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„Ulysses“ als Comic: Ein Tag im Leben des Leopold Wurmb

Mit seiner „Ulysses“-Adaption erweist sich der Zeichner Nicolas Mahler ein weiteres Mal als großartiger Interpretationskünstler.

Wer James Joyces Jahrhundertroman „Ulysses“ aufmerksam gelesen, gar verinnerlicht hat, kennt natürlich die Lieblingsspeisen von dessen Helden Leopold Bloom, nämlich Innereien: gespickte Bratherzen, panierte kross geröstete Leberschnitten, gegrillte Hammelnieren und dergleichen mehr. Dass Joyces Anzeigenakquisiteur auch gern mal einen trinkt an diesem 16. Juni im Dublin des Jahres 1904, versteht sich.

Ein praktisch unmögliches Unterfangen

Wer nun Nicolas Mahlers „Ulysses“-Adaption studiert, erlebt hier primär einen durstigen Mann. Der steuert zunächst die „Insel des schrecklichen Durstes“ an, wird später trotz Hungers von den schrecklichen Enddarmgerüchen schrecklicher Männer aus einem schrecklichen Lokal vertrieben, begibt sich in das nächste, trinkt hier zuerst ein Achtel Roten (und isst danach immerhin ein Käsebrot), um sich schließlich in einer Bar namens „Artillerie-Feuer“ einen Sliwowitz zu genehmigen, der, wie bei dem nachfolgenden Gelärme mit anderen Barbesuchern anzunehmen ist, nicht der einzige bleibt.

Dünne Körper, dickwurstige Nasen: Eine Seite aus Nicolas Mahlers „Ulysses“-Adaption.
Dünne Körper, dickwurstige Nasen: Eine Seite aus Nicolas Mahlers „Ulysses“-Adaption.
© Suhrkamp

Der 1969 geborene Wiener Comiczeichner und Illustrator Nicolas Mahler hat sich sehr freizügig beim Original bedient, noch freizügiger, macht es den Eindruck, als etwa bei anderen seiner Literaturadaptionen wie Thomas Bernhards „Alte Meister“ oder Prousts „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“. Was sowieso kein Wunder ist: Joyces Roman einfach mal schnell und leicht (oder auch: langsam und mit viel Verstand) in eine Graphic Novel zu übersetzen, stellt ein praktisch unmögliches Unterfangen dar.

„Täglich frisches Geselchtes“

Beim Film oder im Fernsehen würde bei einer Coverversion wie dieser im Abspann „nach einer Idee von“ stehen, so wie Mahler seinen „Ulysses“ nicht nur zeichnet mit seinen für ihn typischen Figuren (dünne Körper, dickwurstige lange Nasen), sondern ihn auch erzählt. Also: Sein Leopold heißt nicht Bloom, sondern Wurmb mit Nachnamen, lebt in Wien und nicht in Dublin, immerhin im selben Jahr, 1904. Und ist ebenfalls Anzeigenakquisiteur, bei einer Wiener Zeitung, dem „Neuigkeits-Welt-Blatt“, das mit einer Gratisbeilage über den „klassischen Humor der Weltliteratur“ am Kiosk liegt.

Achten Sie auf das Kleingedruckte. Eine weitere Szene aus „Ulysses“.
Achten Sie auf das Kleingedruckte. Eine weitere Szene aus „Ulysses“.
© Suhrkamp

So sitzt Leopold Wurmb in einem der sieben Kapitel bei Mahler (die nach den Ulysses-Buchstaben angeordnet sind und sich farblich unterscheiden) und bringt die Kleinanzeigen in eine rechte Zeitungsseitenordnung; Kleinanzeigen, die Mahler diversen Wiener Blättern des Jahres 1904 original oder als Bildversatzstück entnommen hat, zum Beispiel dem „Boten aus dem Waldviertel“ oder dem „Novitätenanzeiger für den Kolportage-Buchhandel nebst Mitteilungen für Buchhändler“.

In Wurmbs Blatt wird Wiener Salami beworben, werden Brathühner, „täglich frisches Geselchtes“ oder „Baltimore-Zähne“ angepriesen, dort bietet ein „Darmfachmann“ seine Dienste an oder verspricht die Wasserheilanstalt Frankenstein, Rumburg, in Nordböhmen Linderung bei manchen Nöten.

Hommage an Krazy Kat & Co.

Mahlers Joyce-Adaption liest sich hier wie eine Hommage an das Kleinanzeigengeschäft, dem die Digitalisierung schon lange den Garaus gemacht hat. Sie ist aber genauso eine Hommage an die große Zeit des amerikanischen Zeitungscomics der 20er Jahre. Bei Mahler treten als Nebenfiguren, so vermerkt es der Zeichner im Abspann, diverse Comichelden jener Zeit auf, zum Beispiel Krazy Kat oder Olive Oyl.

Das sind natürlich gerade im letzteren Fall primär Feinheiten für Fachleute und Auskennerinnen, Zitat-Pop, wenn man so will. Das geht aber schwer in Ordnung, so unbeirrt wie Mahler seinen eigenen Joyce-Bloom-Weg geht.

Das Titelbild des besprochenen Buches.
Das Titelbild des besprochenen Buches.
© Suhrkamp

„Ganz neu entdecken“ könne man den „Ulysses“ nun, jubelt der Suhrkamp Verlag hinten auf dem Buch. Doch lässt sich hier vielmehr die großartige Zeichen-, Illustrations- und Interpretationskunst von Nicolas Mahler entdecken.

Am Ende, genau, so viel Nähe zum Original darf es schon sein, hat auch Molly Bloom ihren Auftritt, ganz in Lila, ohne dass Mahler sich eine Vorstellung von ihr macht. Molly liegt unsichtbar im Bett, monologisiert vor sich hin und schimpft über ihren Mann: „Was findet er nur dran die ganze Nacht Geld versaufen und betrunken und betrunkener werden soll Wasser trinken zur Abwechslung.“

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