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Elton John.
© Marco Piraccini/dpa

Konzert in Berlin: Elton John ist seine eigene Jukebox

Er liebt es, live zu spielen. Sagt Elton John über sich. Wirklich? Sein Konzert in der Berliner Mercedes-Benz-Arena bleibt überraschungsfrei.

Irgendwann hat Elton John aufgehört, ein interessanter Live-Musiker zu sein. Er verwandelte sich in eine Jukebox. Warum? Mutmaßlich aus Mutlosigkeit. 2013 brachte der Sänger sein Album „The Diving Board“ heraus, sein bestes seit dreißig Jahren. Es war von Soul und Melancholie durchtränkt, und die Texte hatte seit langer Zeit erstmals wieder der alte Kompagnon Bernie Taupin geschrieben. Doch bei seinen Konzerten spielte Elton John damals nur ein einziges Stück daraus.

Er könnte auch einen seiner Klassiker Track für Track wiederaufführen, etwa das Doppelalbum „Goodbye Yellow Brick Road“, das er 1973 mit retrofuturistischen Synthesizern aufgenommen hat. Nur dass es damals noch nicht retro, sondern wirklich futuristisch klang. Viele Bands sind heute mit alten Alben unterwegs. Das ist Erbschaftspflege, nicht unbedingt zum Mitklatschen. Aber John geht lieber auf Nummer sicher. Vermutlich will er sein Publikum nicht überfordern. Also spielt er Hits, Hits, Hits. Wie eine Jukebox, bei der immer wieder dieselben Titel gedrückt werden.

Sein Konzert in der Berliner Mercedes- Benz-Arena beginnt Elton John mit der kraftvollen Glamrocknummer „The Bitch Is Back“ von 1974 und der herrlich stotternden Rock’n’Roll-Nostalgie „Bennie and the Jets“ von 1973. Der Sänger trägt einen pailettenfunkelnden Zirkusdirektorenmantel mit der Aufschrift „Captain Fantastic“, dem Alter ego seit den Tagen, als er mit seiner Musik Amerika erobert hat. Auch die übergroße Brille, die mit Edelsteinen, Halbedelsteinen oder einfach nur Strass (wahrscheinlich sind es doch Edelsteine) besetzt ist, ist ein Selbstzitat aus den hedonistischen siebziger Jahren.

An der Tastatur ist er immer noch virtuos

„I can bitch, I can bitch ’cause I’m better than you“, singt John, an seinem schwarzen Yamaha-Flügel hockend. Immer wieder in diesen zweieinhalb Stunden zeigen zwei über der Bühne hängende Leinwände, wie die Finger des 70-jährigen Stars über die Tasten pflügen, immer noch zu einiger Virtuosität fähig. Klar doch, die Bitch, die möchte Elton John selbst sein. Wobei er allerdings überhaupt nicht böse wirkt.

Wie das Konzert des Meisters vor vier Jahren in der Waldbühne anfing? Ja, genau, mit „The Bitch Is back“ und „Bennie and the Jets“. Die Setlist hat sich in dieser Zeit kaum verändert, der Sänger und seine fünfköpfige, cool-ausgebuffte Band spielen in der Großhalle 15 Songs, über die sich auch schon die Zuschauer in der Freiluftarena freuen durften.

Neu sind zwei Beiträge aus „Wonderful Crazy Night“, dem eher mittelprächtigen 32. Studioalbum des Musikers, das Anfang 2016 erschien. „Looking Up“ ist ein energiegeladener Pop-Gassenhauer mit Rock’n’Roll-Anleihen, “A Good Heart” eine Reißbrett-Ballade, gesungen mit flackerndem Bariton. Seine Hoffnungshymne „I Want Love“ widmet John den Terroropfern von Berlin, London und Orlando/Florida, zum schmachtenden Durchhaltesong „Don’t Let the Sun Go Down On Me“ erscheint ein Foto von George Michael auf den Leinwänden. Bei „Tiny Dancer“, einer Liebeserklärung an ein kalifornisches „Blue Jeans Baby“ und vielleicht der allergroßartigste Song des Sängers, verpatzt der Gitarrist seinen Einsatz. Zum Höhepunkt gerät ein minutenlanges schwelgerisches Klaviervorspiel vor der Weltraum-Einsamkeits-Ballade „Rocket Man”. Ein wunderbarer Liberace-Moment, frei nach dessen Motto „Too Much of a Good Thing Is Wonderful“.

„Ich liebe es, Platten aufzunehmen. Aber noch mehr liebe ich es, live zu spielen“, sagt Elton John. Wirklich? Spielt er immer noch jeden Abend voller Inbrunst „Crocodile Rock“, einen Song, den er laut der Website setlist.fm in den letzten 45 Jahren 1203 Mal aufgeführt hat? Wie groß ist seine Leidenschaft bei „I’m Still Standing“, das es auf 1280 Einsätze bringt? Am Ende tanzen jedenfalls alle 12000 Zuschauer, obwohl die Halle bestuhlt ist. In die Nacht entlassen werden sie mit dem einst für Marilyn Monroe geschriebenen Tränenzieher „Candle In the Wind“, der inzwischen von einem noch traurigeren Schicksal erzählt, dem der „Rose of England“.

Von Christian Schröder

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