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Maritim. Das 1997 von Renzo Piano entworfene New Metropolis Science & Technology Center (Nemo) in Amsterdam.
©  Imago/ R. Harding

Renzo Piano zum 80.: Fahrt ins Offene

Der italienische Architekt Renzo Piano sucht ständig nach neuen, ortsspezifischen Formen des Bauens. Eine Würdigung zum 80. Geburtstag.

Dass mit den Parkhäusern am Gleisdreieck erste, wenn auch unwichtige Teile der von ihm geplanten Daimler-Quartiers südlich des Potsdamer Platzes weniger als zwanzig Jahre nach ihrer Fertigstellung bereits wieder abgerissen werden, dürfte Renzo Piano verschmerzen. Er hält sein Berliner Großbauprojekt ohnehin nicht für sonderlich geglückt. Es betrübt, dass ein Architekt von solchem Rang in Berlin nichts nach eigenen Maßstäben Gelungenes hat hinstellen können, umso mehr, als es Piano durchweg vermag, an den unterschiedlichsten Orten Bauten von prägendem Charakter zu verwirklichen.

Man ahnt, wenn man vor einem seiner Gebäude steht, dass es von Renzo Piano stammt. Dabei ist er kein signature architect; keiner, der nach immer gleichem Muster strickt, auf dass der Bauherr stolz den Namen vorweisen kann. Der Genueser Weltmann, der den „Renzo Piano Building Workshop“ nahe seiner Heimatstadt mit Blick aufs Meer untergebracht hat, kann in unterschiedlichsten Formen und Materialien bauen, technizistisch oder elegant, kantig oder organisch, in Stahl oder in Holz, breit oder hoch. „Wenn es einen roten Faden in meiner Arbeit gibt, dann der Widerstand gegen die Versuchung, überall nach demselben Prinzip zu arbeiten“, sagte Piano im Jahr 2000 inmitten seiner damaligen Ausstellung in der Neuen Nationalgalerie Berlin: „Es bleibt doch immer der spezifische Ort und die Notwendigkeit, ein Gefühl für diesen Ort zu entwickeln. Auf der anderen Seite geht es immer um die universelle Aufgabe, einen Schutz, eine Behausung zu errichten.“

Er hat den geografisch größten Wirkungskreis ausgemessen

Gewiss, es gibt manche Architekten, die diese Haltung zeigen und sich von ihr leiten lassen. Doch Piano ist wohl derjenige, der den geografisch größten Wirkungskreis ausgemessen hat, vom heimischen Genua über ganz Europa bis in die USA, nach Japan und sogar bis Neu-Kaledonien, wo er ein Kulturzentrum in Anlehnung an regionale Techniken etwa der Klimatisierung geschaffen hat. Ihren kometenhaften Anfang nahm seine Laufbahn indessen in Paris. Gemeinsam mit dem Engländer Richard Rogers gewann er den Wettbewerb für das später nach seinem Initiator benannte Centre Pompidou. 1977 fertiggestellt, machte es Sensation, als eine Art Fabrikgebäude für die Kultur.

Piano nannte es später „vielleicht ein bisschen naiv“, weil es ein fast wortgetreues Zitat der industriellen Welt sei: „Es war das Schiff von Jules Verne, eine Ironisierung der Technik“. Anstoß erregten die an der Rückseite außen aufgeführten Versorgungsleitungen, grellbunt bemalt je nach ihrer Zuständigkeit für Wasser, Luft oder Elektrizität; doch nicht minder die Rolltreppen, die an der belebten Platzseite außen am Gebäude emporführen und seit 40 Jahren zum festen Programm eines jeden Paris-Touristen gehören.

Es gibt kaum einen Kollegen seines Ranges, der so freundlich auftritt

Fortan zeigte sich Piano als Experimentator, als Suchender nach neuen, spezifischen Formen. Er wurde zu einem der bedeutendsten Museumsbaumeister unserer Zeit, weil er es vermag – von der Menil Collection in Houston über die Fondation Beyeler bei Basel bis zum Neubau des Whitney Museum in New York –, jeder Sammlung eine angemessene Form zu geben. Im japanischen Kansai hat er auf einer künstlichen Insel einen Flughafen gebaut, von dessen Eleganz, aber auch technischen Brillanz man in Berlin nicht einmal träumen kann, ebenso wenig wie vom Wagemut des pfeilspitz zulaufenden Wolkenkratzers „The Shard“ in London, der mit seinen 310 Meter Höhe den europäischen Höhenrekord westlich von Moskau hält und kein hingeklotztes Investorenobjekt ist, sondern einen ganzen Stadtteil vitalisiert, unter Verzicht auf automobile Erreichbarkeit.

In Süditalien hat Piano eine Wallfahrtskirche entworfen wie einen großen Schirm über der Menge der Gläubigen. Für den Entwurf von Kreuzfahrtschiffen war er sich nicht zu schade, und sein jüngster Streich, das Centro Botín im nordspanischen Santander, lässt eher an ein Schiffsterminal denken denn an ein Kulturzentrum, das eine Revitalisierung städtischer Brachflächen bedeutet. Dass Piano mit historischer Substanz respektvoll umgehen kann, hat er beim behutsamen Umbau der gigantischen Autofabrik Lingotto in Turin gezeigt wie auch beim Redaktionssitz der „New York Times“.

Die Bauten, einer schöner als der andere, sind das Ergebnis des Schaffensprozesses. Der aber ist im Kollektiv organisiert, was der Begriff des „Workshops“ unterstreicht. Es gibt kaum einen Kollegen seines Ranges, der ähnlich unprätentiös und freundlich auftritt wie Renzo Piano. Schlank und hochgewachsen führt er durch seine Bauten, die innere Logik des Entwurfs, der Materialwahl erklärend, von selbstverständlicher Noblesse. An diesem Freitag wird Renzo Piano 80 Jahre alt. Er denkt nicht im Traum daran, von der Architektur zu lassen, die ihm, dem Sohn eines Bauunternehmers, in die Wiege gelegt worden ist.

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