Gallery Weekend: Carsten Nicolai: Eine Welt voller Illusionen
Spiegelspiele: Carsten Nicolai zeigt in der Galerie Eigen + Art einen faszinierenden Einblick in seine Gedankenwelt.
Wenn wir die Welt betrachten, steht sie für unser Auge auf dem Kopf. Erst das Gehirn rückt sie wieder zurecht. Aus so einfachen optischen Phänomenen ergeben sich weitreichende philosophische Fragen: Was sehen wir eigentlich? Und ist es die Wirklichkeit? Oder spiegelt uns unser Gehirn nur etwas vor: eine Welt voller Illusionen? Solche Fragen begleiten das Werk des 1965 in Chemnitz geborenen Künstlers Carsten Nicolai.
In der Galerie Eigen + Art zeigt er seine formschöne neue Arbeit „Reflector Distortion“, eine Versuchsanordnung, wie immer bei Nicolai: In minimalistischer Strenge sind auf einer schwarzen Wand Neonröhren angeordnet. Davor steht auf einem Podest eine große, ebenfalls schwarze, parabolisch geformte Schale, die mit Wasser gefüllt ist. Darin spiegeln sich die Neonröhren als weiße Streifen. Nach einiger Zeit beginnt die Schale zu rotieren, immer schneller, bis die Vibration von tiefen Soundfrequenzen aus Lautsprechern ein Zittern auf der Wasseroberfläche erzeugt. Mit jeder Bewegung der Schale verzerrt das Spiegelbild die Wirklichkeit anders. Ein Durchlauf dauert etwa acht Minuten, jedes Mal kann man Spiegelung, Verzerrung und Störung erleben. Eine herrlich meditative Erfahrung, auch dank der strengen Anlage der Rauminstallation und ihrer klaren Schwarz-Weiß-Strukturierung.
Verhältnis von Mensch und Maschine
Die Installation knüpft an frühere Arbeiten von Nicolai an, etwa die Serien „Milch“ oder „Wellenwanne Ifo“. Auch hier befasste sich Nicolai experimentell mit Spiegelungen, Störungen und Interferenzen, mit Fragen zur eigenen Wahrnehmung. Störungen sind für ihn dabei einerseits zufällig auftauchende Fehler, andererseits wichtige Quellen für den kreativen Prozess. Die weißen Streifen der Neonröhren finden ihr Pendant in den geschwungenen schwarzen Streifen der „Scan Distortions“, Papierarbeiten von über dem Scanner verzerrten Zeichnungen mit psychedelischen Mustern und unwillkürlich entstandenen Farbverläufen.
Was Carsten Nicolai bei seinen künstlerischen Versuchsanordnungen inspiriert, zeigt zeitgleich das Eigen + Art Lab unter dem Titel „Ghost in the Machine“. Hier hat der Künstler Objekte, Aufnahmen, Bücher, Texte und Zitate zusammengestellt, die das Verhältnis von Mensch und Maschine austarieren. Wieder spielen naturwissenschaftlich-philosophische Erwägungen eine Rolle: Kann die Maschine den Menschen vollenden oder entwickelt sie ein unheimliches Eigenleben? Taugt sie zum idealisierten Spiegelbild oder offenbart sie nur Verdrängtes im Fremden?
Zu sehen sind Bücher wie Freuds „Das Unbehagen in der Kultur“ oder E.T.A. Hoffmanns Roman „Der Sandmann“, der um einen Automatenmenschen kreist. Auf einem Schachspiel lässt sich jene legendäre Partie nachspielen, in der Garri Kasparow zum ersten Mal einem Computer unterlag. Nam June Paik, der für seine Videokunst die damals neueste Technik einsetzte, darf ebenso wenig fehlen wie ein Verweis auf Picabias Maschinenporträts. Die auf Tischen ausgelegten Objekte dienen der Nutzung, das Ganze ist als Lese- und Medienraum gedacht. Und eine Einladung, in die faszinierende Gedankenwelt von Carsten Nicolai abzutauchen.
Eigen + Art, Auguststr. 26, bis 28.5.
Angela Hohmann
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