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Cornelia Schleime vor einem ihrer Gemälde
© Doris Spiekermann-Klaas

Malerin und Performerin Cornelia Schleime: Eisvogel flieg

Im Osten nicht gewollt, im Westen neu erfunden: ein Atelierbesuch bei der Malerin, Autorin und Performerin Cornelia Schleime.

„Weit fort“ lautete der Titel von Cornelia Schleimes erstem Roman, einer autobiografischen Erzählung. Weit fort schien für die Malerin eigentlich auch die damals knapp 20 Jahre zuvor untergegangene DDR zu sein. 1984 konnte sie endlich ausreisen, ihr vierter Antrag fand schließlich Gehör, nachdem sie am Telefon angekündigt hatte, in der Kirche, an einem öffentlichen Ort in den Hungerstreik treten zu wollen. Das gefiel der lauschenden Staatssicherheit noch weniger als eine renitente Malerin im Land, die sich selbst hochsymbolisch in Verschnürungen und Verklebungen fotografierte als Darstellung ihrer eigenen Situation: überwacht, drangsaliert, mit Ausstellungs- und Auftrittsverboten belegt, irgendwie gefesselt.

Innerhalb von 24 Stunden musste daraufhin die Künstlerin, die mit ihren Performances und Konzerten als Punk-Sängerin schon länger ein Dorn im Auge der Obrigkeit war, ihre Sachen packen. Am Vorabend, bevor sie die Grenze überschritt, konnte sie gerade noch eine Kiste mit Super-8-Filmen und drei dicken Bild-Tagebüchern einem Diplomaten bei der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik übergeben. Es sollte das einzige sein, was von ihrer künstlerischen Arbeit der vergangenen zehn Jahre blieb, die für einen späteren Transport in den Westen vorgesehenen 90 Ölbilder, Hunderte Zeichnungen und das bemalte Keramikservice waren wenig später aus der aufgebrochenen Ost–Berliner Wohnung verschwunden. Cornelia Schleimes Leben auf der anderen Seite der Mauer war damit fast getilgt.

Cornelia Schleime macht die fortlaufende Rückschau müde

Doch plötzlich ist es wieder da, eine Ausstellung katapultiert die Künstlerin, die sich im Westen neu erfand, wieder mitten hinein in die frühen 80er Jahre, in die Zeit der Prenzlberg-Bohème mit ihrem Freund Ralf Kerbach und dem Gefährten Sascha Anderson, den die später zugänglichen Stasi-Akten als Spitzel enttarnten. Die von Eugen Blume und Christoph Tannert kuratierte Schau „Gegenstimmen. Kunst in der DDR 1976 bis 1989“ im Martin-Gropius-Bau holt viele der Protagonisten noch einmal zusammen, die damals Teil der etwa 300 Künstler umfassenden Szene waren und mehr oder weniger offen gegen den Staat opponierten. Cornelia Schleime sieht dieses Klassentreffen des Underground mit gemischten Gefühlen. „Das Leben ist doch weitergegangen“, sagt sie. „Mich macht die fortlaufende Rückschau müde.“

Weit weg, das ist für die Künstlerin auch eine Daseinsform, zumindest ein gutes Stück weit draußen. Ihr Atelier am Kollwitzplatz unterhält sie nach wie vor, aber am liebsten weilt sie auf dem Land. Nicht weit von Neuruppin hat die gebürtige Ost-Berlinerin, die sich vor ihrem Studium an der Dresdner Kunsthochschule als Friseurin, Maskenbildnerin, Pferdepflegerin durchschlug, vor rund zehn Jahren ein Haus gefunden und darin ein Studio eingerichtet. In die ausgebaute Scheune passen ihre Großformate sehr viel besser hinein als in das kleine Wohnatelier unterm Dach am Prenzlauer Berg. Das Ruppiner Land bietet ihr alles, was sie braucht: Platz, Ruhe zum Arbeiten und nach hinten einen Garten, den sie selbst dem gleich hinter dem Haus beginnenden Feld abgerungen hat.

