Neue Leitung im Literaturhaus Berlin: Ernest Wichner eröffnet seine letzte Ausstellung
Die finale Ausstellung von Ernest Wichner im Berliner Literaturhaus dreht sich um Hermann Hesse. Ihm dankten unter anderem Herta Müller und Uwe Kolbe.
Nun also doch. Ein bisschen Wehmut ist schon im Spiel, als Ernest Wichner, der Schriftsteller, Übersetzer und Leiter des Literaturhauses Berlin, am Donnerstagabend seine letzte Ausstellung im schönen alten Haus an der Charlottenburger Fasanenstraße eröffnet. Keine offene Klage, dazu hat Wichner zu viel Humor, Ironie und Intelligenz. Es ist allenfalls der leicht melancholische Unterton seiner Begrüßungs- und fast schon Abschiedsrede. Denn dieses Wochenende bedeutet das Finale einer, ja doch: Ära.
Von 1988 bis 2003 war er der Stellvertreter des Literaturhaus-Gründers Herbert Wiesner, seitdem hat Wichner anderthalb Jahrzehnte selbst mit einem kleinen Mitarbeiterstab das Programm, die Lesungen, Konferenzen und Ausstellungen initiiert und geprägt. Eines der Beispiele, wie dabei der Zusammenhang zwischen Literatur und Geschichte geistvoll und aufregend mit mehr als nur Vitrinenstücken präsentiert werden kann, war 2015 etwa die Darstellung Warlam Schalamows, eines Opfers und literarischen Kronzeugen der stalinistischen Gulags. Die Ausstellung, die noch jedem größeren historischen Museum ihren düsteren Glanz verliehen hätte, wird nun von der Vereinigung Memorial gerade in Moskau gezeigt und war zuvor in mehreren west- und osteuropäischen Städten zu sehen.
Hermann Hesse und Söhne
Um Literatur und Geschichte geht es auch jetzt bei der kleinen, feinen Schau mit dem Titel „Zwischen den Fronten. Der Glasperlenspieler Hermann Hesse“. Auslöser für das von Lutz Dietrich federführend gestaltete Projekt war die Bereitschaft der in Basel lebenden Hesse-Erben, in Berlin erstmals Einblicke in den bislang unveröffentlichten Briefwechsel zwischen Hesse und dem jüngsten seiner drei Söhne, Martin Hesse, zu geben. Martin hatte seinen 1962 im Tessin gestorbenen Vater nicht lange überlebt – mit erst 57 Jahren beging er 1968 Selbstmord.
Hesse, ein ganz unbürgerlicher, nur im eigenen Kopf reisender Weltbürger, waren die eigenen Kinder eher fremd. Martin, schon früh depressiv, fühlte sich als Abgestoßener trotzdem angezogen und hat auf Hunderten Briefseiten immer wieder in ewiger Kinderschrift um den weltberühmten Vater geworben. Selbst hatte er sich als zielloser Student 1932 ans Bauhaus in Dessau begeben, wurde später Fotograf und alsbald Zeuge, wie die Nazis das verhasste Avantgarde-Institut nach ihrer Machtübernahme schlossen.
Faustpfand der Nazis
Im Berliner Literaturhaus sieht man dazu im Faksimile und mitunter auch in Originalen Briefe, Fotos, Filme, erfährt, dass Hesses erste Ehefrau und Mutter der Söhne, Maria Bernoulli, als erste Schweizer Fotografin galt. Und weil die Ausstellung spätestens mit dem Stichwort Bauhaus und Nationalsozialismus aus dem Familiären ins Großgeschichtliche überwechselt, gerät so Hesses Existenz „zwischen den Fronten“ in den Fokus. Anders als sein befreundeter Kollege Thomas Mann hat der lange vor ’33 zum Schweizer Staatsbürger gewordene Hesse gegenüber den Nazis nie offen Stellung bezogen. Sein Engagement, auch für verfolgte Autoren, war entschieden, aber diskret: auch weil Hesse nach der „Arisierung“ seines S. Fischer Verlags in Berlin den neuen, gegenüber der jüdischen Familie Fischer und Bermann Fischer loyalen Geschäftsführer Peter Suhrkamp wohl nicht gefährden wollte. Auch blieben die Rechte an seinem Werk, gegen Hesses Willen, nach der Aufspaltung des Hauses Fischer als Goebbels’ Faustpfand in Deutschland. Der nichtjüdische Bestsellerautor von „Peter Camenzind“, „Demian“, „Siddharta“, vom „Steppenwolf“ oder „Narziß und Goldmund“ erfuhr zunächst keine Neuauflagen. Ein Berühmter wurde offiziell halb totgeschwiegen. Auch das 1943 vollendete „Glasperlenspiel“ konnte mit 3000 Exemplaren zunächst nur in Basel erscheinen.
Die Ausstellung und das mit erhellenden Beiträgen von Gunnar Decker, Lutz Dietrich, Michael Kleeberg und Volker Michaelis erschienene Begleitbuch bieten freilich eine Überraschung. Erstmals wird dokumentiert, dass Hesse – als letztendlicher Seelentrost gedacht – vor Kriegsende doch noch zu einem der meistgedruckten Autoren wurde: in den von Propagandaministerium und Wehrmacht vertriebenen Frontbuch-/Feldpostausgaben sowie in deutschsprachigen Besatzungszeitungen. Gelesen von Soldaten in Paris, Oslo, Krakau oder in der Ukraine.
Ruhestand ist für Wichner noch kein Thema
Entdeckungen wie diese hätte Ernest Wichner auch mit jetzt 65 Jahren gerne noch weitergeführt. Wie seine nobelpreisgekrönte Kollegin und Freundin Herta Müller im heute rumänischen Banat geboren, ist Wichner vor der Leipziger Buchmesse im Frühjahr 2018, die Rumänien als Gastland präsentiert, freilich ein gefragter Experte. Allein der Wiener Zsolnay Deuticke Verlag kündigt von ihm die Übertragung zweier Großromane von Catalin Mihuleac und Varujan Vosganian an. Weitere Projekte wie eine Bibliothek der hierzulande noch kaum bekannten rumänischen Avantgarde-Literatur zu Beginn des 20. Jahrhunderts sind in Planung. Und der Lyriker E. W., der so lange anderen die Bühne geboten hat, will auch wieder zum eigenen Schreiben kommen. Dafür danken ihm am Samstagabend bei seinem Abschiedsfest im Literaturhaus zahlreiche Dichter – unter ihnen Urs Allemann, Marcel Beyer, Uwe Kolbe, Herta Müller und Ulf Stolterfoht.
Danach gibt’s in der Fasanenstraße erst mal kein Eigenprogramm, obwohl die Literaturwissenschaftlerin Janika Gelinek und die Ausstellungsmacherin Sonja Longolius, beide Ende 30, aus Berlin-Kreuzberg und noch weithin unbekannt, ab 1. Januar die Leitung des Hauses übernehmen. Mal sehen.
Hermann-Hesse-Ausstellung bis 11. März, das Begleitbuch kostet 12 Euro.