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Streicher. Christian Tetzlaff ist einer der vier Musikerinnen und Musiker des Tetzlaff Quartetts.
© Georgia Bertazzi

Tetzlaff Quartett: Eine Epoche verglüht

Mozart, Schubert, Berg - lauter unerhört moderne Werke: das Tetzlaff Quartett spielt im Berliner Kammermusiksaal.

Unfassbar, dieses letzte Streichquartett von Franz Schubert, Nr. 15 G-Dur. Ruinenmusik, Extrem-Emotionen, fast 50 Minuten lang. Unerhört modern sind diese Chiffren des Scheiterns, eigentlich unspielbar mit ihren schroffen Wechseln zwischen dreifachem Piano und dreifachem Forte, den permanenten Tremoli, rasant gewellten Sechzehntel-Figuren und abrupten Zerstörungsakten. So manches Streichquartett bemüht sich deshalb um Entschleunigung und um eine Zäsur zwischen dem zarten Anfangs-Akkord in G-Dur und der unmittelbar folgenden harschen Moll-Eintrübung samt zackig punktierter Schlusswendung. Nicht so das Tetzlaff Quartett im Kammermusiksaal der Berliner Philharmonie, hier gibt es kein Vorher und Nachher, nur Bestürzung, Vergeblichkeit, Chaos.

Auch die Cello-Kantilene gegen Ende der Exposition im Allegro molto moderato klingt sonst eher sportlich – oder prosaisch erleichtert ob der Hoffnung, dass nicht alles verloren sei. Tanja Tetzlaff entlockt ihrem Instrument dagegen eine derart schmerzhafte Schönheit, als singe sie der gesamten Wiener Klassik die Totenmesse. Eine Epoche verglüht, Reminiszenzen blitzen auf, letztes Zucken im Abendrot, voller Wehmut und Wut bis zum Finale mit den unaufhörlichen Achtelfiguren. Und nein, man möchte nicht, dass der zarte Zwiegesang zwischen Christian Tetzlaffs Geige und dem Cello im Andante von lauten Mittelstimmen gestört wird. Aber es steht so in den Noten, das Quartett beschönigt es nicht. Damals, um 1826, entstanden auch Beethovens späte Quartette.

Das Ensemble tritt seit 1994 gemeinsam auf

Das Streicher-Ensemble mit den namensgebenden Tetzlaff-Geschwistern, Elisabeth Kufferath (zweite Geige) und Hanna Weinmeister (Bratsche) tritt seit 1994 in der Ursprungsformation auf. Alle Mitglieder sind auch solistisch und als Dozenten tätig, weshalb das Quartett bislang lediglich zwei CDs eingespielt hat (mit Werken von Sibelius, Schönberg, Mendelssohn und Alban Bergs „Lyrischer Suite“), und nicht unentwegt konzertiert. Rühren daher die Intonationsschwächen bei Mozarts Es-Dur-Streichquartett KV 428 zu Beginn? Die Unsauberkeiten verflüchtigen sich allerdings bald, zugunsten eines kollektiven Temperaments, das bei allem Bemühen um breites Legato und orchestral üppigen Klang eine Grundnervosität an den Tag legt, eine kreative Unruhe, die jeder Repertoire-Routine misstraut. Auch wenn Mozart vor lauter Akzenten und Nachdruck etwas Gezwungenes anhaftet: Der Kontrast zwischen fahl ins Leere tröpfelnden Passagen und theatraler Pose weist auf Alban Berg voraus, dessen zweisätziges, unaufhörlich sein Material variierendes und überformendes Quartett op. 3 von 1923 im Anschluss erklingt.

Ein Blick zurück nach vorn: Bergs Gemütsschwankungen (die auf die anfangs verwehrte Liebe zu seiner Frau Helene zurückgeführt werden) fallen ähnlich extrem aus wie die in Schuberts Quartett nach der Pause. Auch Bergs Flageoletts und Pizzicati entrücken den Klang, hier wandeln Astralleiber unter Gewitterfronten. Letzte Töne schwingen nach, tasten nach Halt: Musik über dem Abgrund, mit verbundenen Augen.

Christiane Peitz

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