Horváth-Ausstellung in Wien: Fluch der Heimat
Das Österreichische Theatermuseum in Wien würdigt Ödön von Horváth mit einer Ausstellung. Sie folgt den Lebensspuren anhand seiner drei bedeutendsten Bühnenwerke.
Vor 80 Jahren, am 13. März 1938, wurde Österreich dem Deutschen Reich „angeschlossen“. Wenig später, am 1. Juni, starb Ödön von Horváth auf den Champs-Elysees von Paris durch einen im Gewitter herabstürzenden Ast. Zwischen beiden Ereignissen gibt es keinen Zusammenhang. Und doch ist man geneigt, darin eine finstere Symbolik zu erkennen. Horváth hatte sich als einer der scharfsichtigsten Kritiker des Faschismus hervorgetan. Wenn hier der Begriff „Faschismus“ anstelle des „Nationalsozialismus“ verwendet wird, so mit Bedacht. Der 1901 im damals österreichischen Fiume, dem heutigen Rijeka, geborene und später überall und nirgends lebende Schriftsteller und Dramatiker hatte die länderübergreifende Gemeinsamkeit der faschistischen Strömungen erkannt – ihre gemeinsame Herkunft aus Kleinbürgertum und depravierten Schichten im Sog der Wirtschaftsmisere.
Es ist höchst verdienstvoll, dass das Österreichische Theatermuseum an Horváth aus Anlass seines 80. Todestages erinnert und dem Heimatlosen eine Art Heimat gibt – gerade hier, in einer der Hauptstädte des deutschsprachigen Theaters. Eine andere ist Berlin. Gäbe es hier eine vergleichbare Institution, sie müsste sich um die Übernahme der Ausstellung reißen. In Berlin hatte Horváths berühmtestes Stück, „Geschichten aus dem Wiener Wald“, am 2. November 1931 am Deutschen Theater seine Uraufführung, für die Heinz Hilpert eine Spitzenbesetzung aufbot: Carola Neher, Peter Lorre, Hans Moser und Paul Hörbiger. Er hatte sie ausgesucht auch unter dem Gesichtspunkt, dass die Genannten dem Klang des Stückes und der Rollen nahestanden.
Auch wenn die „Geschichten“ als „Ein Volksstück“ annonciert werden, ist Horváth alles andere als ein Mundartdichter. Die präzise Beobachtung von Wortschatz und Satzbau seiner Figuren ist von entscheidender Bedeutung – in den „Geschichten“ wie in „Kasimir und Karoline“. Das Stück wurde uraufgeführt im November 1932 in Leipzig und später sein zweitmeist gespieltes Werk. „Es darf kein Wort Dialekt gesprochen werden!“, diktierte Horváth: „Jedes Wort muss hochdeutsch gesprochen werden, allerdings so wie jemand, der sonst nur Dialekt spricht und sich nun zwingt, hochdeutsch zu reden.“
Verknüpfung zwischen Erotik und Ökonomie
Wenn Brecht der Meister der Verfremdung ist, dessen Stücke im abstrakten Raum angesiedelt sein können, dem chinesische oder englische Namen nur als Chiffren dienen, ziehen Horváths Figuren ihre bezwingende Glaubwürdigkeit aus der Verwurzelung im Heimatlichen, das innen keine Heimat mehr ist, aber sie dennoch niemals loslässt und dem sie nicht entfliehen können.
Die Kuratoren Nicole Streitler-Kastberger und Martin Vejvar haben die beiden genannten sowie das dritte der bekanntesten Stücke, die „Italienische Nacht“ ebenfalls von 1931, genommen und als Bühnenbilder ausgestellt. So lassen sich die drei Themen der Ökonomie ( in den „Geschichten“), der Erotik (in „Kasimir und Karoline“) und der Politik (in der „Italienischen Nacht“) eng an den jeweiligen Texten behandeln. Wobei die Verknüpfung zwischen Erotik und Ökonomie in Form der Käuflichkeit der Liebe am engsten ist und vielleicht das Hauptthema von Horváths Dramatik bildet – während die Politik, dargestellt an der Saalschlacht besagter „Italienischer Nacht“, ihn nur insoweit interessiert, als sie sich auf der unmittelbarsten Ebene von Faustkampf und Maßkrugschmeißen abspielt.
