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Aufwärts. Jesse Eisenberg als Facebook-Gründer Mark Zuckerberg.
© Sony

Netz: Seid umschlungen, Milliarden

Internet-Fiktionen: Der Facebook-Film „The Social Network“ von David Fincher und der Roman „Strohfeuer“ von Sascha Lobo.

Erst denken, dann bloggen!, möchte man dem jungen Mann noch zurufen – aber da ist es schon zu spät. Da sind schon Bier und Pferde mit ihm durchgegangen und er hat das Gehässigste ins Internet geschrieben, was man an der Elite-Uni Harvard über eine Ex-Freundin sagen kann: Sie hat ziemlich kleine Brüste.

Es ist der digitale Sündenfall und zugleich die digitale Initialzündung. Noch in derselben Nacht wird der Gekränkte, sein Name ist übrigens Mark, mit der Arbeit an der eigenen Unsterblichkeit beginnen. Er wird Fotos von Kommilitoninnen im Netz einsammeln, er wird sie zu Misswahl-Kandidatinnen wider Willen degradieren. Und weil Tausende das unterhaltsam finden, wird in ihm dabei eine große Idee reifen. Student Zuckerberg erfindet ein Ding namens Facebook.

Als wahre Geschichte verkauft Regisseur David Fincher „The Social Network“; die Namen, Zahlen und Eckdaten, die der Film aus dem Roman von Ben Mezrich übernimmt, stimmen so weit auch. Trotzdem nimmt sich das Drehbuch (Aaron Sorkin) eine entscheidende künstlerische Freiheit heraus, indem es seinem Protagonisten zwei zentrale Handlungsmotive unterschiebt. Der Hollywood-Zuckerberg (Jesse Eisenberg) ist ein Getriebener, das wird schon im furiosen Pärchenschlagabtausch der Anfangsszene deutlich, ein Tellerwäscher, der nach der sozialen Anerkennung der Millionäre lechzt. Im Film wird diese unerreichbare Kaste von den Gebrüdern Winklevoss verkörpert, sie sind reich, breitschultrig, erfolgsverwöhnt. In ihrer Freizeit rudern sie im Olympiateam, und zu den Partys in ihrem holzvertäfelten Verbindungshaus werden ganze Busse voll schöner Frauen herangekarrt.

Mark dagegen hat nur ein enges Doppelzimmer im Wohnheim und neuerdings auch keine Freundin mehr. Gegen diesen doppelten Minderwertigkeitskomplex rennt das Programmiergenie an, gegen die arroganten Blicke der amerikanischen Oberschicht und die abweisende Schulter des anderen Geschlechts. Mark ist ein unglücklicher Underdog, ein missverstandener Romantiker – und den Erfolg im Internet begreift er als willkommene Kompensation, als ausgleichende Gerechtigkeit. Vielleicht lässt sich das Herz ja auch an aufsteigenden Zahlenreihen wärmen.

Und tatsächlich, einmal im Netz, scheint Facebook nur noch eine Richtung zu kennen: aufwärts. Tausend Mitglieder hat das interaktive Fotoalbum binnen weniger Tage, bald sind es Hunderttausend, bald eine Million. Und da kommen auch schon die ersten Berater, Investoren, Mitarbeiter. Das Spiel hat begonnen.

Spätestens ab hier wird „The Social Network“ ein Wirtschaftskrimi, erzählt in Rückblenden und zwei parallel verlaufenden Gerichtsverfahren. Wir sehen Männerbünde entstehen und zerbrechen. Rivalen petzen beim Direktor, treuherzige Gefährten bleiben, tief enttäuscht auf der Strecke. Und Mitgesellschafter Sean Parker (Justin Timberlake als schillernder Manipulator) legt lieber Kokslinien auf Praktikantinnenbäuche, als sich um die Firma zu kümmern.

