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Der Duden kennt ihn nicht. Der Genderstern existiert, gehört aber nicht zum offiziellen Regelwerk.
© Imago

Streit um Gendersprache: Es heißt Sprache, nicht Schreibe!

Wie gerecht kann Sprache sein?, fragt die Schriftstellerin Katja Lange-Müller und erklärt, warum sie die Petition "Schluss mit dem Gender-Unfug" unterzeichnet hat.

Vor einigen Tagen veröffentlichte der "Verein Deutsche Sprache" (VDS) eine Petition mit dem Titel "Schluss mit dem Gender-Unfug". Die Unterzeichner des "Aufrufs zum Widerstand" protestieren gegen ein übertriebenes Gendern der Sprache und appellieren unter anderem an Politiker, Behörden, Firmen und Medien, in Sorge „um die zunehmenden, durch das Bestreben nach mehr Geschlechtergerechtigkeit motivierten zerstörerischen Eingriffe in die deutsche Sprache“.

Unterschrieben haben u.a. Kai Diekmann, Peter Hahne, Judith Hermann, Sibylle Lewitscharoff, Hans-Georg Maaßen, Monika Maron, Rüdiger Safranski, und Peter Schneider. Auch die Schriftstellerin Katja Lange-Müller gehört zu den Unterzeichnerinnen, hier erläutert sie ihre Beweggründe. (Tsp)

Zunächst einmal etwas, das sich von selbst versteht; die Unterzeichnerin oder der Unterzeichner einer Petition wird sicher nie mit allen, die ebenfalls unterzeichnet haben, grundsätzlich einer Meinung sein. Für mich war im Fall des VDS-Aufrufs wider den „Gender-Unfug“ folgende Frage ausschlaggebend: Was ist wichtiger, die Sache, also unsere Sprache, oder die (Tat-)Sache, dass wir Erstunterzeichnerinnen und -unterzeichner befürchten mussten, von diversen medialen „Spaltpilzzüchtern“  sogleich abgeschoben zu werden in die eine finstere Ecke, wo wir uns dann gefälligst zu schämen hätten.

Wir wären, auch dies wurde da und dort vermerkt, samt und sonders ziemlich „betagt“. Aber selbst wenn das auf die meisten von uns zutreffen mag, Alters-Diskriminierung ist es doch! Fazit: Wie wollen wir es einander jemals rechtmachen?!  Irgendwer wird (fast)  immer diskriminiert – oder fühlt sich zumindest so. Bis Montagabend 20 Uhr haben 35.600 Menschen diesen Aufruf unterschrieben. Weiß der Geier (wer sonst!), ob die ebenfalls alle konservative oder gar rechte (ostdeutsche?)  Uraltknackerinnen und -knacker sind. Die Querulanten jedweden Geschlechts werden hierzulande ja leider auch nicht mehr jünger.

Und nun, nachdem der erste Dampf entwichen ist, mal zu den Argumenten gegen angeblich gendergerechte Sternchen, Unter- oder schräge Längsstriche und was da sonst noch so blüht. „Gendergerecht“, dieser Begriff provoziert die nächsten Fragen: Geht es um (Gender-)Gerechtigkeit oder, im einen wie im anderen Lager, um Rechthaberei? Wie gerecht kann der Mensch sein und wie gerecht dessen Sprache?

Ich hasse zwar die Gendersternchen, muss aber gestehen, deren Anhänger zu verstehen. Die Anhängerinnen eingeschlossen. Ihre Motivation beruht auf der verbalbasierten Diskriminierung der Frauen. Dass alle, nicht nur die weiblichen Anhänger, der Diskriminierung ein Ende bereiten wollen, ist ein wunderbares Ziel.

schreibt NutzerIn yarramalong

Werden Sternchen oder die besagten Striche das zwischen den Geschlechtern herrschende Unrecht beseitigen helfen? Oder sind sie lediglich „Behelfchen“, die uns, wo immer wir sie lesen, dies äußerst zählebige Unrecht adäquat gewaltsam vor Augen führen wollen, damit wir es endlich mal aus der Welt und nicht nur aus unserer Sprache schaffen?

Unsere Sprache hat ihre Eigenarten

Die deutsche Sprache (ganz Verbohrte nennen sie ihre Muttersprache), auch die Schriftsprache, basiert auf dem gesprochenen Wort, deswegen heißt sie Sprache und nicht Schreibe. Dennoch besitzen einige phonetisch besonders geschulte Individuen unter uns die Fähigkeit, gewisse typografische Gebilde, etwa Schüler*innen oder Lehrer/innen, derart fein zu betonen, dass wir die Sterne, die wir in dem Fall nicht sehen müssen, dafür umso lauter und deutlicher zu hören bekommen: „ Geschätzte Lehrer“ (kleine Pause) „innen“. 

