Orchesterakademie der Philharmoniker: Flugsimulator für Grünschnäbel
Die Orchesterakademie der Berliner Philharmoniker ermöglicht jungen Musikern einen aufregenden Berufseinstieg. Ein Besuch.
Peter Riegelbauer war der Erste, der den Sprung geschafft hat, damals, 1981: von der Orchesterakademie der Berliner Philharmoniker in Karajans Elitetruppe. 1972 war das zweijährige Exzellenzprogramm für Hochschulabsolventen vom Maestro höchstselbst ins Leben gerufen worden, zum Unmut seiner Musiker.
Denn die Herren Philharmoniker sahen überhaupt nicht ein, warum sie plötzlich Grünschnäbel bei den Konzerten neben sich dulden, ja sie sogar noch unterrichten und betreuen sollten. Karajan aber ließ sich von seiner revolutionären Idee nicht abbringen, besorgte Geld für die Akademie bei seinen reichen Freunden aus der Wirtschaft und schuf so den Prototyp der praxisorientierten Berufseinstiegsbegleitung für Instrumentalisten, der bald von allen großen Orchestern kopiert werden sollte.
Als der Kontrabassist Peter Riegelbauer in Berlin angenommen wurde, hatte sich die Situation für die Akademisten schon gebessert, saßen die erfahrenen Orchestermitglieder und die Newcomer tatsächlich bei den Proben so nebeneinander, wie der Privatjet-Flieger Karajan sich das vorgestellt hatte, nämlich als „Piloten und Kopiloten“.
39 Absolventen haben eine Stelle bei den Philharmonikern bekommen
Nach nur einem Jahr wurde eine Stelle in seiner Stimmgruppe frei, Riegelbauer wagte das Probespiel und wurde angenommen. Seitdem hat er neben seinem Kontrabassistenjob viele Jahre lang als Orchestervorstand entscheidend bei der basisdemokratischen Selbstverwaltung des Orchesters mitgewirkt, seit September 2015 ist er nun Geschäftsführer der Akademie. Und stolz darauf, dass neben ihm mittlerweile 38 Absolventen des Traineeprogramms bei den Philharmonikern spielen. Erst vor wenigen Tagen hat wieder eine Akademistin eine Stelle ergattert, die Geigerin Anna Mehlin.
Was vielleicht auch an dem Probespiel-Coaching lag, das Peter Riegelbauer neu eingeführt hat: „Dabei simulieren wir im großen Saal die Situation unter realen Bedingungen“, erklärt er. „Vor erfahrenen Kollegen und den anderen Akademisten geht es darum, sich zu präsentieren, und zwar sowohl musikalisch wie auch als Künstlerpersönlichkeit.“
Gerade bei Spitzenensembles wie den Philharmonikern gibt es auf jede Stelle Dutzende Bewerber. Da hat der Kandidat nur wenig Zeit, um die Orchestermitglieder für sich einzunehmen. „Nicht allein die musikalische Qualität ist entscheidend, genauso wichtig ist es, wie sich die Bewerber vor dem ersten Ton verhalten, mit welcher Haltung sie auf die Bühne kommen, wie ihre Ausstrahlung ist, ob sie beim Spielen mit den Zuhörern Kontakt aufnehmen“, sagt Riegelbauer. Eine Extremsituation, in die man besser nicht unvorbereitet hineinstolpert. Weshalb bei der anschließenden Einzelbesprechung mit dem Prüflingen jedes Defizit angesprochen wird. Denn diese Vorspiele sind nun einmal das Karriere-Nadelöhr, durch das selbst der Begabteste hindurchmuss.
Schon beim Zuschauen können die Akademisten viel lernen
Ob sie nun bei den Philharmonikern landen oder in einem anderen Orchester – die mittlerweile 700 Absolventen der Akademie wirken immer auch als Botschafter. So hat der 1991 in Bytom geborene Kontrabassist Piotr Zimnik zum Beispiel durch Gunars Upatnieks von dem Programm erfahren. Der Lette, der seit 2011 Philharmoniker ist, hat in Tschechien bei demselben Lehrer wie Zimnik studiert – und half dem jungen Polen dann auch, ein Zimmer zur Untermiete in Zehlendorf zu finden, als der in Berlin als Akademist angenommen wurde.
