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Tanztheater mit humanitärer Botschaft. Sasha Waltz will in „Exodos“ auch vom Drama der Migration erzählen.
©  Carolin Saage

"Exodus" von Sasha Waltz: Flucht in die Party

Sasha Waltz & Guest feiern mit der immersiven Choreografie "Exodus" im Radialsystem ihr 25-jähriges Jubiläum.

Nach der Premiere von Sasha Waltz’ neuer Kreation „Exodos“ kann man schon mal festhalten: Das Radialsystem wird nicht zum neuen Berghain. Zwar verwandelt sich die große Halle gegen Ende in einen Techno-Tempel, Tänzer zucken zu den elektronischen Klängen des Soundwalk Collective, ziehen auch viele Zuschauer auf den Dancefloor.

Alle sollen hier Teil einer euphorischen Rave Community sein, keiner muss draußen bleiben. Doch von kollektiver Ekstase, von rauschhaftem Verschmelzen zu einer Gemeinschaft ist hier wenig zu spüren. Die Cluberfahrung haben andere Choreografen schon überzeugender auf die Bühne gebracht.

Ihr 25-jähriges Jubiläum feiern Sasha Waltz & Guests mit einem immersiven Projekt, was gerade sehr angesagt ist. Die Trennung zwischen Bühne und Publikum ist aufgehoben. Die Zuschauer können sich frei durch den Raum bewegen, man ist gezwungen, sich ins Gedränge zu stürzen, Distanz aufzugeben. Und eh man sich’s versieht, hat man einen Performer an der Hacke.

Lust an der Entgrenzung

Thematisch knüpft Sasha Waltz an ihre Vorgängerproduktion „Kreatur“ an. Auch diesmal will sie Tanztheater mit einer humanitären Botschaft inszenieren. Es geht um Grenzen und die Lust an der Entgrenzung. Einerseits erzählt Waltz von Flucht und Migration, will die menschlichen Dramen hinter Zahlen und Statistiken sichtbar machen. Andererseits geht es auch um die kleinen Fluchten aus dem Alltag. Im Neugriechischen bedeutet „Exodos“ einerseits Ausgang, aber auch das nächtliche Ausgehen – viele Clubs und Bars tragen das Wort im Namen. „Exodos“ bedeutet aber auch Flucht oder Ausweg. Ein Begriff, der auch im Theater eine lange Tradition hat: „Exodos“ meint hier das Verlassen der Bühne und den Moment, in dem die Maske abgestreift wird. Die existenzielle Suche nach einem Ausweg, die Sehnsucht nach Ekstase, nach der temporären Befreiung vom eigenen Selbst – all das wird hier miteinander verknüpft. Doch im Laufe des fast dreistündigen Abends verzettelt sich Waltz immer mehr.

Die Performer irrlichtern durch den Raum

Anfangs mutet die Performance wie eine Installation an. Wenn die Zuschauer in den Saal strömen, fühlen sie sich wie in einem ethnologischen Museum oder einem anatomischen Kabinett. Einzelne Tänzer in exzentrischen Outfits sind in Plexiglaskästen eingezwängt. Die Berliner Nachtgeschöpfe des frühen 21. Jahrhunderts scheinen hier konserviert für spätere Generationen. Wenn die Performer ihre Gehäuse verlassen, wirken sie orientierungslos, irrlichtern durch den Raum, malen mit Kreide Linien auf den Boden oder deponieren kleine Zettel. Ein Mann schleppt eine Reisetasche mit sich, aus der eine Frau hervorkriecht. Die Performer mutieren zur menschlichen Fracht. Später werden mit Seilen gefesselte Körper über den Boden geschleift.

Vier Tänzer verhaken ihre Glieder, bilden eine Barriere: Es entwickelt sich ein reger Grenzverkehr. Die Flüchtenden kriechen durch die Schlupflöcher, die sich auftun. Und ziehen immer wieder auch einen Zuschauer mit auf die andere Seite. Das Publikum soll sich mal kurz in die Rolle der Geflüchteten versetzen. Ein blauäugiges Vorhaben, denn niemand wird seine Haltung zur Asylpolitik ändern, weil er hier einen Grenzposten überwunden hat. Das Ganze hat eher was von einer Krabbelgruppe mit Publikumsbeteiligung.

Aus der Protestbewegung wird eine Party

Ein Ausgang scheint sich aufzutun, eine Tür in eine andere Welt. Doch die Prozession mit pseudorituellen Gesten führt ins Nichts. In der folgenden Gruppenszene sieht man die die Tänzer hin und her wogen, als würde eine Welle sie erfassen. Sie werden zum Spielball äußerer Kräfte. „Utopia“, skandiert die Menge später – und andere politische Parolen, die in Nonsense umschlagen. Der Exodos, der Auszug in ein gelobtes Land, mag die Suchenden befeuern. Doch aus der Protestbewegung wird eine Schar von Party People, wild entschlossen, sich zu vergnügen. Hier driftet die Choreografie ins Alberne ab. Immer wieder werden die Kreaturen in den Glaskasten gesperrt. Etwa der mexikanische Tänzer, der von der aufgeputschten Menge verspottet wird.

26 Tänzer und Tänzerinnen versammelt Waltz auf der Bühne. Zwar ist in manchen Momenten die Kraft der Gruppe zu spüren, doch wie hier kollektive Dynamiken durchgespielt werden, ist ziemlich absehbar. Choreografisch bricht Sasha Waltz in „Exodos“ nicht zu neuen Ufern auf. Die Komposition, die Clubsounds mit Geräuschen von Orten entlang der Fluchtrouten mischt, vermag nicht wirklich zu irritieren. Wie hier Politik und Party vermengt werden, ist nicht nur befremdlich, sondern hat fast etwas Frivoles.

Noch einmal 25. und 26.8., 20 Uhr

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