Frank Castorfs Ring: Finale in der Wall Street
Nach der „Götterdämmerung“ will Regisseur Frank Castorf Bühne und Buhs in Bayreuth für sich allein. Dabei sind Dirigent Petrenko und Bühnenbildner Denic die Stars beim Jubiläums-„Ring“.
Er hatte das alles sorgfältig inszeniert in den letzten Tagen. War ja auch nichts mehr zu tun nach den Generalproben und noch so viel Zeit zu überbrücken bis zur finalen „Götterdämmerung“. Erst dann, zum Finale des Jubiläums-„Rings“, sollte sich Frank Castorf mit seinem Team dem Publikum stellen, die ungeschriebenen Bayreuther Festspielgesetze verlangen es so, auch zu Wagners 200. Geburtstag.
Also streute der Regisseur zumeist lächelnd Stellungnahmen zur eigenen Arbeit. Den traditionell einflussreichen Freunden von Bayreuth versicherte er, mit Buhrufen auf dem Grünen Hügel gut leben zu können. „Ich bin ja das Kontroverse gewohnt und versuche auch, es zu erreichen.“ Im Radio erklärte Castorf, Kinder würden seinen „Ring“ schon verstehen, aber „Hochschulprofessoren werden ihre Probleme damit haben“. Es ist mithin alles bestens präpariert für den Showdown am Dienstag. Und dann geht doch alles schief.
Als Castorf und seine Mitstreiter vor den Vorhang treten, trifft sie eine Buhsalve, die sich der Regisseur in den vergangenen 16 Spielstunden umfassend ertrotzt und verdient hat. Doch wahrhaben will er das plötzlich nicht mehr. Und greift wiederholt zu Gesten, die freundlichstenfalls bedeuten „Denkt doch mal nach“ oder „Ihr Wagnerianer habt ja einen Vogel“. Die aber schlicht auch als „Ihr spinnt alle!“ interpretiert werden können. Danach will er nicht mehr abtreten von der Bühne, legt den Kopf etwas schief in den Nacken und hört den Buh-Stürmen beim Wachsen zu.
Sein Team, das etliche Bravos für Kostüme, Bühne und Licht hätte einheimsen können, versucht ihn liebevoll und nibelungentreu mit hinauszuziehen. Castorf steht weiter da, selbst als Dirigent Kirill Petrenko seinen Kopf durch den Vorhang steckt und darum bittet, doch jetzt einmal das famose Festspielorchester zu würdigen und die Sänger noch einmal an die Rampe zu lassen. Irgendwann, inzwischen pfeifen sie auch lautstark aus im Zuschauerraum, schlendert Castorf dann betont desinteressiert ins Seitenaus, um dort erst mal das Handy zu zücken.
Statt „Born bad“, wie Castorf seine Nibelungen-Adaption nach Hebbel 1995 an der Volksbühne taufte, auf einmal nur noch „Erniedrigte und Beleidigte“. Hat man ihn doch falsch verstanden? Die Liebe nicht gespürt, mit der Richard Wagners Welttheater hier Gestalt angenommen hat? Hätte er nach dem „Rheingold“ vor den Vorhang gedurft, Castorf hätte auch Bravo-Rufe einsammeln können. Den „Vorabend des Bühnenfestspiels“ probte er zuletzt, angeblich in nur neun Tagen. Wie am Set einer Soap sei es da zugegangen, gab der Regisseur zu Protokoll. Die Zuschauer hatten am lustvoll und lüstern Hingehauenen weitgehend ihren Spaß. Doch es folgten eine unbearbeitete „Walküre“ und ein brachial ironisierter „Siegfried“, der letzte Binnenstrukturen in Wagners Operntetralogie zielstrebig vernichtete. Da nahm Castorf längst nur noch weg, um zu zerstören, ohne etwas geben zu wollen. Grausamer Geiz!
Das Lustprinzip, nach dem der Volksbühnenchef zu Werke geht, hat einen Webfehler. Es ist unauflöslich an den Frust gekettet, die Unlust, das Auskotzen. Bei Wagners Unterwerfungstheater bekommt man schnell einen dicken Hals – eine aufregende Inszenierung, zumal über 16 Stunden hinweg, wird daraus noch lange nicht. Wie brutal Castorf seine Zuneigung aufspaltet, kann man etwa an Catherine Fosters Brünnhilde erleben. Die Britin fand inszenatorisch keinerlei Beachtung, wohl, weil sie als eher klassisch proportionierte Wagner-Heroine nicht das Interesse des Regisseurs wecken konnte. Fosters Verbitterung darüber ist unübersehbar, wenn sie entnervt Videoleinwände wegstößt – und wenn der letzte Rückhalt für ihre im Ansatz großartige Rollengestaltung fehlt, fernab aller vor sich hin orgelnden Brüllhilden.
