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Fanny Ardant
© dpa

Fanny Ardant bei der Orchesterakademie der Philharmoniker: Flüstern und Schreien

Kassandra ahnt Unheil voraus. Beim Konzert der Orchesterakademie der Berliner Philharmoniker übernimmt die große Fanny Ardant diese Rolle.

Vom „Altern der Neuen Musik“ ist gern die Rede, doch die so banale wie zutreffende Erkenntnis ist immer wieder: Ausschlaggebend ist allein die Qualität eines Werkes, mit der es seiner Zeit und über sie hinaus etwas zu sagen hat; das Entstehungsdatum spielt da so gut wie keine Rolle. Unter der Leitung der fabelhaften Susanna Mälkki machen Mitglieder der Orchesterakademie der Berliner Philharmoniker Werke der oft verschreckenden seriellen Machart zum erfrischenden, aufregenden Erlebnis.

„Zeitmaße“ von Karlheinz Stockhausen ist ein schönes Beispiel strenger, abstrakter Neuordnung der Töne als Reaktion auf den Traditionsmissbrauch des NS-Regimes. Sie trägt zugleich ihr Gegenteil, die Öffnung zum Zufallsergebnis, in sich. Exakt definierte Zeitmaße dürfen die Musiker flexibel anwenden, was diese als vergnügliches, vielsprachiges Kommunikationsspiel wiedergeben. Da schnattert die Oboe, protestiert die Flöte mit heftigen Läufen, begütigt die Klarinette.

In eine quasi „impressionistische“ Klangwelt lässt zwanzig Jahre später „Dérive“ von Pierre Boulez mit seinen schillernden Trillern und Tremoli eintauchen, abgeleitet vom Material zu „Messagesquisse“, das mit den Tonbuchstaben des großen Mäzens Paul Sacher zu dessen 70. Geburtstag geheimnisvolle Zahlenspiele treibt. Der Philharmoniker-Cellist Bruno Depelaire überführt sie in hochvirtuose, klangschöne Gesten über der flexibel bewegten Grundierung sechs weiterer Celli.

Vielleicht ist das „älteste“ Stück des Abends das Monodram „Cassandre“ von Michael Jarrell, Anfang der neunziger Jahre unter dem Eindruck neuer aufkommender Kriege – im Irak und im Kosovo – geschrieben. Den ins Französische übertragenen Text nach dem Roman von Christa Wolf spricht die große Fanny Ardant mit nervöser Intensität, lässt die wechselnden Gemütszustände der zum Tode verurteilten Seherin zwingend nacherleben. Diskrete Elektronik (Nikolaus Resa) senkt ihre dunkle Stimme zum Flüstern ab, weitet sie zum Schrei. Das nun reich bestückte gemischte Ensemble, in dem Blechbläser und Schlagzeug heftige Akzente geben, liefert mit kreisenden Bewegungen, brodelnden Trillern und unheilvoll grundierten Repetitionen eine relativ eindimensional-diffuse Folie des Bedrohlichen. Ein Sog des Schreckens, des undurchdringlich Unausweichlichen wird so illustriert, dem die Werke des Beginns in so „aufklärerischer“ Komplexität widersprochen hatten.

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