Die Verschmelzung von Außen- und Innenwelt ist typisch für Schleimes Bilderkosmos

Das grüne Geviert mit dem aus Schubkarren wuchernden Gemüse, den selbst gepflanzten Bäumen, den gleich am Eingang rankenden Rosen inspiriert sie für die Malerei. Im Atelier hängt das große Doppelbild „Eisvögelin“, eines ihrer mysteriösen Mädchenporträts. Aus dem plissierten Kragen der jungen Frau löst sich ein Vogel und flattert davon. Der Betrachter beginnt sofort über diese rätselhafte Verbindung zwischen Mensch und Tier zu grübeln. Einer anderen Schönen, deren Bildnis in der großen Wohnküche hängt, wuchert Schilf aus dem am Hinterkopf zusammengebundenen Haaren. Frau und Flora sind miteinander verwachsen. Die Verschmelzung von Außen- und Innenwelten sind bis heute typisch für Cornelia Schleimes Bilderkosmos geblieben.

Die „Eisvögelin“ wird wohl auch in ihrer Retrospektive im Herbst in der Berlinischen Galerie zu sehen sein. Die große Ausstellung wird ihr anlässlich der Verleihung des Hannah-Höch-Preises des Landes Berlin ausgerichtet. Den Ausstellungstitel weiß die Künstlerin natürlich längst: „Ein Wimpernschlag“, erzählt sie mit einem gewissen Grinsen und zieht an ihrer Zigarette. Dadurch werde die mit einer Retrospektive in den Blick genommene Länge eines Lebenswerks gleich wieder ironisiert.

Bei der DDR-Kunst fehlen ihr meist die farblichen Zwischentöne

Sowas gefällt ihr. Die 63-Jährige steht mit beiden Beinen im Jetzt, ist mit sich und der Vergangenheit im Reinen. Sogar mit Sascha Anderson hat sie sich ausgesöhnt, der ihr 2008 nach Erscheinen ihres Romans „Weit fort“ eine Entschuldigung schickte. Darin erleidet ihr Alter Ego Clara ein doppeltes Trauma: Nachdem sie sich mühsam vom Betrug Andersons erholt hat, der im Roman zwar namentlich ungenannt bleibt, aber unschwer zu identifizieren ist, beginnt die Hauptfigur im Westen ausgerechnet mit einem weiteren Stasi-Spitzel eine Beziehung, wie sie erst nach und nach herausfinden sollte. Mit dem Roman schrieb sich Cornelia Schleime diese zweifache Enttäuschung vom Leib, ein Bild hätte die Komplexität des Erlebten gar nicht zu fassen vermocht, sagt sie, das ließ nur die Buchform zu. Wenn sie heute Anderson durch Zufall trifft, lautet der erste Impuls: „Da ist ja der Freund. Aber dann schaltet sich gleich wieder die Ratio ein und ich muss diese Nähe korrigieren. Das ist schon schizophren.“

Cornelia Schleime ist Spezialistin für Neuanfänge, eine Stehauffrau: „Existenzielle Erfahrungen sind der Motor für meine Kreativität. Diese setze ich in Farbe um.“ Vielleicht lässt die Künstlerin deshalb kein gutes Haar an den Bildern der meisten Kollegen in der großen „Gegenstimmen“-Ausstellung. „Die Farbpalette der DDR, dieses Grün, Gelb, Blau, Rot und Kackbraun, war mir immer zu einseitig. Mir fehlten die Zwischentöne.“

Im DDR-Untergrund habe es kaum Selbstironie gegeben, stattdessen ein ausgeprägtes Bewusstsein für die Außenseiterrolle, erzählt die Malerin. „So viel bei Rotwein gelacht wurde, in der Kunst fand es kaum Widerhall. Dieses Wichtiggenehme störte mich damals schon, auch an mir.“ Womöglich weisen deshalb viele ihrer Bilder ins Ungefähre, scheinen sie häufig nicht von dieser Welt zu sein. Dass sie das Erlebte trotzdem weiterverfolgt, lässt jene alle paar Jahre an einem anderen Ort wiederholte Performance ahnen, bei der sie an langen Zöpfen einen Kinderwagen hinter sich her zieht. Was hier Vergangenheit, was Zukunft ist, die ihr polternd folgt, lässt sich nicht sagen.

Martin-Gropius-Bau, bis 26. 9., Mi-Mo 10–19 Uhr. Katalog 29,90 €. Im Künstlerhaus Bethanien, Kottbusser Str. 10, ist zum gleichen Thema die Ausstellung „Ende vom Lied“ zu sehen.

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