Der Fall Xavier Naidoo: Eurovision Song Contest: Protest und Vorurteil
Konzertveranstalter Marek Lieberberg hat am Wochenende eine Solidaritäts-Anzeige für Xavier Naidoo initiiert. Doch vielen fällt es schwer, ein einmal gefälltes Urteil über einen Menschen zu revidieren.
Nähe korrumpiert. Es gibt viele schlechte Menschen, aber nur wenige, die einen solchen kennen. Nähe macht befangen. Deshalb haben Verwandte ein Zeugnisverweigerungsrecht. Nähe trübt das Urteil. Das fängt bei rosaroten Brillen an und hört bei den Begabungen der eigenen Kinder nicht auf. Nähe allein ist also kein Qualitätsmerkmal. Auch wer mit jemandem lange Zeit befreundet ist, kann sich über den Charakter dieser Person irren.
Am vergangenen Samstag stand in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ eine ganzseitige Solidaritätsanzeige. Überschrieben war sie mit dem schlichten Slogan „Menschen für Xavier Naidoo“. Unterschrieben – schwarze Schrift auf rotem Grund – war sie mit den Namen von 121 prominenten Künstlern, Schauspielern und Musikgruppen, darunter Mario Adorf, Tim Bendzko, Jan Delay, Andreas Gabalier, Jan Josef Liefers, Anna Loos, Tim Mälzer, die Prinzen, Til Schweiger.
Die Vorgeschichte: Naidoo war vom NDR als deutscher Vertreter für den Eurovision Song Contest (ESC) auserkoren worden. Dagegen formierte sich Protest. Naidoo wurden Antisemitismus, Homophobie und Verschwörungstheorien vorgeworfen. Naidoo wehrte sich: „Mit meinem ganzen Wesen stehe ich für ein weltoffenes und gastfreundliches Deutschland und einen respektvollen sowie friedlichen Umgang miteinander.“ Doch der Protest war zu stark, der NDR zog nach zwei Tagen die Nominierung zurück.
War der Sender eingeknickt? Herbert Grönemeyer schrieb auf seiner Facebook-Seite: „Xavier ist einer der besten und etabliertesten Musiker und Sänger bei uns, weder homophob, noch rechts und reichsbürgerlich, sondern neugierig, christlicher Freigeist und zum Glück umtriebig und leidenschaftlich. Wir brauchen keine Gesinnungspolizei oder Meinungsüberwachung.“
"Ich war erschüttert über Heuchelei und Hass"
Initiiert worden war die Anzeige von Marek Lieberberg, einem der größten deutschen Konzertveranstalter, der seit mehr als 20 Jahren mit Naidoo zusammenarbeitet. Was ihn dazu trieb? „Ich war wirklich erschüttert über die Heuchelei, die Hetze und den blinden Hass, die da aufkamen“, sagte er der „Süddeutschen Zeitung“.
Lieberberg wurde 1946 als Kind jüdischer Flüchtlinge in Frankfurt (Main) geboren. Bands und Künstler wie Sting, Aerosmith und Guns N’ Roses brachte er nach Israel. Auf die rechtsextremistischen Brandanschläge in Rostock-Lichtenhagen und die Mordanschläge von Mölln reagierte Lieberberg 1992 mit dem Konzert „Heute die! Morgen Du!“
Manchmal trübt Nähe den Blick. Möglich ist aber auch, dass sie ihn schärft. Kurz nach der Soli-Annonce hieß es, diese habe knapp 70 000 Euro gekostet (falsch), sei eine reine Marketing-Aktion. Bescheidwisser und Selbstgerechte gaben sich die Hand. Wie rasch doch jeder Zweifel verbannt wird, wenn es gilt, am einmal gefällten Urteil über einen Menschen festzuhalten.
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