Maria Furtwängler in Berlin: Flunder zum Finale
Theater am Kurfürstendamm: Maria Furtwängler gibt in Noah Heidles Tragikomödie "Alles muss glänzen" die Hausfrau.
Eine pragmatische Hausfrau wie Rebecca weiß selbst der Sintflut ihre positiven Seiten abzugewinnen. Während draußen die Welt untergeht und das Wasser schon mindestens hüfthoch steht, tänzelt Rebecca drinnen unbeirrt vor ihrer bonbonfarbenen Küchenzeile hin und her. Im geeigneten Strömungsmoment öffnet sie das Fenster, greift sich eine im apokalyptischen Strudel mitschwimmende Flunder und haut sie kurzerhand fürs (letzte) Abendmahl in die Pfanne. Tatsächlich putzt, kocht und brät diese alttestamentarische Hausfrauen-Wiedergängerin praktisch abendfüllend gegen den Weltuntergang (und ihren eigenen suboptimalen Lebenslauf) an in Noah Haidles schräger Tragikomödie „Alles muss glänzen“, die 2015 von „Theater heute“ zum fremdsprachigen Stück des Jahres gekürt wurde.
Im Theater am Kurfürstendamm bekommt Rebecca schon in Minute eins begeisterten Szenenapplaus, wenn sie sich in ihrem Fünfziger-Jahre-Kleid formvollendet vom Herd in Richtung Rampe twistet. Denn die regelmäßig am Ku’damm gastierende Theaterproduktionsfirma „santinis production“, die Berlin um „ein Theater nach Broadway- oder Westend- Art“ bereichern will (was ihr schon mehrfach glänzend gelungen ist), bietet Maria Furtwängler als Rebecca auf.
Es ist die erste Theater-Hauptrolle für die Film- und Fernsehschauspielerin, die im Beliebtheits-Ranking der "Tatort“- Kommissare als Hannoveraner Ermittlerin Charlotte Lindholm direkt hinter dem Münsteraner Comedy-Duo Boerne und Thiel auf Platz zwei liegt. Entsprechend groß gestaltet sich die Show natürlich bereits vor der Show im Theater am Kurfürstendamm, das – darauf einigten sich Intendant Martin Woelffer und die Eigentümerfirma des Ku’damm-Karrees bekanntlich vor wenigen Tagen – zusammen mit der benachbarten Komödie bald einem Theaterneubau weichen wird. Nicht nur Schauspiel- und TV-Prominenz von Bibiana Beglau über Dennenesch Zoudé bis zum Berliner Ex-„Tatort“-Kommissar Dominic Raacke ließ sich auf dem roten Teppich ablichten, auch Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen wurde im Saal gesichtet.
Überbordend witzig, aber komplex
Und auf der Bühne? Ist es generell erst einmal wohltuend und löblich, dass das rührige Santinis-Team um Gründer Ivan Vrgoc ein Stück wie „Alles muss glänzen“ an den Ku’damm bringt. Der US-Dramatiker Noah Haidle, der tatsächlich noch nie in Berlin aufgeführt worden ist, schreibt zwar überbordend witzig bis schwarzhumorig, dabei aber durchaus komplex. So eindeutig Klischee-amerikanisch seine Figuren auf den ersten Blick erscheinen, so widerhakenreich entpuppen sie sich auf den zweiten. Sie sind geschult an den Ikonen der US-Unterhaltungsindustrie, aber immer absurde fünf Zentimeter neben der Hochglanzspur – und also ständig auf dem Sprung von der Groteske in die Tragödie und wieder zurück.
Rebecca zum Beispiel kann man sich wunderbar als Sample aus „Zeiten des Aufruhrs“ und „Desperate Housewives“ vorstellen, gegebenenfalls mit einem Mini-Schuss Claire Underwood. Maria Furtwängler allerdings tut in dieser Rolle etwas anderes. Sie setzt auf eine Art psychologischen Alltagszugang. Und mit gesundem Menschenverstand lässt sich weder dem Weltuntergang noch dem surrealen Personal beikommen, das Noah Haidle da auf den letzten vor-apokalyptischen Metern in Rebeccas Küche schwappen lässt. Denn während die Hausfrau mit einer schier unerschöpflichen Realitätsverdrängungsenergie auf Gatten und Sohn wartet, die sie beide längst verlassen haben, schauen lauter ungebetene letzte Gäste bei ihr vorbei.
Das beginnt mit der überdrehten Nachbarin Gladys (Anna Stieblich), die sich erst Rebeccas Messer zum Ehegattenmord und anschließend ein Jagdgewehr zum spektakulären Badezimmer-Suizid leiht. Und es hört mit dem altersschwachen Gelegenheitsvergewaltiger Mr. Chalmers (Ludger Pistor) noch lange nicht auf, den Rebecca mit einem Bügeleisen-Angriff stoppt und der sich als ihr weinerlicher alter Lateinlehrer entpuppt.
All das könnte hochnotkomischer Trash mit beiläufiger tieferer (biblischer) Bedeutung sein. Es verpufft aber in der Inszenierung von Ilan Ronen, der den Santinis vor zwei Jahren mit „Eine Familie“ einen Riesenerfolg beschert hatte, leider allzu oft. Weil gar nicht richtig klar wird, wo der Abend eigentlich hinwill, dabei auch die eine oder andere von Haidles herrlich böse funkelnden Pointen versackt und überhaupt vieles nicht recht zusammenpasst.
Während Maria Furtwängler geradezu liebevoll mitfühlt mit jedem noch so grotesken Kücheneindringling, versuchen andere umso stärker mit Slapstick gegenzuhalten. Allen voran Jerry Hoffmann als durchgeknallter Zeuge Jehovas mit erhöhter Mobiliarzerstörungsbereitschaft oder als linkischer Abschlussballpartner von Rebeccas Teenie-Tochter Rachel (Sarah Alles), der in seinem letzten Auftritt als eine vom apokalyptischen Hai angefressene Leiche aufs Szenario trudelt.
Trotzdem: Eine Entdeckung für Berlin bleibt der Dramatiker Noah Haidle allemal. Und applaudiert wurde sowieso kräftig – und ausdauernd.
Weitere Vorstellungen bis 26. März.
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