Dies tönt in meinen Ohren allerdings mindestens ebenso seltsam, wie die geschriebenen Lehrer*innen meine (Lach-)Tränendrüsen reizen. Lehrer innen, Lehrer außen, überall Lehrer, denke ich und werde melancholerisch, wenngleich nur für einen Moment.

Die Schriftstellerin Katja Lange-Müller veröffentlichte zuletzt den Roman "Drehtür" (Kiepenheuer & Witsch) und wurde 2017 mit dem Günter-Grass-Preis ausgezeichnet.
Die Schriftstellerin Katja Lange-Müller veröffentlichte zuletzt den Roman "Drehtür" (Kiepenheuer & Witsch) und wurde 2017 mit dem Günter-Grass-Preis ausgezeichnet.
© Arno Burgi/dpa

Unsere Sprache, die deutsche, hat, gemessen an manch anderer Sprache, Eigenarten, die arrogante Typen „aus bildungsnahen Schichten“ gelegentlich als Vorzüge werten: gesprochen wie geschrieben, Verben, die sich prima abwandeln und sowohl adjektivieren als auch substantivieren lassen, Substantive, die, ohne dass sie völlig unverständlich würden, aneinandergeklebt prächtige, manchmal sogar quer über eine Druckseite reichende Girlanden ergeben. Beispiel: „Gutsleberwurstkonsumentenbefragungsbögenauswertungsanalyseschlüsselbereitstellungsersuchen“.

Diese leidigen Artikel, früher hießen sie "Geschlechtswörter"

Aber einige Probleme wirft das Deutsche eben auch auf. Arg schlimm finden die „Kämpfer_innen“ gegen die sprachliche Genderungerechtigkeit diese leidigen Artikel, die früher ekelhafterweise sogar Geschlechtswörter hießen und trotzdem noch immer jedem deutschen Substantiv vorgeordnet sind; dass sie in manchen – dann jedoch eine Art Telegrammstil erzeugenden – Fällen wegbleiben können, macht die Sache nicht besser.

Dabei sind die Artikel nun wirklich relativ gerecht verteilt auf alle möglichen und unmöglichen Substantive. Und ja, es trifft zu, der jeweilige Artikel beeinflusst unsere Assoziationen, was sich nicht unbedingt als Nachteil fürs Feminine und Vorteil fürs Maskuline erweist. Die Sonne; stark, hell, wärmend, gefährlich, denke ich – und dann: der Mond; kalt, blass, seltsam fleckig, nachtaktiv, wechselhafter Leibesumfang. Doch rühren unsere Assoziationen tatsächlich einzig vom Artikel eines Substantivs her? Oder spielt das Geschlecht der und des Assoziierenden dabei womöglich die wichtigere Rolle?

Gerechteres Handeln hat vielleicht Rückwirkungen auf unsere Sprache

Sämtliche „Wortbildungslehren beschreiben das Ergebnis der Ableitung von Substantiven mit dem Suffix ‚er‘ aus Verben (Bäcker aus backen) als ‚Person, die jene vom Verb bezeichnete Tätigkeit ausübt‘. Von Männern ist beim Nomen Agentis nicht die Rede. Bäcker als Maskulinum bezeichnet ebenso wenig ausschließlich Männer wie Person als Femininum ausschließlich Frauen bezeichnet. So ist das im Deutschen,“ schreibt der keiner unsachlichen Polemik verdächtige Linguist Peter Eisenberg. Wollen wir unsere Sprache und deren grammatikalische Substanz nicht erst einmal richtig verstehen, ehe wir es gestatten oder erdulden, dass allzu aktivistische Streiterinnen und Streiter für die absolute und damit illusorische Gendergerechtigkeit – Politsoziologinnen und Politsoziologen, Firmenchefinnen und Firmenchefs, Amtsschimmelstuten und -hengste – sie (in wessen Sinne eigentlich?) reformieren oder eher deformieren?

Wenn wir gerechter handeln, hat das wahrscheinlich auch bald Rückwirkungen auf unsere in ständigem Wandel begriffene Sprache; umgekehrt wird kein Schuh daraus, weder der Schuh noch die Schuh(e). Und die nun (zum Zeitpunkt, da dieser Text veröffentlicht wird) bereits 38.600 Unterschriften zum Aufruf des VDS zeigen erfreulicherweise ja doch, wie sehr unsere Sprache und unser mit ihr verknüpftes Schicksal (soweit möchte ich schon gehen) die Menschen bewegt. Sogar einige der zunächst von anderen „Mutterzungen“ beleckten.  

Katja Lange-Müller lebt als Schriftstellerin in Berlin. Sie veröffentlichte zuletzt den Roman "Drehtür" (Kiepenheuer & Witsch) und wurde 2017 mit dem Günter-Grass-Preis ausgezeichnet.              

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