Um Erica, die verlorene Freundin, geht es da längst nicht mehr. Trotzdem bleibt sie der heimliche rote Faden des Films. Noch einmal werden sie sich treffen, die Blogverhöhnte und der Senkrechtdurchstarter. Sie wird es ablehnen, mit ihm zu reden, nur ein paar tiefgründige Sätze wirft sie ihm noch hin: „Du verfasst abfälligen Scheiß aus einem dunklen Zimmer heraus. So machen es die Frustrierten heutzutage. Aber das Internet ist mit Tinte geschrieben, Mark, nicht mit Bleistift.“ Kein Zweifel, Anstand und Moral sind mal wieder auf Seite der Brünetten.

Ansonsten allerdings gibt es zwischen den Frauen und der New Economy keinerlei Annäherung. Es sind Männer, die hier reden, planen, machen, intrigieren. Mädchen sind Dekoration, meistens besteht ihr Job darin, sich kiffend und kichernd auf Sofas zu lümmeln. „Können wir etwas tun?“, fragen einmal zwei Asiatinnen, als es um die Aufgabenteilung in der neuen Firma geht. „Nein, ihr könnt nichts tun“, antworten die Nerds.

Ausgerechnet hier, mitten in seiner klischeehaften Geschlechterdarstellung, ist der Film plötzlich sehr nahe an der Wirklichkeit. Denn wenn die Nullerjahre eines waren, dann das: die Jahre der Jungs. „Das hier ist unsere Zeit“, schreit der smarte CEO-Flüsterer Parker dem schüchternen Zuckerberg in einer Cocktailbar ins Ohr. Aber ja, es war ihre Zeit. Die Zeit, in der die großen Jungs den kleinen Jungs das Geld in den Arsch geblasen haben für jede halbwegs gut klingende Dotcom-Idee. Und die Zeit, in der die kleinen Jungs mit ihren aufstrebenden Garagenfirmen anfingen, den Kuchen unter sich aufzuteilen. Der Film erzählt das mit allen Mitteln des Mainstreams: theatralisch, symbolisch, musikalisch.

Sascha Lobo erzählt das auch, nur anders. Sein Debütroman „Strohfeuer“ spielt ebenfalls in der Welt der Jungs und des Internets; auch hier ist der Blick aller Beteiligten von Dollarzeichen vernebelt. Die Berliner Werbeagentur, in die Ich-Erzähler Stefan kurz nach der Jahrtausendwende hineinschlittert, besteht aus Angebern und Lügnern; die Internet-Start-ups, die man betreut, zeichnen sich durch ihre ebenso hirnrissigen wie unausgereiften Geschäftsideen aus. Bei Meetings übertrumpfen sich die Geschäftspartner mit albernen Anglizismen, es geht um Schein, um situative Siege. An nachhaltige Umsätze glaubt hier niemand. An hinterhältige Knebelverträge umso mehr.

Lobo, selbst zeitweise Inhaber einer Werbeagentur, beschreibt Aufstieg und Fall seiner Figuren mindestens so fiktionalisiert und überspitzt wie Fincher, nur heißt sein Mittel nicht Pathos, sondern Persiflage. Statt Java-Programmierer engagiert die Agentur arbeitslose Schauspieler, teure Trendscoutstudien schustert Stefan am Küchentisch zusammen, und Geschäftsideen wie „Benzin downloaden“ hält sein Partner Thorsten für durchaus ausbaufähig. Hauptsache, die Firma kann neue Aufträge an Land ziehen, mehr Leute einstellen – und endlich einen anständigen Dienstwagen leasen. Herrlich, die Szene im Autohaus, als die beiden Agenturchefs mit ihren eigenen Mitteln geschlagen werden: Am Ende hat ihnen der Händler statt eines günstigen Jahreswagens drei Neuwagen aufgeschwatzt.

Das alles kann eigentlich nicht lange gut gehen, tut es auch nicht. Film und Roman münden in klassischen Showdowns, es werden Dolche in Herzen gestoßen, Autos an Bäume gesetzt, Freunde zum Abschuss freigeben. Übrig bleiben melancholische Männer, erschöpft von der erbarmungslosen Schlacht namens New Economy. Und weit und breit keine weibliche Brust, die ihnen Trost spendet. Nicht mal eine kleine.

„The Social Network“ kommt am Donnerstag ins Kino, „Strohfeuer“ ist bei Rowohlt Berlin erschienen (18,95 €).

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