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Protestmarsch. Frauen aus der Filmbranche vereint auf dem Roten Teppich.
© afp/VALERY HACHE

Cannes-Tagebuch (5): Film-Frauen protestieren auf dem roten Teppich in Cannes

Cannes' Beitrag zu MeToo: Schauspielerinnen und Regisseurinnen marschieren für Gleichberechtigung über den roten Teppich in Cannes. Erst 82 Filme von Frauen nahmen am Wettbewerb teil.

Der Protestmarsch, der am Samstagabend das Protokoll am roten Teppich zum Halt bringt, zählte 82 Teilnehmerinnen. Doch er zieht am fünften Tag des Festivals die bisher größte Aufmerksamkeit auf sich. Schon eine Stunde vor der Gala-Premiere von Eva Hussons „Girls of the Sun“, dem ersten Film einer Regisseurin im Wettbewerb, staut sich der Menschenauflauf auf der Croisette. Die niedrige Teilnehmerinnenzahl ist ein Skandal, aber sie hat symbolischen Charakter. 82 – so viele Regisseurinnen sind in der 71-jährigen Geschichte des Cannes Filmfestivals in den Wettbewerb eingeladen worden. Demgegenüber stehen 1866 Männer. In diesem Jahr sind es drei Filme von 21. Cannes-Chef Thierry Frémaux sieht sich in diesen Tagen einiger Kritik ausgesetzt, doch was am meisten irritiert, ist sein offensichtlicher Unwille, über Cannes’ Beitrag zu den MeToo- und „Time’s Up“-Initiativen zu sprechen.

Das müssen am Samstag die Frauen selbst tun. Angeführt von Jury-Präsidentin Cate Blanchett und Ehren-Palmen-Gewinnerin Agnès Varda, neben Jane Campion die einzige Frau, die je mit einer Palme ausgezeichnet wurde, schreiten die 82 Frauen, darunter Kristen Stewart, Ava DuVernay, Jane Fonda, Salma Hayek, Patty Jenkins und Marion Cotillard, wortlos die Stufen des Palasts hinauf. Die Choreografie ist schlicht, aber filmreif: Auf halber Höhe der Treppe drehen sich alle in Richtung der Kameras. Blanchetts Rede, von Varda auf Französisch übersetzt, ist bestimmter als ihre vagen Worte einige Tage zuvor: „Wir erwarten von den Institutionen, dass sie sich aktiv für mehr Gleichberechtigung und Transparenz in den Führungsetagen einsetzen. Wir fordern, dass unsere Arbeitsplätze in ihrer Diversität die Welt repräsentieren, in der wir leben.“

Für Montag ist ein Symposium unter Schirmherrschaft der französischen Kultusministerin Françoise Nyssen und des nationalen Filmboards (CNC) angesetzt. Daran nehmen unter anderem Organisatorinnen der „5050/2020“-Initiative, die zum Marsch am Samstag aufgerufen hatte, Frémaux, „Quinzaine“-Leiter Edouard Waintrop und Charles Tesson, der Programmchef der „Semaine de la Critique“ teil. Vielleicht können bei dieser Gelegenheit die Sektionsleiter auch untereinander klären, warum der Anteil von Regisseurinnen in der „Quinzaine“ (25 Prozent) und der „Semaine“ (57 Prozent) höher ist als im Wettbewerb – entgegen den Beteuerungen von Frémaux, die Konkurrenz um die Goldene Palme stelle einen repräsentativen Querschnitt dar. Mittlerweile hat Frémaux weitere Maßnahmen angekündigt, um die Geschlechterverhältnisse zu verbessern.

Umso bedauerlicher, dass nach der 20-minütigen Solidaritätsbekundung Eva Hussons „Girls of the Sun“ die – sicher übertriebenen – Erwartungen enttäuschte. Ihr Film erzählt die Geschichte eines kurdischen Frauenbataillons, angeführt von der Schauspielerin Golshifteh Farahani, im Guerillakampf gegen den IS – aus der Sicht einer französischen Kriegsreporterin (Emmanuelle Bercot). Husson gelingt es in ihrem Cannes-Debüt in keiner Sekunde, dem Zusammenhalt der Frauen, ehemalige Gefangene der Islamisten, emotionales Gewicht zu verleihen. Trotz ewig langer Rückblenden (fast zwei Drittel des Films), die die Erzählstruktur ruinieren. Ihr Film entkommt zudem nie dramaturgischen Konventionen (Close-ups auf die Frauen, penetrante Musik). Vielleicht ist es nach 50 Jahren wieder an der Zeit, die Cannes-Hierarchien infrage zu stellen. In den diesjährigen Nebenreihen fänden sich würdigere Palmen-Anwärterinnen.

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