Lucky Luke: Ein Mythos reitet wieder
Vor drei Jahren starb der Schöpfer des Comic-Cowboys Lucky Luke, Morris. Nun setzt der französische Zeichner Achdé die Serie fort.
Die Nase ist etwas dicker, die Unterlippe etwas kürzer, und die blauschwarze Haartolle, die unter dem weißen Cowboyhut herausschaut, wirkt eine Spur dünner als früher. Aber sonst scheint er ganz der alte zu sein. Wie er schwungvoll auf sein Pferd Jolly Jumper hüpft, wie er mit List und Beharrlichkeit die Schurken des Wilden Westens zur Strecke bringt und wie er dabei kaum je die Ruhe verliert, die sich in den halb geschlossenen Augen ausdrückt - keine Frage, er ist es: Lucky Luke, der Mann, der schneller zieht als sein Schatten, ist zurück.
"Schikane in Quebec" heißt das Abenteuer des Mustercowboys, das in dieser Woche in die Läden kommt. Das Aufregendste daran ist für die Fans des nie alternden Wildwest-Dandys die Tatsache, dass es überhaupt erschienen ist. Vor drei Jahren noch hatte es so ausgesehen, als sei die Ära von Lucky Luke gut 50 Jahre nach seinem ersten Auftritt vorbei. Sein Erfinder und lebenslanger Zeichner Morris (mit bürgerlichem Namen Maurice de Bévère) starb, und mit ihm der meisterhafte Strich, mit dem der Belgier seine Figur bis zuletzt in rund 90 Abenteuergeschichten belebte. "Lucky Luke singt hier nicht mehr", war damals ein Feuilleton-Nachruf überschrieben. Zu früh getrauert: Jetzt singt der selbstlose Kämpfer für das Gute wieder und reitet auch in der neuen Geschichte, wie stets am Ende seiner Abenteuer, mit einem Lied auf den Lippen alleine in die untergehende Sonne, begleitet von seinen einzigen beiden Freunden, dem Wunderpferd Jolly Jumper und dem treudoofen Hund Rantanplan.
Der wiederbelebte Lucky Luke stammt aus der Feder des passionierten Morris-Fans Achdé. Der 43-jährige französische Zeichner, der mit bürgerlichem Namen Hervé Darmenton heißt, wurde von Morris Verlag auserkoren, den Mythos des "Lonesome Cowboy" fortzuschreiben. Dass er den Strich und den Schwung von Morris meisterhaft zu imitieren und fortzuentwickeln weiß, hatte Achdé zuvor bewiesen. Eine Kurzgeschichte, kurioserweise ein Auftragswerk für den McDonalds-Konzern, ist vergangenes Jahr in Deutschland unter dem Titel "Der französische Koch" erschienen. Ein richtiger Lucky-Luke-Band, wie ihn die Fans kennen, war das aber noch nicht. Mit "Schikane in Quebec", vor wenigen Wochen in Frankreich erschienen, dort bereits in den Bestsellerlisten, liegt jetzt erstmals ein richtiges neues Album vor.
Zeichnerisch erweist sich Achdé mit seinem Debüt als würdiger Erbverwalter des großen Morris. Der hatte Lucky Luke zum ersten Mal 1946 durch den amerikanischen Westen reiten lassen. In Deutschland erschienen die ersten Abenteuer Ende der 50er Jahre. Da hatte Morris' Leben schon zwei entscheidende Wendungen genommen: Er hatte sechs Jahre in den USA verbracht, und er hatte dort Asterix-Szenarist René Goscinny kennen gelernt. Von 1955 bis 1977 schufen Morris und Goscinny einen Großteil des Lucky-Luke-Werks, und die Bände mit ihren beiden Namen auf dem Umschlag werden bis heute von den Fans verehrt.
Der Szenarist von Achdé heißt Laurent Gerra und hat sich in Frankreich vor allem als Fernseh-Humorist einen Namen gemacht. Er ist seit Kindertagen Lucky-Luke-Fan und hat laut seiner offiziellen Biografie schon als kleiner Junge davon geträumt, eines Tages Lucky-Luke-Geschichten zu entwerfen. "Morris und Goscinny hätten sicher ihre größte Freude an dem neuen kongenialen Team", preist der Egmont-Ehapa-Verlag das neue Duo an und freut sich, dass die beiden sich bereits für weitere Fortsetzungen verpflichtet haben.
Trotz aller Werktreue merkt man den Zeichnungen und vor allem der Geschichte an, dass sie ein Neuanfang sind. Achdés Stil ist akkurater als der seines Vorbildes Morris. Dafür fehlt ihm manchmal das expressiv Hingetuschte, Flüchtige von Morris. Besonders deutlich unterscheidet sich aber die Handlung von früheren Werken. Lucky Lukes Suche nach einem Ganoven, die ihn von Texas nach Kanada führt, wo er die Machenschaften eines größenwahnsinnigen Geschäftsmannes vereitelt, wirkt streckenweise viel zu überladen. Anders als in manchen früheren Bänden konzentrieren sich Achdé und Gerra auch nicht auf einzelne Charaktere, sondern führen ein Panoptikum an Personen ein, die durch ihre schiere Menge zwangsläufig oberflächlich bleiben. Andererseits gibt es neben den Hauptfiguren viele vertraute Details, die an das große Vorbild erinnern. Dazu gehören die kuriosen Ortsschilder der Wildwest-Städte wie "Fremder, wer Ärger sucht, wird Blei finden". Am Schluss mischt sich beim Lesen neben der Freude über das Weiterleben von Lucky Luke das Gefühl, dass manches doch ein wenig abgestanden oder aufgesetzt wirkt. Aber was erwartet man auch anderes, wenn ein Mythos vergangener Kindertage wiederbelebt wird?
Lucky Luke - Schikane in Quebec, Egmont-Ehapa-Verl., 48 S., 4,50 Euro (Hardcover 8,60). Internet: www.lucky-luke.de
(Erschienen im gedruckten Tagesspiegel am 07.10.2004)
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