein Unvollendeter. Oder um im Bild von Monika Grütters zu bleiben: Das Humboldt-Forum ist jetzt autonom, es hat sich von der Politik abgenabelt. Es muss lernen, selbstständig zu laufen und sich selbst zu behaupten.