Auch wenn er in Bayreuth eine grundfeindliche Haltung gespürt haben will, „wie in der DDR“: Castorf kann sich über mangelnde Unterstützung weiß Gott nicht beklagen. Kirill Petrenko, der stürmisch gefeierte „Ring“-Dirigent, geht bei seinem Hügel-Debüt etliche Wagnisse zugunsten der Regie ein. Er akzeptiert, dass Sänger aus engen Räumen heraus indirekt singen, nur um auf Video gebannt werden zu können. Selbst dann bricht nie der sehnige Kontakt zum Graben ab. Petrenko koordiniert über unglaubliche Entfernungen hinweg, wenn Castorf die Darsteller in schwindelerregende Höhen jagt. Einem Thielemann hätte man so vermutlich nicht kommen können.
Doch Petrenko, Theatermusiker aus Leidenschaft, hält den Laden zusammen, mit schier endloser Energie. In der „Götterdämmerung“ angekommen, schenkt er Vertrauen zurück, lässt sein Orchester hörbar von der Leine. Es wird lauter zum Finale, doch es deckt nie die Stimmen zu. Wagner wird stets im Fließen begriffen, nicht abgeschieden auf der schrundigen Scholle des Pathos. Unter Petrenkos liebevollem Walten wächst Wolfgang Koch als Wotan über das hinaus, was seine Stimme eigentlich vermag. Und die Rheintöchter Mirella Hagen, Julia Rutigliano und Okka von der Damerau treffen am Ende genau jenen irisierenden Klang, der die Tür aufstößt in eine andere, neue Welt. Dafür ist sie da, die einzigartige Akustik des Festspielhauses.
Überzeugender als Frank Castorf könnte Bühnenbildner Aleksandar Denic für sich in Anspruch nehmen, diesen „Ring“ geprägt zu haben. Einst stattete er Filme für Emir Kusturica („Underground“) aus; auf dem Hügel legt er eine bildmächtige Spur, die dem unterwegs vergessenen Gedanken folgt, dass heute das Öl jenes Gold sei, aus dem der Ring des Nibelungen geschmiedet wird. Ein ewiges Schwungrad aus Gier und Geiz. Von einer Tanke an der Route 66 („Rheingold“) geht es zum Bohrturm in Baku („Walküre“), vom Alexanderplatz („Siegfried“) über eine Dönerbude zur Wall Street („Götterdämmerung“). Rauschhafte Räume beherrschen die Drehbühne, Filmsets in atemberaubender Detailtiefe und Qualität. Doch zu einer akustisch-szenischen Einheit will nichts heranreifen, weil die Regiegedanken allzu rar sind und sich unnütze Video-Verdoppelungen wie Mehltau über Denics Wunderwerke legen.
Weißt du, wie das wird? Im Vorfeld war immer wieder zu hören, dass dieser „Ring“ zur Bewährungsprobe für die Festspielleiterinnen werden könnte. Katharina Wagner und Eva Wagner-Pasquier glänzen ausgerechnet zum Jubiläum ihres Ahnen auffällig durch Abwesenheit. Das Konzert samt Feierversuch am Geburtstag Wagners im Mai wird als emotionaler und organisatorischer Tiefpunkt in die Annalen Bayreuths eingehen. Geraten die Halbschwestern auf Castorfs Öl so sehr ins Schlingern, dass ihre für September anstehende Vertragsverlängerung gefährdet ist?
Nichts deutet darauf hin. Es sind genügend Baustellen rund um Wagner eröffnet: Das eingerüstete Festspielhaus muss über Jahre hinweg saniert werden, Haus Wahnfried ist geschlossen und erhält einen umstrittenen Anbau. Keiner der Gesellschafter ist da auch noch auf eine Nachfolgediskussion erpicht.
Drastische Konsequenzen sind vom Castorf-„Ring“ also nicht zu erwarten. Auch weil man sich kaum vorstellen kann, dass der Volksbühnen-Chef die nächsten Jahre immer brav zum Grünen Hügel reisen wird, um in der „Werkstatt Bayreuth“ weiter an seiner Inszenierung zu hobeln. Sein Team wird das wohl für ihn erledigen. Und vielleicht bekommt auch Brünnhilde von einem Assistenten noch etwas Aufmerksamkeit geschenkt. Dann wird Catherine Foster zeigen, dass sie die Größte sein kann.
Allen Wagnerianern, die nicht bei Castorfs Schlacht um Bayreuth dabei sein konnten, bleibt ein kleiner Trost. Für fünf Euro bietet das Wagner-Museum Bayreuth eine Patenschaft für einen persönlichen Takt der „Götterdämmerung“ an (www.wagnermuseum.de). Der Erlös kommt der Sanierung des Museums zugute, und jede Spende sorgt dafür, dass die jeweiligen Noten der interaktiven Partitur zum Klingen gebracht werden. Wagner hat übrigens „vollendet in Wahnfried, ich sage nichts weiter“ unter die letzten Takte geschrieben. Wenn Wahnfried eines fernen Tages seine Türen wieder öffnet, wird das Ergebnis präsentiert. Einziger Wermutstropfen: Alle „Heil“-Rufe sind schon ausverkauft. Ein Frank Castorf aus Berlin ist nicht unter den Stiftern.
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