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Fritz Honka (Jonas Dassler) hat wieder eine arme, alte Frau (Margarethe Tiesel) in seine Dachwohnung gelockt.
© Boris Laewen / 2018 bombero int./Warner Bros. Ent.

„Der Goldene Handschuh“ auf der Berlinale: Fatih Akin startet mit düsterem Frauenmörderporträt im Wettbewerb

Der Glöckner von St. Pauli: Fatih Akin und seine schwer erträgliche Romanverfilmung „Der Goldene Handschuh“ im Wettbewerb der Berlinale.

Wie begeistert Fatih Akin von Heinz Strunks Roman „Der goldene Handschuh“ war, zeigt bereits die Geschichte, die er an diesem Samstagmorgen in einer Suite des Regent Hotels in Berlin-Mitte erzählt. „Ich hatte mir den am Erscheinungstag gekauft, und schon nach der Hälfte der Lektüre war mir klar: Ich muss mir die Rechte besorgen. Das war wie das Kaufen eines Tickets für ein angesagtes Rockkonzert. Ich wollte der Erste sein und habe sofort beim Rowohlt Verlag angerufen, um es gewissermaßen vom Markt zu nehmen. Ich bin ja auch Produzent, das ist ein Haifischbecken.“

Es sei ihm nicht gleich klar gewesen, ob er den Roman wirklich verfilmen wollte, er das überhaupt könne. Dafür brauchte es einige Treffen mit Heinz Strunk und vor allem einen Besuch im Goldenen Handschuh, der nicht erst seit Strunks Roman legendären, von dem Boxer Herbert Nürnberg Mitte der fünfziger Jahre eröffneten Kneipe am Hamburger Berg, einer Seitenstraße der Reeperbahn. Hier kam Akin mit einer Stammkundin ins Gespräch. Was diese ihm über ihr Leben erzählt hat, über ihre Ehe, ihren Mann, der sie verließ, nachdem die Kinder aus dem Haus waren, und dass sie im Handschuh nun ihre Rente versaufe, beschäftigte ihn derart – „das hat mich kalt erwischt“ –, dass er beschloss, diesen Film wirklich zu machen. Wozu während der Vorbereitung der Dreharbeiten natürlich weitere Besuche des Handschuhs gehörten: „Ich bin begeistert von dem Laden, er hat mich bereichert. Der hat eine Magie, wirklich.“

Gewalt ist das Leitmotiv des Films

Nun ist Akins Film wie Strunks Roman nicht primär einer über die Kiezkneipe und ihre saufenden Gäste. Sondern er beschäftigt sich vor allem mit dem vierfachen Frauenmörder Fritz Honka und dessen trübem Leben bis zu seiner Verhaftung im Sommer 1975. Er wird von dem gerade einmal 21 Jahre jungen Jonas Dassler toll dargestellt. Manchmal trägt Dassler eine Spur zu dick auf, erinnert er an den Glöckner von Notre-Dame (Akin macht Victor Hugos Roman später im Gespräch als Einfluss geltend), wird Honka fast zu einer Karikatur: mit dem gebeugt-schleppenden Gang, der Geiferei, den hektischen Griffen zur Kornflasche, dem Total-Außenseitertum. Honka war Stammgast im Handschuh und lernte hier seine Opfer kennen. Er nahm sie mit nach Hause, trank mit ihnen weiter, hatte Sex mit ihnen oder vergewaltigte sie, brachte sie um, wenn ihm danach war oder sie sich widersetzten, zerstückelte die Leichen und verstaute die Körperteile in einem Verschlag seiner Wohnung.

Schon in der Eingangssequenz zeigt Akin lange und quälend Honkas Vorgehensweise. Wie er sich die Leiche zurechtlegt, sie zersägt (was man nicht sieht, aber hört) und die blutverschmiert verpackt-verschnürten Teile verstaut. Gewalt ist das Leitmotiv dieses Films, die Brutalität und Grausamkeit Honkas. Jedem Gedanken daran, dass Gewalt einen ästhetischen Zug haben, ja, auch mal zum Lachen sein könnte, wird hier eine Absage erteilt. „Der Film sollte nicht so aussehen, als hätte ihn Quentin Tarantino gemacht. Ich wollte den Horror herausarbeiten, mich hier mal an einem Genre versuchen. Mein Film sollte mindestens so heftig sein wie der Roman. Gewalt ist das Ende jedweder Menschlichkeit.“

Tatsächlich ist Akins „Goldener Handschuh“ ein gelungen düsterer, grausamer, mitunter ekliger Film, ein gefühlt durchweg in sepiafarbenen, braunen, dunkelgelben Tönen gehaltener, der hauptsächlich in Honkas enger Mansardenwohnung spielt und im Handschuh. Die Kneipe wurde von Akins Team in einem Studio nachgebaut (den Original-Handschuh mit seinen neblig-grauen Gardinen und der „Ab 4 Uhr morgens“-Werbung sieht man nur von außen).