Der Besucher geht also hinein in die Fleischerei „im 8. Bezirk“, in der Oskar „die Sau absticht“ und damit bereits den engen Horizont ausspannt, in dem sich seine Liebe abspielen wird – verdichtet in jenem viel zitierten „du wirst meiner Liebe nicht entgehn“. Da hängen „Wiener Würste“ am Haken, der Schweinskopf glänzt in der Auslage, während auf einem Monitor der junge Helmut Qualtinger als Fleischhauer Oskar in der Fernsehinszenierung des ORF von 1961 zu sehen und zu hören ist, eine Idealbesetzung in körperlicher und stimmlicher Hinsicht.
Links setzt sich die Ausstellung auf einem Rummelplatz fort, ein veritables Karussell ist da zumindest zur Hälfte im Museum aufgebaut, und als Ort ebenso billigen wie flüchtigen Vergnügens spiegelt es die Liebesbeziehungen, die sich kreuz und quer zwischen den Protagonisten des Stücks entwickeln oder eben auch nicht. Rechts dann – die Räume im barocken Palais Lobkowitz gestatten leider keine geradlinige Folge – gelangt man in einen Bierkeller oder auch Biergarten, mit Klappbänken und zerbrochenen Bierkrügen – und mit einem Rundfunkempfänger wie jenem, aus dem Horváth am 10. Februar 1933 die berüchtigte Sportpalastrede Hitlers hörte, ausgerechnet im oberbayerischen Murnau, wo er Jahre zuvor Zeuge einer Saalschlacht gewesen war, die den biografischen Hintergrund der „Italienischen Nacht“ bildet. Horváth forderte die Bedienung auf, das Radio abzudrehen – was man, hört man als Heutiger das geifernde Geschrei Hitlers, allzu gut verstehen kann. Nur die Mitgäste verstanden es nicht, und Horváth konnte nur unter Geleitschutz ausgerechnet des örtlichen SA-Führers unverprügelt das Lokal verlassen.
1937 schrieb Horváth „Jugend ohne Gott“
Horváth verließ daraufhin Deutschland und ging nach Österreich, wo er in Wien sowie bei Salzburg lebte und Carl Zuckmayer nahestand, auf dessen Empfehlung hin Horváth 1931 noch vor der Uraufführung der „Geschichten“ den Kleist-Preis erhalten hatte; übrigens zugleich mit dem späteren Tagesspiegel-Mitbegründer Erik Reger. Nicht mehr Gegenstand der Wiener Ausstellung ist die Emigrationszeit des Dramatikers, der zum Romanautor wurde und mit „Jugend ohne Gott“ 1937 ein Hauptwerk auch dieser Gattung schuf.
Mit Ausschnitten verfilmter Inszenierungen angedeutet hingegen ist die Rezeptionsgeschichte der Horváth’schen Stücke nach dem Zweiten Weltkrieg, die in Wien anfangs ablehnend bis zu offener Feindseligkeit war. Erst mit der ORF-Inszenierung von 1961 kam die Wende, die die Etablierung als Theaterklassiker einleitete, später dann beispielsweise gespielt an der Berliner Schaubühne in der Regie von Klaus Michael Grüber (1972) oder auch an der Volksbühne 2006 unter Christoph Marthaler. Aus den Volksstücken sind Welt-Stücke geworden.
Wien, Theatermuseum, Lobkowitzplatz 2, bis 11. Februar 2019. Begleitbuch 35 €. Mehr unter www.theatermuseum.at
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