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Poesie auf Blau. Die Flagge des Portugiesen Carlos Noronha Feio.
© infectedlandscapes

Kunstprojekt hinterfragt Nationalismus: Flagge zeigen für Europa

Künstler aus den EU-Staaten präsentieren Fahnen rund um den Scharmützelsee. Sie verhandeln Themen wie Identität und Inklusion.

Flaggen können die Identität eines Landes oder einer Gruppierung auf den Punkt bringen. Sie kommunizieren Zugehörigkeit. Andererseits wird daraus auch leicht ein Symbol für Abschottung und Ausschluss.

In Zeiten, in denen Themen wie Zugehörigkeit und Identität von Populisten in den Dienst genommen werden, sind Flaggen ein gefährlicher Stoff.

Kunst kann im Kampf um Bedeutung eine reinigende Wirkung haben. Sie kann umdeuten, neutralisieren, im besten Fall neue Verbindungen schaffen.

Mit diesem Gedanken entstand der Ausstellungsparcours „Flagge zeigen“, den die Kuratorin Susanne Prinz und die Künstlerin Lena-Marie Emrich im Ausflugsgebiet Oder-Spree auf die Beine gestellt haben.

Das passt in verschiedener Hinsicht gut in diesen Sommer: Zum einen ist Kunst an der frischen Luft coronatauglich. Zum anderen wurde das Projekt auch aus Anlass der derzeitigen deutschen EU-Ratspräsidentschaft geplant.

Herkunft als pro-europäisches Statement

Emrich und Prinz, Letztere lebt seit vielen Jahren in Storkow, haben 28 Künstlerinnen und Künstler aus 27 EU-Staaten plus Großbritannien eingeladen jeweils eine Flagge zu gestalten. Die Werke werden an freien Fahnenmasten in der Region präsentiert.

Die Herkunft der 28 Teilnehmerinnen ist als pro-europäisches Statement zu verstehen. Die Künstler vertreten zwar ihre Länder, sollen aber explizit „machen, was sie wollen“.

Die Flagge mit dem Titel "Chickens" von Juan Pérez Agirregoikoa (ESP) zeigt einen Turm aus Adlern, die sich benehmen wie ein Haufen drängelnder Fans.
Die Flagge mit dem Titel "Chickens" von Juan Pérez Agirregoikoa (ESP) zeigt einen Turm aus Adlern, die sich benehmen wie ein Haufen drängelnder Fans.
© Martin Zellerhoff

So beschäftigen sich die wenigsten direkt mit nationaler Zugehörigkeit, die meisten wollen auch von Heraldik nichts wissen. Vielmehr geht es um existentielle und gesellschaftliche Themen.

Beuys lässt grüßen

Am Ort der Eröffnung, dem Restaurant „Freilich am See“ am Ufer des Scharmützel Sees, zeigt einer der prominentesten Teilnehmer im Feld, was ihm zum Thema Zeichen und Identität einfällt.

Der Berliner Konzeptkünstler Daniel Knorr, gebürtiger Rumäne, Teilnehmer der Venedig Biennale und vieler internationaler Ausstellungen, hat aus dem Stoff von Umzugsdecken zwei Fahnen nähen lassen, die grau und schwer an ihren Masten hängen.

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Der Stoff besteht allerdings aus recyceltem Material. Das Grau, das sich aus der Verschmelzung verschiedener Farben, Stoffe und Materialien ergibt, soll gar nicht trist wirken, sondern als neutrale Farbe die Möglichkeit eines Neuanfangs symbolisieren.

Auch Joseph Beuys lässt grüßen. Filz, eines seiner häufigsten Materialien, verstand er als Wärmespeicher, als Katalysator für Kreativität und Entwicklung. So ist es auch hier gemeint.

Gedanklich von Nationalismen befreien

Am vergangenen Sonntag, als die Ausstellung eröffnete, war der Himmel bedeckt, zwischendurch schüttete es und Wind gab es auch nicht. Manche Fahnen hingen, vom Regen durchnässt, schlaff an ihren Masten. Andere konnte ihre Botschaft zum Glück etwas deutlicher in den Himmel schreiben.

Die Finnin Miia Autio hat auf ihrer Fahne Maßbänder auf blauem Stoff gedruckt, um über Inklusion, Exklusion und die Geschichte der Anthropometrie nachzudenken.

Die in Berlin lebende kroatische Künstlerin Nika Radic liefert mit ihrer Arbeit ein Angebot, sich gedanklich von allen Nationalismen zu befreien. Ihre Fahne zeigt ein Stück Himmel.

Diese Dopplung lässt den echten Himmel umso deutlicher hervortreten. Wäre das nicht ein gutes Sinnbild für die EU: der Himmel als gemeinsames Dach, das alle verbindet und doch Freiheit für jeden bedeutet.
Die Flaggenparade erstreckt sich über eine Strecke von rund 45 Kilometern rund um Scharmützelsee, Großer Storkower See und Großer Schauener See. Um alle Fahnen anschauen zu können, empfiehlt sich eine Radtour. Die Fahnen hängen bis 30. Oktober. www.infectedlandscapes.eu

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