Lupenreines Genre ist dieser Film dennoch nicht geworden, kein stringentes Porträt eines Serienkillers. Denn Akin hat das Milieu der Kneipe und ihrer Gäste wie den Korsakow-kranken, ihren Speichelfluss nicht mehr unter Kontrolle haltenden „Säbelalmas“ oder den „Soldaten-Norberts“ und „Tampon-Günters“ genau in den Blick genommen: ihre Trinksitten, ihre Sprüche, ihre Dialoge, die er „zu neunzig Prozent“ von Strunk übernommen habe, ihren hanseatischen Dialekt, den Jonas Dassler mit dem leichten Sächseln des in Leipzig geborenen Honka schön kontrastiert. Und ihre äußerliche Kaputtheit: von den strähnigen Haaren über die brüchig-seifigen Gesichter bis hin zu den unförmigen Leibern. Die Maskenbildnerinnen und -bildner haben hier ganze Arbeit geleistet.

Eine gewisse Zerbrechlichkeit

Obwohl Fatih Akin sagt, dass er ganz bewusst keine Empathieverstärker eingesetzt habe, sein Film sich jedweder Identifikation mit Honka verweigert, trägt er zumindest ansatzweise Züge eines Psychogramms, „mein Held muss die Zuschauer ja durch den Film tragen“. So versucht Honka gleich zu Beginn der einen oder anderen Frau im Handschuh einen auszugeben, was diese höhnisch ablehnen: nicht von so einem. Und es kommt auch die Passage vor, in der Honka versucht, dem Saufen abzuschwören und einer geregelten Tätigkeit als Nachtwächter in einem Bürogebäude nachzugehen. Was schnell fürchterlich schiefgeht.

Jonas Dassler (links) und Fatih Akin bei der Premiere von "Der Goldene Handschuh"
Jonas Dassler (links) und Fatih Akin bei der Premiere von "Der Goldene Handschuh"
© REUTERS/Annegret Hilse

Fatih Akin erklärt, wie er da im Hotelzimmer des Regents sitzt, leicht übernächtigt und entsprechend ganz in Schwarz gewandet, dass der junge Jonas Dassler zum einen an Jahren gar nicht so weit weg sei von Honka, als dieser mit Mitte dreißig angefangen habe zu morden. Sondern Dassler seiner Figur auch eine gewisse „Zerbrechlichkeit“ mitgeben würde: „Das fand ich sehr konstruktiv. Wer jung ist, ist noch zerbrechlich.“

Zwei junge Figuren hat Akin überdies mit eingebaut, ähnlich wie Strunk die Reederereifamilie: einen Jungen (gespielt übrigens von Tristan Göbel, dem „Tschick“-Hauptdarsteller) und ein Mädchen (Greta Sophie Schmidt), die nichts mit Honka und der Handlung zu tun haben, dem Film jedoch seinen Erzählrahmen geben. Wie in „Tschick“ hat sich Fatih Akin angenehm getreu an die Romanvorlage gehalten und etwas Eigenes draus gemacht. Hat Strunks Roman einen zumindest dezenten Humor, gerade in den Handschuh-Szenen, erstirbt bei Akins Film das Lachen jedes Mal schnell. Selbst die grünen Wunderbäume, die Honka den Leichenteilen in die Kammer hinterherwirft, sind ein einziger Grusel. Genau wie das hier praktizierte Trinken, das „Vernichtungstrinken“, es ist ein einziger pathologischer Graus. Am wichtigsten sei ihm zunächst gewesen, so Akin noch, dass Strunk der Film gefallen, aber auch viele Leute aus dem Milieu der Reeperbahn beeindruckt habe: „Hartgesottene Kerle, Leute, die auf uns bei den Dreharbeiten in St. Pauli aufgepasst haben: Die waren erschüttert von der Gewaltdarstellung.“ So magisch Fatih Akin aber den Goldenen Handschuh auch nach seinem Filmdreh noch finden mag – man kann jetzt sicher sein, dass die Kneipe nicht zu einem subkulturellen Sehnsuchtsort wird.

10.2., 9.30 Uhr (Zoo Palast 1), 15 Uhr (Friedrichstadt-Palast) und 18 Uhr (Haus der Berliner Festspiele)

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