Deutsche Erstaufführung an der Komischen Oper Berlin: Blechschäden
Herzlos und motorisiert: Michal Zadara verlegt Horváths „Geschichten aus dem Wiener Wald“ deftig in die Gegenwart.
Eigentlich konnte es kaum einen besseren Abend für die Premiere für Ödön von Horváths zur Oper gewandelte „Geschichten aus dem Wiener Wald“ geben: Es ist zum ersten Mal richtig heiß in der Stadt, Motoren jaulen, Grills rauchen, eilig geleerte Bierflaschen zerschellen und verwandeln das gerade noch Erholung spendende Grün in ein Minenfeld. Unterdessen macht die Nachricht die Runde, dass sich die Hälfte aller wahlberechtigten Österreicher einen Mann zum Präsidenten wünscht, der mit einem Lächeln vorgetragene Unmenschlichkeiten als Politik feilbietet. Die Trägheit des Herzens, die schwitzende Herrschaft des Ressentiments, das Abgedroschene, unter dem eine neue Barbarei hervorlugt. Horváth ist uns auch heute niemals fern.
Uraufgeführt wurde sein „Volksstück“ 1931 in Berlin, die rechte Presse wetterte, der Autor habe das „goldene Wiener Herz“ in Jauche ertränkt. Verlogene Sentimentalität und mörderische Gemütlichkeit entlarvt Horváth mit im Kern musikalischen Mitteln. Sein Theaterstück ist eine Partitur, die sich jedem, der sie liest, unwillkürlich zu Musik fügt. Mit langen, auch quälenden Pausen, klingenden Erinnerungen, die nichts mehr wert sind, schal gewordener Unterhaltung, splitternden Takten erkalteter Gefühlsregungen. In unmittelbarer Nachbarschaft zur „Dreigroschenoper“ uraufgeführt, soll sich Horváth Musik von Weill für seine „Geschichten aus dem Wiener Wald“ gewünscht haben. Es kam nie dazu, doch Jahrzehnte später nahm der große Weill-Interpret und Wiener Komponist HK Gruber diese Fährte auf.
Ein wirbelndes Singspiel mit eingängigen Hits ist sein 2014 bei den Bregenzer Seefestspielen uraufgeführtes Musiktheater jedoch nicht geworden. HK Gruber, der nie etwas gegen einen guten Witz und ein fetziges Arrangement einzuwenden hat, erliegt in seinem 72. Lebensjahr den Verlockungen der großen Oper, die mal mit Strawinsky zuschlägt, mal vor sich hin swingt. Dass er es sich und seinen Zuhörern damit nicht leicht macht, war am Ufer des Bodensees deutlich zu spüren. Hinzu kam eine jener zögerlichen Uraufführungsinszenierungen, die ganz aus dem innersten Entstehungszirkel stammen (Regisseur Michael Sturminger hat auch das Libretto für HK Gruber eingerichtet) – und den beherzten theatralen Absprung nur selten schaffen.
Man trägt hier Tattoo und Schmerbäuche zur Schau
Die Hoffnung auf eine umfassende Entdeckung der „Geschichten aus dem Wiener Wald“ für die Opernbühne liegt daher bei der Komischen Oper, die nun die deutsche Erstaufführung mit neuem Team angeht. Regisseur Michal Zadara und Dirigent Hendrik Vestmann haben dafür auch an der Fassung gebastelt, mit voller Rückendeckung des Komponisten. Der Berliner Wiener Wald legt um einiges an Wucht zu und scheut sich vor keiner Aktualisierung. Das Verlobungsgelage für Marianne und den ungeliebten Fleischer Oskar (kindlich vernagelt: Adrian Strooper) findet auf einem Parkplatz an einem betonierten Flussabschnitt statt. Man trägt hier Tattoo und hält Schmerbäuche in den Sonnenschein, der Grill qualmt. Auf Oskars Golf-Cabrio prangt der Slogan „Fleisch ist geil“.
Dass Marianne (beherzt: Cornelia Zink) im letzten Moment aus diesen Milieu des dumpfen Unbehagens ausbrechen will, ist allzu verständlich. Doch sie landet ausgerechnet im Auto von Alfred, dem Filou in Flipflops (kunstvoll ausgeleiert: Tom Erik Lie). Gefackelt wird da nicht lange, während die übrige Festgemeinschaft sich pyrotechnisch ergießt, bewegen Bühnenarbeiter Alfreds Opel in eindeutigen Stößen, der Fuchsschwanz am Rückspiegel erzittert. Nach gebührender Szene fährt man unter Verwünschungen auseinander, und Marianne und Alfred gleiten durchs nächtliche Berlin, bereits am Ende von etwas, das noch gar nicht begonnen hatte.
Am Sprachgeklingel hätte Horváth seinen Spaß gehabt
Wo Autos die Szene beherrschen, ist Unmenschlichkeit nie weit. Regisseur Michal Zadara und sein Ausstatter Robert Rumas ziehen diese Sicht konsequent durch. Statt in eine Kirche, eilt Marianne zu einem Beichtmobil („Gott hat dir im letzten Moment dieses Auto zugeführt“). Doch die motorisierten Menschen sind stets die herzlosen. Mit Blech umgibt sich eine abgehalfterte Männergesellschaft, ungebremst in ihrem abgrundtiefen Frauenhass vereint. Von Ausländern steht ja auch nicht viel drin, in den „Geschichten aus dem Wiener Wald“. Deshalb taucht auf der Bühne kurz ein aktuelles Plakat der FPÖ auf. Es gibt sich fromm: „Liebe deine Nächsten.“ Führt dann ganz fesch aus: „Für mich sind das unsere Österreicher.“ Und zieht daraus schamlos die Summe: „Höchste Zeit für Nächstenliebe.“ An diesem Sprachgeklingel hätte Ödön von Horváth seinen Spaß gehabt. Es wäre eigentlich auch was für HK Gruber gewesen. Etwas zum herzhaft Zubeißen. Zum Entlarven unter befreiendem Gelächter.
An der Komischen Oper aber wird eine tattoomarkierte, haltlose Nichtmehrmittelschicht auf der Bühne abgestellt, auf die man aus sicherer Entfernung hinabblicken kann. Auch wenn diese Perspektive stellenweise mit Verve vorgetragen ist, sie bleibt bequem und vor allem falsch. Wie die beige Nazi-Jacke, die Karan Armstrong bei ihrem kurzen Auftritt als mörderische Großmutter trägt. Das wahre Grauen steckt nicht im Kostüm, sondern in einem mitleidslosen Willen zum Leben, der jederzeit über die Leichen jüngerer Generationen hinwegschlurfen würde. Gänzlich auf verlorenem Terrain landet der Abend durch seine allzu leichtfertig ausgestellte Gewalt gegen Frauen. Das, was Horváth selbst das „Unheimliche“ in seinen Stücken nannte, existiert nur noch als das „Monströse“. Und wir sehen den Wiener Wald vor lauter Bäumen nicht mehr.
Weitere Vorstellungen am 29. Mai, 11. und 17. Juni sowie am 7. Juli
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