„Ich bin jetzt seit einem Jahr dabei, aber immer noch rufe ich manchmal bei meinen Eltern an und sage: Ich kann es einfach nicht fassen, dass ich hier mitspielen darf!“, schwärmt der 25-Jährige. Schon vom bloßen Zuschauen könne er sich hier so unendlich viel abgucken von den Profis. Und dann ist da ja auch noch der Einzelunterricht beim Stimmführer Matthew McDonald. Als beglückende Herausforderung empfindet Piotr Zimnik die Möglichkeit, als Akademist regelmäßig in Konzertprogrammen der Philharmoniker eingesetzt zu werden, und dabei seine Vorbilder wie auch die Spitzendirigenten bei den Proben hautnah zu erleben. Heiß begehrt sind natürlich auch die Gastspielreisen des Orchesters: Bei der großen USA-Tournee, die am Montag startet, werden acht Akademisten dabei sein.
Die Klangbalance zwischen den Instrumentengruppen wird geschult
Zusätzlich zum Unterricht und den Orchester-Diensten erarbeiten die Stipendiaten aber in jeder Saison auch noch diverse eigene Projekte. Unter dem Titel „Carte blanche“ beispielsweise stellen wechselnde Mitglieder einmal pro Monat bei rund einstündigen, kostenlosen Kompaktkonzerten ihre aktuellen Arbeitsergebnisse vor. Die Auftritte in größerer Besetzung wiederum werden von renommierten Künstlern wie Ton Koopman oder John Adams einstudiert.
Gerade probt Kolja Blacher, der frühere Konzertmeister, mit den Streichern für einen Auftritt im Kammermusiksaal am Sonntag. Geduldig macht er den jungen Leuten klar, worauf sie bei Bachs A-Moll-Violinkonzert achten müssen, damit es eben nicht nach barocker Nähmaschinenmusik klingt. Um ein Bewusstsein für die Klangbalance zwischen den Instrumentengruppen geht es da, oder auch darum, wie sich Binnenspannungen herstellen lassen oder wie man Noten mehr Gewicht verleiht, ohne dass sie dadurch schwerfällig werden. Kurz, um Fragen der kollektiven Kommunikation, die man eben beim Üben im stillen Kämmerlein nicht lösen kann, sondern nur im Gruppenprozess.
Die Akademie bekommt keine Subventionen
Anders als die neue Barenboim-Said-Akademie, die mit großzügigster finanzieller Unterstützung des Bundes derzeit im ehemaligen Magazingebäude der Staatsoper aufgebaut wird, erhält die Karajan-Akademie der Philharmoniker keinen einzigen Subventions-Euro. Was für Geschäftsführer Peter Riegelbauer bedeutet, dass seine Hauptaufgabe neben der Betreuung der jungen Schützlinge vor allem die Akquise privater Fördergelder ist. Die allerdings immer schwerer wird in Zeiten, in denen viele Stiftungen wegen der Nullzinsen kaum noch Gelder ausschütten können und immer weniger Unternehmen von bildungsbürgerlich geprägten Führungskräften geleitet werden.
Umso wichtiger werden da Aktionen wie die Wohltätigkeitsauktion am Donnerstag im Hotel Adlon, bei der in Zusammenarbeit mit dem Verband Berliner Kaufleute und Industrieller unter anderem ein Jonathan-Meese-Bild, ein Mercedes oder eine Kreuzfahrt für den guten Zweck versteigert wurden. Sogar Sir Simon Rattle kam dabei unter den Hammer: Mit dem Meistbietenden wird sich der Philharmoniker-Chef demnächst zum exklusiven Dinner treffen. Den Akademisten zuliebe.
Kolja Blacher dirigiert die Orchesterakademie am Sonntag um 11 Uhr im Kammermusiksaal. Die nächsten Carte-blanche-Konzerte finden am 19.12. u. 20.1. statt.