City-Tax und Kulturpolitik in Berlin: Freie Kunstszene glaubt noch nicht an den Geldsegen
Der Kulturetat soll dank der Einnahmen durch die City Tax massiv ansteigen, Michael Müller gilt als Held der Stunde. Vertreter der freien Kunst- und Kulturszene bleiben aber skeptisch.
Wer hätte gedacht, dass ein Regenmacher in Michael Müller steckt? Genau so steht der Regierende Bürgermeister und Kultursenator jetzt da: als Mann, der die Millionen prasseln lässt, auf die Kulturlandschaft und besonders die freie Szene. Um 6,8 Prozent in 2016 und stolze 10,4 Prozent anno 2017 soll laut Doppelhaushaltsentwurf der Gesamtetat der Kultur anwachsen. Die freie Szene darf sich, so der Plan, über 7,5 Millionen, beziehungsweise 9,5 Millionen Euro mehr freuen. Plus Einnahmen aus der City Tax!
Gab es je ein besseres Mittel als Geld, um Kritiker und Querulanten in die Schranken zu weisen? Müllers Millionen-Coup hat die Kulturschaffenden der Stadt zwar nicht gänzlich unvorbereitet erwischt. Aber er bringt sie in eine so glückliche wie prekäre Patt-Situation: Wer sich jetzt nicht zufrieden zeigt, sondern weitere Forderungen erhebt – egal, wie berechtigt sie sein mögen – steht als ewiger Nörgler da und hätte ungefähr so viele Sympathien auf seiner Seite wie die streikenden Lokführer. Die Schlagzeile „Skandal! Freie Szene mit 12 Millionen abgespeist!“ will man eher nicht lesen.
Kultur ist kein teures Orchideenhobby
Was aber sagen die Akteure? Andreas Altenhof, Sprecher des Rates für die Künste, findet die Müller-Offensive gleich in dreifacher Hinsicht bemerkenswert. Zum einen, weil Müller richtig erkannt habe, „dass die Kultur einer der wichtigsten Wachstumsfaktoren der Stadt“ sei und in diesem Zusammenhang erstmals von „Investitionen statt Subventionen“ gesprochen habe. Da könnte sich ein echtes Umdenken ankündigen. Kultur nicht als teures Orchideenhobby. Sondern als ressortübergreifend gedachte Chefsache, die ihren Platz selbstverständlich in allen Beschlüssen zu Wirtschaft, Bildung, Sozialem und Stadtentwicklung hat.
Zum zweiten begrüßt Altenhof, dass die Institutionen fortan Tariferhöhungen wohl nicht mehr aus dem künstlerischen Etat bestreiten müssen – in der Vergangenheit stets ein Ärgernis. Schließlich ist auch der Rat für die Künste der Ansicht, dass die Freie Szene die jetzt versprochenen Mittel verdient. „Hier ist endlich erkannt worden, dass die Szene existenziell gefährdet ist und substanziell mehr Geld benötigt“, sagt Altenhof.
Und die „Koalition der freien Szene“? Kann ja erst mal gar nicht anders, als sich zu freuen. „Natürlich ist es toll, dass soviel Geld fließen soll“, sagt Sprecher Christophe Knoch. Wenngleich die Forderungen seiner Koalition, zusammengefasst in einem 10-Punkte-Plan, sich damit nicht vollständig erfüllen lassen. Dafür bräuchte es, ohne dass über Mondzahlen oder Fantasieforderungen gesprochen würde, 18,6 Millionen.
Produktionsförderung in der Bildenden Kunst fehlt bisher
Bei aller Freude darf man ja die Relationen nicht aus dem Blick verlieren. Selbst wenn die Szene im Best-Case-Szenario inklusive City Tax anno 2017 ihre 12 Millionen erhielte, läge sie damit im Schnitt noch unter dem Budget eines der großen Schauspielhäuser in Berlin. Von den Opern ganz zu schweigen. Besonders von der Staatsoper, deren Fass-ohne-Boden-Umbau von Finanzsenator Kollatz-Ahnen beim jüngsten Nachtragshaushalt instrumentalisiert wurde. Der Spielraum für die Kultur, ließ er verlauten, sei durch die aufwendige Sanierung „mehr als verbraucht“. Origineller Punkt – Immobilienkosten gegen die Künstler zu wenden.
Die Frage der Räume wird auch das bestimmende Thema sein, wenn die Verteilung der Müller-Millionen ansteht. „Wohin das Geld fließen soll, geht ja aus den Zahlen überhaupt noch nicht hervor“, betont Christophe Knoch. Was fehlt in Berlin, ist eine Produktionsförderung in der Bildenden Kunst, die über eine massive Erhöhung von Zeitstipendien erfolgen könnte. Es geht auch um Ausstellungshonorare und Mindestgagen bei senatsgeförderten Projekten, die seit Langem eine Kernforderung der Koalition der freien Szene sind. Und natürlich um die Schaffung von Räumen in einer sich stetig verteuernden Stadt.
In der Koalition der freien Szene hat sich dazu ein Arbeitskreis gebildet, der im April zusammen mit der Kultursenatsverwaltung einen Workshop abgehalten und ein ziemlich präzises Bedarfspapier vorgelegt hat. Auf 2,5 Millionen fürs kommende Jahr beläuft sich der Plan, der die Gegebenheiten in der Stadt berücksichtigt – zum Beispiel, bestehende Probenräume wie die Uferstudios nicht durch Neubauten zu gefährden. Fraglich bleibt, ob die Kulturpolitik den Expertisen der freien Szene folgen wird.
Heißt es am Ende: "Wir wollten ja?"
Staatssekretär Tim Renner, dem Thema Räume durchaus zugewandt, ist bekanntlich ein sehr eigenwilliger E- und U-Anhänger (Exzellenz und Underground). Entsprechend drängt er, wie aus der freien Szene zu hören ist, eher auf die Schaffung von Underground-Räumen, in denen Künstler „frei von staatlichem Einfluss“ (was immer das heißen soll) vor sich hin werkeln können.
Bemerkenswert an der Causa ist dabei, wie in Berlin Kulturpolitik gemacht wird. Selbstverständlich ist es zunächst begrüßenswert, die Künstler einzubinden. Auf der anderen Seite lässt man sie – unentgeltlich – Ideen entwickeln, statt eigene zu produzieren. Und greift sich dann diejenigen heraus, die sinnvoll erscheinen. Komfortable Methode.
Bei aller Freude über den erwarteten Geldsegen – es bleiben Fragen offen. Auch zur City Tax. Wieso beispielsweise werden die Einnahmen nicht gleich zu den versprochenen Aufwüchsen addiert, sondern stets als zusätzlicher Posten geführt? Vermutlich gibt es auch gesonderte Pläne für die Verwendung. Das könnte noch spannend werden.
Die entscheidende Frage ist aber: Passiert der Müller-Vorschlag in der vorliegenden Form überhaupt den Haushalt? Aufs Papier schreiben lässt sich vieles, um im Fall der Nichtratifizierung achselzuckend sagen zu können: Wir wollten ja. Es wäre nicht die erste Volte, die die freie Szene in Berlin erlebt. Dass die Zahlen unverändert von den Abgeordneten übernommen werden, glauben auch weder Christophe Knoch noch Andreas Altenhof.
Allerdings gibt der Sprecher des Rates für die Künste zu Recht zu bedenken: „Wenn eine substanzielle Erhöhung des Kulturetats am Ende auf den Inflationsausgleich zusammenschmölze, würde das einen erheblichen Gesichtsverlust für Michael Müller bedeuten.“ Dann stünde er am Ende selbst im Regen.