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Als Fremder in Froggy Town. Eine Szene aus „Der Mann, der Lucky Luke erschoss“.
© Illustration: Bonhomme/Egmont Comic Collection
Update

Neuer Lucky Luke-Comic: Ernster, dunkler, menschlicher

Der Franzose Matthieu Bonhomme hat den Comic-Cowboy Lucky Luke nach 70. Jahren neu erfunden. Gleich der Auftakt ist tödlich.

Es beginnt mit einem tödlichen Duell. Ein Schuss fällt, dann stürzt ein Mann mit dem Gesicht zuerst in den Matsch der Hauptstraße von Froggy Town, den wohl jeder an seinem roten Halstuch, der schwarzen Weste und dem gelben Hemd erkennt. „Haha! Ich habe die Legende erschossen“, brüstet sich der Schütze. „Ich habe Lucky Luke erschossen!“

Was für ein Auftakt für den jüngsten Band mit dem Comic-Cowboy, der doch dafür bekannt ist, schneller zu ziehen als sein Schatten. Doch jetzt scheint der stoische Held das Ende seines langen Ritts erreicht zu haben. Lucky Luke auf dem Weg in die Ewigen Jagdgründe, 70 Jahre nach seinem ersten Auftritt?

So ungewöhnlich wie die erste Seite des Albums „Der Mann, der Lucky Luke erschoss“, das an diesem Mittwoch auf Deutsch veröffentlicht wird, sind auch dessen Entstehungsgeschichte und der weitere Inhalt. Denn jahrzehntelang wachte der Verlag Dargaud streng darüber, dass sich an Lucky Luke und seiner Welt nichts Grundlegendes ändert. Erzählerisch wie zeichnerisch setzte man bei der humorvollen Wildwest-Persiflage alles daran, den Zeichenstil des 2001 gestorbenen Lucky-Luke-Schöpfers Maurice de Bevere alias Morris zu kopieren.

Der einsame Cowboy wurde 1946 erfunden

Der erfand 1946 die Figur des einsamen Cowboys, die Geschichten dazu schrieb von 1955 bis 1977 der vor allem als Asterix-Miterfinder bekannte Autor René Goscinny – für viele Fans die bis heute unerreichte Glanzzeit der Serie. Nach Goscinnys Tod setzte Morris die Reihe mit wechselnden Autoren fort, allerdings mit durchwachsenen erzählerischen Resultaten. Nach seinem Tod wiederum übernahm der 1961 geborene Franzose Achdé als Zeichner und hält die lukrative Marke seitdem mit wechselnden Ko-Autoren und auch mal mit eigenen Geschichten am Leben. Er steht zeichnerisch für solide Handarbeit in der Tradition von Morris. Besonders originell oder innovativ sind seine Geschichten aber nicht. Wohl auch, weil man meint, so wollten es die Leser.

Nun aber, zum 70. Jahrestag der Erfindung der Figur, hat der Verlag das strenge Korsett gelockert und es einem Vertreter der jüngeren Comic-Generation erlaubt, den Cowboy auf seine Weise zu interpretieren: Matthieu Bonhomme, der sich in Frankreich vor allem mit der Walfänger-Abenteuerserie „Esteban“ einen Namen gemacht hat, in Deutschland aber bislang kaum bekannt ist. Und siehe da, der 43-Jährige hat es geschafft, der etwas angestaubten Marke eine kräftige Dosis frisches Leben einzuhauchen. Auch wenn es mit einem tödlichen Schuss beginnt.

Wie es zu diesem verhängnisvollen Duell kam, schildert Bonhomme in „Der Mann, der Lucky Luke erschoss“ auf 64 Seiten – auch das eine Neuerung gegenüber dem klassischen Albenformat von üblicherweise 46 Seiten. Den Platz braucht der Autor aber, denn bei ihm geht es nicht nur im besten Wildwest-Cinemascope-Format in die Breite, sondern vor allem in die Tiefe: Bonhommes Lucky Luke ist eine erstaunlich lebendig geratene Figur, die nicht zuletzt wegen ihres ausdrucksstarken, realistischer gezeichneten Gesichts mit dem fein differenzierten Mienenspiel nicht wie eine Verulkung klassischer Westernhelden daherkommt, sondern wie ein Mensch.

