Céline Dion: Endlich zurück in Berlin
Céline Dion gibt zwei umjubelte Konzerte in der Arena im Ostbahnhof.
Wer hat behauptet, dass sich eine Künstlerin Standing Ovations, wenn überhaupt, erst nach Ende der Show verdient hat? Kommt Céline Dion, reißt es alle von den Sitzen, und zwar sofort – aus Jubel, aus Liebe, aus Dankbarkeit. Neun Jahre, seit ihrem Konzert in der Waldbühne, hat sich die Sängerin nicht in Berlin blicken lassen, jetzt macht sie zweimal Station hier. Es sind ihre einzigen Konzerte in Deutschland auf dieser Europa-Tournee. Sie muss gespürt haben, dass es Zeit wird, nachdem sie sich jahrelang in Las Vegas regelrecht eingegraben hat, zu horrenden Preisen. Also ist die Arena am Ostbahnhof zweimal fast ausverkauft, die Masse an diesem Sonntag Abend von Stimmenimitationsexpertin Véronic DiCaire gut vorgeglüht – mal besser (Adele!), mal fragwürdig (Whitney Houston).
Ohne Umbaupause geht’s direkt weiter zum Hauptact, und dass Céline Dion diesen, im silbernen Glitzerjacket, mit „The Power Of Love“ einläutet, ist wohl auch programmatisch. War ihre Version von Jennifer Rushs Achtziger-Jahre-Hit doch 1994 ihre erste Nummer Eins in den USA. Nach dem starken Auftakt folgt verblüffenderweise erst mal ein langer Redeblock. Der ihr allerdings wesentlich überzeugender gelingt als 2008 in der Waldbühne, weil das, was sie zu sagen hat, empfundener klingt, weniger schablonenhaft und allgemeinplatzig. Als letztes von 14 Kindern, entschuldigt sich die Franko- Kanadierin, sei sie natürlich komplett untergebuttert worden, „so when I have a microfone, I talk“. Wie fantastisch sie sich 2008 in Berlin gefühlt hätte, einen ganzen Monat habe sie damals hier gewohnt und sich eingebildet, die gesamte Essensabteilung im KaDeWe sei nur für sie gebaut worden. Dann dreht sie völlig ab, redet was von „Nürnbergers“, von denen sie Tonnen verdrückt habe. Es kann sich nur um Nürnberger Rostbratwürstchen handeln. In Berlin! Und mit viel Spargel! Ihr größter Triumph: Dass sich selbst die streng vegetarische Mutter die „Nürnbergers“ heimlich in die Nachthemdtasche gesteckt habe.
Sie hat wenig veröffentlich die letzten Jahre, es ist eine Best-of-Tournee
Dann lieber Musik: „Taking Chances“, „That’s The Way It Is“, „I’m Alive“, „Think Twice“. Und „It’s All Coming Back To Me Now“ – in den neunziger Jahren hat sich Céline Dion ein denkwürdiges Battle mit Meat Loaf darum geliefert, wer den Song interpretieren durfte. Alles gesungen mit diesem ungebrochen kraftvollen, fast virilen Stahl in der Stimme, der ihr Image als eher softe Sängerin eigentlich Lügen straft, begleitet von Streichern auf der linken Bühnenhälfte, Bläsern rechts, einem Pianisten und Percussion ganz hinten. Zusätzliche Sympathiepunkte heimst sie ein, weil sie nicht verbirgt, dass diese Auftritte sie auch anstrengen, dass sie keine 25 mehr ist. Und weil sie zu einer gehörigen Prise Selbstironie fähig ist, sich vorstellt, wie das wohl in 30 Jahren sein wird, wenn sie ihren größten Hit „My Heart Will Go On“ immer noch singt oder eher krächzt („Every night in my dreams...“), gestützt auf einen Stock.
Diese Europa-Tournee ist ein Best Of. Céline Dion hat wenig Neues veröffentlicht in den letzten Jahren, was natürlich auch am Krebstod ihres Ehemanns (und Entdeckers) René Angélil liegt. Vor allem wäre da das französischsprachige Album „Encore un soir“ (2016). Aber ihr häufig ganz anders, zarter gelagertes französisches Repertoire ist nicht der Grund, warum in Amerika, England und Deutschland zehntausende zu ihren Konzerten pilgern. In Frankreich ist das naturgemäß ganz anders, gerade erst hat sie dort zehn Auftritte hingelegt. In Berlin beschränkt sie sich auf einen französischen Song, „Pour que tu m’aimes encore“, dabei lasziv umschlungen von einem Tänzer – und im hautengen Schlangenkleid, so knochig, dass man sich unweigerlich fragt, wo all die „Nürnbergers“ hin sind. Auch frisch: ihr Titelsong zum neuen „Beauty and the Beast“-Film, „How Does A Moment Last Forever“, zu dem werbewirksam Szenen mit Emma Watson über die Leinwand flimmern. Natürlich darf auch der Titelsong zum Disney-Animationsfilm von 1992 nicht fehlen, mit dem ihre Weltkarriere so richtig startete.
Am Ende kommt der Rock-Block mit Covern von Tina Turner, Michael Jackson und Queen
Pink hat ein berührendes neues Lied für sie geschrieben, „Recovering“, gesungen im Gedenken an René Angélil. Berührend auch, wenn Céline Dion anschließen die Fans als ihre „Familie“ adressiert, und zwar so, dass man es ihr irgendwie glaubt. Ihr ganzes Leben sei wie ein aufgeschlagenes Buch gewesen, sagt sie. Immer sei es ihr darum gegangen, nicht den einen Hit zu haben, dafür aber eine Karriere. „Und das habt ihr mir ermöglicht!“ So gibt sie zwei beeindruckende, kraftzehrende Stunden lang alles – und ihren Fans das, was sie wollen. Und auch das, was sie nicht unbedingt wollen. Schmachtende Powerballaden, aber auch härtere Sachen. Der Rock-Block kommt gegen Ende. Viele Coversongs, von Tina Turner und, großartig, Michael Jacksons „Black Or White“. Und Queen, „The Show Must Go On“. Für Freddy Mercurys „Love Of My Life“ zwängt sie sich sogar, bodyguardgeschützt, durch die Menge, um am anderen Ende der Halle zu singen, begleitet nur von einer Gitarre.
Übrigens, den einen großen Hit hat Céline Dion natürlich doch gehabt, damals, als die Titanic unterging. „My Heart Will Go On“ gibt’s als erste Zugabe, passend im grotesk weit ausladenden Ballkleid dargeboten. Das sie aber nicht trägt, sondern in das sie sich quasi nur stellt, wie in eine Kulisse. Am Ende bleibt es prompt auf der Bühne stehen. So viel zum Thema Selbstironie.
Udo Badelt
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