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Die britische Schauspielerin Olivia Colman gewann nach dem Oscar am Samstagabend in Berlin auch den Europäischen Filmpreis für ihre Rolle in „The Favourite“.
© REUTERS
Update

Historiengroteske räumt ab: Europäischer Filmpreis geht an „The Favourite“

In mehreren Kategorien konnte der Film des Griechen Yorgos Lanthimos die Jury überzeugen. Der deutsche Konkurrent „Systemsprenger“ ging leer aus.

Die Historiengroteske „The Favourite“ von Yorgos Lanthimos ist am Samstagbend im Haus der Berliner Festspiele als bester europäischer Film ausgezeichnet worden. Olivia Colman spielt die britische Königin Anne, um deren Gunst zwei Hofdamen (Rachel Weisz und Emma Stone) buhlen. Die Britin Colman wurde als beste Darstellerin ausgezeichnet und wiederholt damit ihren Erfolg bei den Oscars im Februar.

Insgesamt gewann "The Favourite" acht Auszeichnungen: neben dem Preis für den besten europäischen Film wurde er auch zur besten Komödie gewählt, Yorgos Lanthimos gewann zudem den Regiepreis, außerdem wurden Kamera, Schnitt, Kostüm und Maske gewürdigt. Es war ein Erfolg auf der ganzen Linie, der sogar die fünf Auszeichnungen, die das polnische Nachkriegsdrama "Cold War" im vergangenen Jahr gewann, in den Schatten stellt.

Das Nachsehen hatte durch diese Preisschwemme Pedro Almodóvar, dessen autobiografisches Spätwerk "Leid und Herrlichkeit" bereits in Cannes ausgezeichnet worden war und der als leichter Favorit der Herzen ins Rennen ging. Einzig Antonio Banderas erhielt in der Rolle des Alter Egos seines Regisseurs und langjährigen Freundes verdientermaßen den Europäischen Filmpreis.

Die deutschen Kandidaten gehen leer aus

Leer gingen die deutschen Nominierten aus: Die elfjährige Helena Zengel war für „Systemsprenger“ nominiert, der sich zudem im Kandidatenfeld für den besten Film befand, Alexander Scheer für „Gundermann“. Die Mitglieder der Europäischen Filmakademie, die über die Preise abstimmen, zeigten aber erneut eine erstaunliche Einigkeit. Einzig der Zeitpunkt irritierte.

"The Favourite" lief bereits vor über einem Jahr im Venedig, die Ehren des Europäischen Filmpreises kommen fast ein wenig spät - gemessen an diesjährigen Festivalteilnehmern wie "Systemsprenger", "Leid und Herrlichkeit" oder „Porträt einer jungen Frau in Flammen“ von Céline Sciamma, die wie schon in Cannes den Drehbuchpreis erhielt.

Nichtsdestotrotz ist "The Favourite" von einem der herausragenden Regisseure des europäischen Kinos ein würdiger Sieger, wenn auch die Dublette als "Beste Komödie" einen Beigeschmack hat. Es fanden sich in diesem Jahr wahrlich genug gute Filme in der Auswahl, die eine etwas gerechtere Verteilung der Preise ermöglicht hätten.

Roman Polanski wird ignoriert

Einen möglichen Eklat vermied die Europäische Filmakademie (EFA), indem ihre Mitglieder Roman Polanski und seinen neuen Film "Intrige" überging. Schon der Preis der Jury in Venedig für den polnischen Regisseur, der sich jahrzehntealten Vergewaltigungsvorwürfen ausgesetzt sieht, war in der Branche teilweise kritisch gesehen worden. Auch mit Blick auf Polanski verkündete EFA-Vorsitzende Mike Downey zu Beginn der Verleihung, dass die Akademie zukünftig bei Verdachtsfällen des Missbrauchs disziplinarische Maßnahmen ergreifen werde. Die amerikanische Academy hatte Polanski bereits im vergangenen Jahr ausgeschlossen.

Die dreistündige Zeremonie unter der künstlerischen Leitung des deutschen Regisseurs Dietrich Brüggemann konnte aber noch mit anderen Highlights - neben den Preisträgerinnen und Preisträgern - aufwarten. Unter anderem eine bizarre Arie an die Regielegende Werner Herzog, der für seine Lebenswerk geehrt wurde. Herzog erklärte in seiner Dankesrede Europa zum großen "Friedensprojekt der Menschheitsgeschichte", das trotz allem regionale Eigenarten berücksichtigen muss. Sich selbst nannte er einen europäischen und bayerischen Filmemacher.

Claire Denis und Jafar Panahi ehren Juliette Binoche

Ein weiterer emotionaler Höhepunkt war die sehr persönliche Laudatio von Claire Denis an Juliette Binoche, die für ihren Beitrag zum Weltkino ausgezeichnet wurde. Nachhaltig in Erinnerung bleibt jedoch, als der zugeschaltete iranische Regisseur Jafar Panahi von einem Aha-Erlebnis mit Binoche erzählt, das ihm die Augen über das Kino geöffnet habe.

Schon früh am Abend steht der ukrainische Regisseur Oleg Senzow auf der Bühne, bei dem die vier Jahre in russischen Gefängnissen sichtlich Spuren hinterlassen haben. Aber allein schon den Hünen neben Downey zu sehen, war eine starkes Signal an Europa.

Es sind solche kleinen Momente, statt mantraartiger Beschwörungen eines europäischen Geistes, die beim diesjährigen Europäischen Filmpreis die ewige Frage nach dem Europäischen Kino zufriedenstellend beantworten. Glücklicherweise brachte Dietrich Brüggemanns Sinn für gehobenen Unsinn - Dinos und Pizzaboten überbrachten die Siegerumschläge - genau das richtige Maß an Absurdität in die Gala ein. (Tsp)

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