Franz Marcs "Turm der Blauen Pferde": Endgültig verloren?
Wo ist Franz Marcs "Turm der Blauen Pferde"? Ein Text des ehemaligen Tagesspiegel-Feuilletonchefs Hanz Ohff aus dem Jahr 1977 anlässlich der Ausstellung im Haus am Waldsee.
Frau Dr. Katharina Skutsch, die Witwe des ersten Leiters des Hauses am Waldsee, hat bei mir angefragt, was es mit dem „Turm der Blauen Pferde" von Franz Marc und dem Haus am Waldsee auf sich habe. In meiner Serie „Gott und Foxtrott", die sonntags läuft, stand in einer Bildunterschrift, dieses wichtige Werk des deutschen Expressionismus sei dort zuletzt gesehen worden. Das ist allerdings nicht bei einer Ausstellung der Fall gewesen. Das Haus am Waldsee, ursprünglich wohl von einem jüdischen Bankier gebaut, wurde nach 1933 von den Nazis beschlagnahmt und diente im Krieg unter anderem dazu, Görings umfangreichen Kunstbesitz zu beherbergen.
Marcs "Turm der Blauen Pferde", ehemals Nationalgalerie (Kronprinzenpalais), war auf Protest des Traditionsregiments, in dem der Maler im ersten Weltkrieg gefallen war, 1937 aus der "Entarteten Kunst"-Ausstellung herausgenommen worden. Göring griff zu und verleibte das Bild seiner wirren Sammlung ein. Näheres erfuhr ich durch einen verschlüsselten Hinweis des Karlsruher Kunsthistorikers Klaus Lankheit, der Nachlassverwalter des Werks von Franz Marc ist. Kurz nach Ende der Kriegshandlungen, also noch 1945 und lange bevor das Haus als Ausstellungsgebäude des Kunstamtes Zehlendorf benutzt wurde, ist Edwin Redslob, der Reichskunstwart der Weimarer Republik (und Mitbegründer des Tagesspiegels), im Haus am Waldsee gewesen und hat dort, mit Billigung der damaligen sowjetischen Besatzungsmacht, nach dem Rechten gesehen.
Man hofft immer noch, dass das Bild wieder auftauchen könnte
Er entdeckte dabei den „Turm der Blauen Pferde" und hat ihn einwandfrei identifiziert. Später ist das Bild auf mysteriöse Weise verschwunden. Ich habe Edwin Redslob, lange vor seinem Tode, selbst danach gefragt. Ich weiß noch heute, in welche Form ich meine Frage kleidete, denn ich hatte sie mir genau überlegt. Ich fragte: „Na, Herr Professor, Sie werden doch das Bild nicht zusammengerollt unter dem Sofa liegen haben?" Er lachte, wie nur Redslob lachen konnte (und heute vielleicht Professor Eberhard Roters), sagte dann, es wäre für das Bild wahrscheinlich besser, wenn er es an sich genommen hätte, aber das sei leider nicht der Fall. Historiker und Marc-Fachleute reden nicht gern über diese Zusammenhänge. Aus gutem Grund: man hofft immer noch, dass das Schlüsselbild des deutschen Expressionismus wieder auftauchen könnte, und will nun den etwaigen unrechtmäßigen Besitzer nicht verunsichern.
Freilich sind die Hoffnungen immer vager geworden. Auch Gerüchte, der „Turm" sei auf undurchsichtige Weise nach Kalifornien gelangt, haben sich nicht bestätigt. Da für Kriegsbeuteunterschlagung die Frist von dreißig Jahren inzwischen abgelaufen ist, hätte das Bild längst im Kunsthandel für eine Millionensumme angeboten werden können, falls es noch existiert. Auch Lankheit hält es neuerdings in seiner jüngsten Marc-Monographie, die im vorigen Jahr bei DuMont Schauberg erschienen ist, für endgültig verloren.
Heinz Ohff
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