zum Hauptinhalt
Gastdirigent Antonio Pappano ist Musikchef am Londoner Covent Garden.
© Imago

Staatskapelle Berlin: Farben träumen

Die Staatskapelle mit Antonio Pappano am Pult spielt Dutilleux, Ravel und Mussorgsky - und gedenkt Pierre Boulez mit einer Schweigeminute.

Nach den Philharmonikern gedenkt auch die Staatskapelle vor Beginn ihres Programms im Konzerthaus Pierre Boulez. Der letzte Woche gestorbene Komponist und Ensembleleiter war auch Ehrendirigent des Orchesters. Die Geigerin Susanne Schergaut aus dem Orchestervorstand erinnert an die inspirierende, fordernde Zusammenarbeit mit Boulez, besonders an die Konzerte mit Mahlers Zweiter auf Tournee. Auch an den Humor des unbestechlichen Musikanalytikers, der sich immer stärker Bahn brach. Schließlich steht der ganze Saal schweigend in kurzem Gedenken.

Anstatt danach eines seiner Werke aufzuführen – wie kann man einen Komponisten besser ehren –, bleibt aber alles auf vorgeplanten Wegen. Diese machen es immerhin möglich, Boulez’ Urteilsmacht zu überprüfen. Mit der ihm eigenen Unbedingtheit verriss er das Schaffen von Henri Dutilleux. Der zartere Kollege hingegen verlor nie ein böses Wort über den Protagonisten des französischen Nachkriegsmusiklebens, der auch manchen Karriereknick mitverantwortete.

Ravels Klangmärchen "La mèr l'oye" geht Dutilleux' Violinkonzert voraus

Dutilleux fand dennoch zu der Beachtung, die er verdient – und er findet sie auch im Konzerthaus. Sein Violinkonzert „L’arbre des songes“ liegt bei Renaud Capuçon, einem Schüler des Widmungsträgers Isaac Stern, in berufenen Händen. Überdies folgt dieses Werk des Werdens und Vergehens sinnfällig nach dem Klangmärchen „Ma mère l’oye“ von Ravel, dessen Musik Ausgangspunkt für Dutilleux war. Dirigent Antonio Pappano und die Staatskapelle tauchen mit Ravel ein in einen Tagtraum unter südlicher Sonne. Der Musikchef von Covent Garden entdeckt darin zarteste Farbnuancen, die er fein und durchscheinend abmischt. So sensibilisiert er auch für Dutilleux, der in seinen pausenlosen Klangmetamorphosen die Zeit anzuhalten scheint.

In der zweiten Konzerthälfte flaniert die Staatskapelle an Mussorgskys „Bildern einer Ausstellung“ vorbei, in der unwiderstehlichen Orchestrierung Ravels. Pappano baut die Tongemälde vor dunklem Urgrund auf, aus dem das Licht Unerhörtes herausschält: weniger als Paradestück denn als Parabel auf die subjektive Grandezza der Künste.

Ulrich Amling

Zur Startseite