Der Iran gegen Nasrin Sotoudeh: Frauenrechtlerin muss wieder ins Gefängnis – trotz Covid-Infektion
Der Hafturlaub von Nasrin Sotoudeh ist beendet, obwohl sie krank ist und sich zusätzlich mit Covid-19 infiziert hat. Ein Dokumentarfilm würdigt den Mut der iranischen Anwältin.
Anfang November wurde sie aus gesundheitlichen Gründen in Hafturlaub geschickt, nach 50 Tagen Hungerstreik. Wenige Tage darauf war ihr Corona-Text positiv, sie hat sich wohl in der Haft infiziert. Dabei hatte die iranische Frauenrechtlerin und Anwältin Nasrin Sotoudeh auch im Qarchak-Frauengefängnis, wohin sie aus dem Teheraner Evin-Gefängnis verlegt worden war, eben dagegen gekämpft, gegen die Verbreitung des Virus durch unzureichende Hygienebedingungen hinter Gittern. Auch Sotoudehs Mann, der Menschenrechts-Aktivist Reza Khandan, hat sich das Virus eingefangen, wie er am 18. November der „Time“ berichtete.
Am Mittwochnachmittag dann die nächste Hiobs-Botschaft: Trotz Erkrankung und Infektion muss Sotoudeh ins Gefängnis zurück. Ausgerechnet am Donnerstag, als ihr in Abwesenheit der Alternative Nobelpreis verliehen wurde, sollte sie sich unverzüglich dort einfinden. In einem ersten Statement bat sie jedoch nicht für sich um Unterstützung, sondern für den ebenfalls inhaftierten schwedisch-iranischen Arzt Ahmad Reza Jalali, der wegen angeblicher Spionage zum Tode verurteilt ist.
An diesem Freitag feiert die Dokumentation „Nasrin“ ihre digitale Deutschlandpremiere, ein Film des US-Regisseurs Jeff Kaufman über Sotoudehs Kampf für Frauen-, Kinder- und Minderheitenrechte und gegen die Todesstrafe in ihrem Land, bis zur Inhaftierung im Juni 2019. Das Urteil lautet inzwischen auf 38 Jahre und 148 Peitschenhiebe.
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Als lebhafte, unermüdliche Streiterin, fürsorgliche Mutter und liebende Ehefrau steht sie im Zentrum von „Nasrin“. Ständig hängt sie am Telefon oder sitzt im Teheraner Dauer-Stau hinter dem Steuer, um bei Gerichten Freilassungen auf Kaution zu erwirken, Berufungen einzulegen, Behörden zu belagern, Mandantinnen oder Angehörige aufzusuchen. Oder um nach dem Ende ihrer ersten Inhaftierung 2013 per wochenlangem Sit-In auf den Stufen der Anwaltskammer für ihre Wiederzulassung zu protestieren, bald umgeben von Dutzenden Mitstreitern.
Einer davon ist Jafar Panahi. Auch ihn berät sie als Anwältin, erörtert seine Chancen, seinen Pass zurückzubekommen. Der vom Regime drangsalierte Regisseur hatte Sotoudeh in seinem trotz Berufsverbots gedrehten Film „Taxi Teheran“ persönlich durch die Stadt kutschiert: die fröhlichste Person unter all seinen Fahrgästen, mit locker sitzendem Kopftuch und einem Strauß roter Rosen. In „Nasrin“ ist einen Szenenausschnitt aus dem Roadmovie nochmals zu sehen, das 2015 auf der Berlinale den Goldenen Bären gewann.
Die Menschenrechte sind kein Produkt der westlichen Kultur
Jeff Kaufman hat das Filmmaterial, gedreht von Menschen in Teheran, die damit hohe Risiken eingingen, zu einer oft allzu rasch zwischen den Schauplätzen und Ereignissen wechselnden Dokumentation montiert. Aber die konventionelle Dramaturgie macht nichts. Wenn Sotoudeh gleich anfangs betont, dass Menschenrechte kein Produkt des Westens sind, wenn sie beinahe empört ist, dass ihre Kultur und Religion für inkompatibel mit den Menschenrechten erklärt wird, beschämt das all jene, die den Islam und islamische Staaten pauschal als menschenverachtend und nicht reformierbar verdammen. Sotoudeh will das Regime mit seinen eigenen Mitteln schlagen, den Mitteln eines Rechtsstaats, der seine Gesetze gern willkürlich auslegt.
Zähigkeit und Leidenschaft, das sind ihre Stärken, etwa wenn sie vor Gericht auf Beweise pocht, dem Staatsanwalt freundlich, aber bestimmt, auf Fehler hinweist, und den Saal auch mal aus Protest verlässt. So manches Rechtsersuchen erweist sich als Marathon, bis sie die Mandantin, eine Soziologiestudentin, auf Kaution freiboxen kann. Selbst im Gefängnis, erwirkt Sotoudeh mit beharrlichen Eingaben, dass Frauen dort selbst über ihre Kleidung entscheiden dürfen und sich nicht von Kopf bis Fuß verschleiern müssen.
Ebenso eindrücklich: die Geschichte der Frauenbewegung in Iran, aus dem Off teils von Oscar-Gewinnerin und "The Favourite"-Star Olivia Colman erzählt. Diese Geschichte ist von fantasievollen Aktivitäten ebenso geprägt wie von gewaltsamen Niederschlagungen, von prominenten Streiterinnen wie der Friedensnobelpreisträgerin Shirin Ebadi wie von zahlreichen hierzulande unbekannten Frauen.
Persien ist eigentlich ein Land, in dem Frauen hoch respektiert sind
Wenn Studentinnen und ältere Damen auf Stromkästen steigen und ihren Hijab als weiße Fahne am Stock schwenken, ist das nur eine der jüngsten, über die sozialen Netzwerke verbreiteten Graswurzelaktionen. Sotoudehs Engagement rührt nicht zuletzt aus der Sorge um die Zukunft ihrer Kinder. Auch ihre inzwischen 20-jährige Tochter war im August vorübergehend verhaftet worden.
Das Happy-End liegt in der Vergangenheit. 530 v. Chr. hatten Frauen in Persien das Recht, Eigentum zu besitzen, ihre Finanzen zu regeln, eine Bildung zu genießen und ihren Mann selbst zu wählen, heißt es im Vorspann. Auch wenn das Frauenwahlrecht in Iran schon länger existiert als etwa in der Schweiz: Von solchen antiken Freiheiten ist das Land weit entfernt. Nasrin Sotoudeh hört nicht auf, an die Veränderbarkeit der Verhältnisse zu glauben.
Premiere am 4. Dezember um 18 Uhr u.a. auf www.humanrightsfilmfestivalberlin.de. mit einem Grußwort von Klaus Lederer, verfügbar bis 11. Dezember. Um 20 Uhr Publikumsgespräch mit der iranischen Künstlerin Parastou Forouhar und der Anwältin Anna Gilsbach, moderiert von Andrea Kuhn, der Leiterin des Nürnberger Menschenrechtsfestivals, das die Premiere mitorganisiert hat. Live auf Youtube. Das Human Rights Film Festival streamt noch bis zum 7. Dezember elf Filme aus seinem diesjährigen Programm. Die Ticketerlöse kommen den Partnerkinos Acud, Moviemento und Sputnik Südstern zugute.
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