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Verwandtschaft ausgeschlossen. Keita (Keita Ninomiya) und sein Doch-nicht-Vater Ryota (Masaharu Fukuyama).
© Film Kino Text

Japanisches Kino-Drama "Like Father, Like Son": Familie ist, wenn man sich liebt

Stell dir vor, die Klinik hat die Babys verwechselt: Aus dieser Schreckenssituation entwickelt der japanische Meisterregisseur Hirokazu Kore-eda ein zartes Kino-Drama - „Like Father, Like Son“.

Sie sitzen nebeneinander wie drei Musterschüler des Lebens, Mutter, Vater, Kind. Das Kind heißt Keita, ist sechs Jahre alt und soll gleich in die Schule kommen. Dies ist das Aufnahmegespräch. Kann Keita auf alle Fragen antworten? Ja, kann er, da ist kein Augenblick des Zögerns, der Zaghaftigkeit.

Worüber er sich zuletzt am meisten gefreut hat? Dass sein Vater mit ihm zelten war, sagt der Junge, und eine große Zufriedenheit breitet sich über sein kleines Gesicht aus, in dem zwei dunkle Augen stehen, fragend und wissend zugleich, urweise auf eine urkindliche Art. Es ist das Gesicht von Keita Ninomiya, der in diesem japanischen Kleinod von einem Film fast genau so heißt: Keita Nonomiya. Nicht zuletzt sein In-die-Welt-Schauen trägt den Film, der um eine elementarste Verunsicherung kreist: Woran erkennen Eltern ihre Kinder? Erkennen sie sie überhaupt? Und woran erkennen Kinder ihre Eltern?

Er kommt ganz nach dem Vater, lautet ein alter Satz, in dem Anerkennung, Lob und die Beruhigung darüber mitschwingen, dass alles seine Richtigkeit hat. Als die Familie wieder auf dem Weg nach Hause ist, fragt der Vater den Sohn, wie er auf Camping gekommen sei, sie wären doch nie zelten gewesen. Es sei gut, der Einschulungskommission solche Dinge zu sagen, habe er gehört, antwortet Keita. Und wenn andere glauben, was er sich so sehr wünscht, ist es dann nicht schon halb wirklich? Aber solche Gedanken teilt er seinem Vater nicht mit, er würde es doch nicht verstehen. Trotzdem, Ryota Nonomiya ist gerührt.

Ein Brief aus der Klinik und die Welt der Nonomiyas bricht zusammen

Und dann geschieht es. Die Nonomiyas bekommen einen Brief von der Klinik, in der Keitas Mutter vor sechs Jahren entbunden hat. Sie erfahren, dass ihr Kind wahrscheinlich verwechselt wurde, nur eine DNA-Analyse kann das klären. Das Resultat lautet: „Wir schließen eine biologische Verwandtschaft zwischen Ihnen und Ihrem Sohn mit Sicherheit aus.“ Die Welt der Nonomiyas bricht zusammen. Bis eben waren sie eine normale, besserverdienende japanische Familie, er Architekt, Laufbahn stark ansteigend, keine Zeit; sie eine sanfte, liebevolle Mutter, zunehmend die Hinterbliebene ihrer Träume, beschäftigt mit der Frage: Gibt es nicht zu viel Zeit, zu Hause, allein?

Das Schöne an „Like Father, Like Son“ von Hirokazu Kore-eda ist, dass er solche Dinge nicht aussprechen muss, sie schwingen in den großen ruhigen Bildern, die, so nah sie den Handelnden auch sind, manchmal wie aus einer großen Ferne zu kommen scheinen. Die Kamera liest in den Gesichtern von Masaharu Fukuyama und Machiko Ono als Vater und Mutter. Zwei Sätze sagt der Nicht-Vater zur Nicht-Mutter nach der DNA-Analyse: „Du hättest es merken müssen!“ und „Das erklärt also alles“. Zwei tief kränkende Sätze. Und wirklich, der Erfolgsarchitekt glaubte schon manchmal, Keita wäre gar nicht sein Sohn. Er ist so nachgiebig, so anders. Und warum hat er an dem Kind noch keine Spur seines eigenen großen, unbeirrbaren Ehrgeizes entdeckt?

"Like Father, Like Son" erzählt vom versuchsweisen Kindertausch

Vor 50 Jahren, als auch Japan vom Babyboom erfasst wurde, gab es tatsächlich Fälle von Kindesverwechslungen in den Geburtskliniken. Fast immer kam es zur – wie soll man sagen? – „Rückerstattung des rechtmäßigen Kindes“. „Inzwischen liegt die Rate bei 100 Prozent“, heißt es statistisch kühl im Presseheft. Auch für die Nonomiyas ist klar: Sie wollen ihr richtiges Kind. Und was wäre dann Keita, das falsche? Sie bemerken das Monströse ihres Gedankens. Die Frau, die nicht Keitas Mutter ist, widersetzt sich nicht dem Diktat der Biologie, obwohl sie manchmal erwägt, einfach mit Keita wegzugehen, irgendwohin, wo die Regeln der Abstammung nicht gelten. Der Nicht-Vater dagegen prüft den Gedanken, den anderen Nicht-Eltern seinen richtigen Sohn abzukaufen und Keita einfach zu behalten.

Like Father, Like Son“ erzählt nun von den ersten Begegnungen der beiden Familien, vom versuchsweisen Kindertausch übers Wochenende, wobei sich die „andere Familie“ als durchaus attraktiv erweist, obwohl deren Vater, ein Kleinhändler, in Ryotas Augen ein Versager ist. Und Ryusei, der richtige Sohn? Beantwortet jede Frage mit einer Gegenfrage und hat keine Scheu, diesem seltsamen Paar zu sagen, wohin es will: nach Hause.

Über all dieses dünne, kaum betretene Eis hat der Regisseur und Drehbuchautor Kore-eda Bachs Goldberg-Variationen gelegt, gespielt von Glenn Gould, diese große Weltordnungsmusik, in der es keinen Zufall gibt, in der alle Dinge an dem Platz sind, auf den sie gehören, und anders kann es nicht sein. Kann es nicht?

Eiszeit, Filmkunst 66, OmU: fsk am Oranienplatz, Hackesche Höfe

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