Lucky Luke ist reifer, erwachsener geworden

„Ich bin mit Lucky Luke aufgewachsen und kenne die Figur in- und auswendig“, sagte Matthieu Bonhomme dem Tagesspiegel kürzlich bei einem Deutschlandbesuch. „Ich habe mit diesen Comics Lesen und Schreiben gelernt.“ Morris sei für ihn bis heute einer der wichtigsten Zeichner. Vielleicht ist das der Grund dafür, dass Bonhomme die Gratwanderung gelingt, die Figur und ihre Welt gerade so weit zu modernisieren, dass er dem Vorbild treu bleibt, aber das Ergebnis reifer, erwachsener als alles erscheint, was man von dem glorreichen Cowboy in den vergangenen 30 Jahren gelesen hat – allerdings auch weniger witzig.

Dabei beinhaltet auch das neue Abenteuer alle Zutaten, die man von der Fortsetzung eines Klassikers erwartet. Es gibt einen Postkutschenüberfall und Auseinandersetzungen zwischen Siedlern und Indianern, eine zünftige Saloon-Schlägerei, Lynch-Mobs und eben das Duell auf der Dorfstraße. Aber Bonhomme hat seine Figuren eine Spur weniger überzeichnet, als man es von Morris und Achdé gewohnt war. Die stellenweise überraschend düstere Handlung ist als Krimi angelegt und entwickelt sich dann zum Familiendrama. Es geht – ohne zu viel zu verraten – um einen Goldraub und eine Stadt, die sich in der Hand einer gesetzlosen Sippe befindet. Bis eines Tages Lucky Luke auftaucht.

Inzwischen sind mehr als 70 Alben erschienen

Über dessen Charakter erfährt der Leser bei Bonhomme mehr als in den meisten anderen der inzwischen mehr als 70 Alben. „Er ist einerseits eine sehr klare, eindeutige Figur, aber andererseits weiß man als Leser nur sehr wenig über ihn als Mensch“, sagt Bonhomme. „Ich wollte vor allem seine sensible Seite zum Ausdruck bringen und habe ihm deswegen passende Figuren zur Seite gestellt und auch das Thema Tod eingebracht.“ Zwar sind auch in einigen frühen Abenteuern des Comic-Cowboys Menschen gewaltsam ums Leben gekommen, aber in der Regel wurden existenzielle Fragen mit Rücksicht auf die vielen jüngeren Leser ausgespart oder nur angedeutet.

Auch deswegen erinnern die Handlung und die Gegenspieler des poor lonesome cowboy in dieser neuen Erzählung eher an düster-zynische Italo-Western oder Comics wie „Blueberrry“ von Jean Giraud als an den freundlichen Stil von Morris, dessen Bösewichte wie im Fall der Daltons oft eher charmante Trottel waren. Statt dieser Viererbande führt Bonhomme klug angelegte Nebenfiguren ein, die weniger karikierend gezeichnet sind und dem spannenden Plot zusätzliches Gewicht geben, sodass hier neben vielen unterhaltsamen Szenen auch Fragen von Freundschaft und Moral, von Schuld und Sühne in bemerkenswerter Ernsthaftigkeit verhandelt werden.

Dabei ließen ihm die Rechteinhaber alle Freiheiten, sagt Bonhomme – bis auf eine. „Als klar war, dass ich den Auftrag bekomme, war meine erste Frage: ,Wie frei darf ich mit der Figur umgehen – und darf ich Lucky Luke auch rauchen lassen?‘“ Die Antwort des Verlags war eindeutig: Er habe alle Freiheiten, nur zum Raucher dürfe der seit den 1980er Jahren als gesundheitliches Vorbild präsentierte Cowboy nicht mehr werden. Also macht Bonhomme dann auch diese Einschränkung zum Thema seiner Hommage – und man erfährt nebenbei den wahren Grund dafür, wieso Lucky Luke statt auf einer Kippe auf einem Grashalm herumkaut.

Matthieu Bonhomme: Der Mann, der Lucky Luke erschoss. Aus dem Französischen von Klaus Jöken. Egmont Comic Collection, 64 Seiten, 15 €.

Hinweis: In einer früheren Fassung war die Zahl der Lucky-Luke-Alben falsch beziffert und die Kooperation von Morris mit anderen Autoren nicht erwähnt worden - wir danken für den Leserhinweis und haben es entsprechend korrigiert!

Lars von Törne

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