Berlinale Shorts: Filme aus den 68ern
Potenzial im Vergangenen: Die Berlinale-Shorts zeigen wilde Filme aus dem Jahr 1968.
Es war 1968, die Nachkriegsgeneration hatte die Nase voll vom Blendwerk des Kapitalismus. Weltweiter Aufruhr, Intellektuelle, Künstler, Filmleute wurden von der studentischen Bewegung mitgerissen. Wenn möglich werden Schaltzentralen des Establishments in wilder Manier besetzt und zur Bühne permanenter Diskussion erklärt.
Zum Jahresbeginn 1968 hatten Studenten der Film- und Fernsehakademie Berlin das Experimentalfilmfestival im belgischen Badeort Knokke-le-Zoute gesprengt, ihr Schlachtruf hieß: Realité! statt selbstverliebter Kunst. Im Mai setzten François Truffaut, Jean-Luc Godard und ein ganzer Saal wütender Filmrevolutionäre in Cannes den Abbruch des Festivals durch. Aufrufe zur Erneuerung kursierten folglich auch im Vorfeld der Berlinale, die damals noch im Sommer stattfand. Aber es kam anders. Die Festivalleitung holte Godards dystopisches Meisterwerk „Weekend“ in ein Nebenprogramm, besetzte den Wettbewerb mit Leuchttürmen des europäischen Autorenkinos und wartete ab. Studenten der Film- und Fernsehakademie, die wegen revolutionärer Umtriebe relegiert worden waren, forderten in einer Veranstaltung mit Alexander Kluge, Edgar Reitz und anderen Helden des neuen deutschen Films tatkräftige Unterstützung. Sie warfen Eier auf vermeintlich Etablierte, das Publikum forderte lautstark, endlich Filme sehen zu können, statt permanent zu diskutieren.
Politischer Aufschrei
Ein Special der Berlinale-Sektion Shorts erinnert an die Aufbruchsstimmung von 1968, die sich damals weltweit viral ausbreitete. Diverse Filmkulturen und -sprachen sind da in ein abwechslungsreiches, fast dreistündiges Programm gepackt. Es macht deutlich, dass sich bei entsprechendem Interesse viele Filme von Frauen aus jener Zeit finden.
Von Peter Nestlers „I Ruhrområdet“, einer Dokumentation über den Zerfall der Arbeiterbewegung im Ruhrgebiet, reicht das Spektrum bis zu Claudia von Alemanns Kinderfilm „Fundevogel“ und Gerd Conradts „Farbtest rote Fahne“, einem Lauf studentischer Revolutionäre durch West-Berlin bis ins Schöneberger Rathaus. Ula Stöckl verdichtet die Tragödie um Antigone in einem Kurzfilm zum politischen Aufschrei. Ernst Schmidt jr. verfremdet die subversiven Ferkeleien studentischer Protestaktionen in Wien als Found Footage so lange, bis daraus merkwürdig schöne Bilder entstehen. Schmidt hasste die Unterhaltungsmaschine Kino und ihren kleinen Bruder Kunstfilm nicht minder. Die Shorts zeigen das Potenzial, das im Vergangenen zu finden ist.
17.2., 21.30 Uhr (Arsenal), 25.2., 19.30 Uhr (Zoo-Palast)