Ballerina Polina Semionova wieder in Berlin: Ein Schwan im Kükenstall
Starballerina Polina Semionova lehrt neuerdings als Professorin an der Staatlichen Ballettschule. Ein Unterrichtsbesuch.
Elf Mädchen in schwarzen Trikots und weißen Strumpfhosen stehen an der Stange. Gleich werden die Schülerinnen der Staatlichen Ballettschule Berlin mit ihren Übungen beginnen: Pliés, Tendues und Jetés. Jeden Tag dieselben Übungen. Doch diese Trainingsstunde ist alles andere als Routine. Es ist eine der ersten Klassen, die Polina Semionova im Prenzlauer Berg unterrichtet. Die 29-jährige Starballerina ist Mitte November zur Honorarprofessorin der Staatlichen Ballettschule Berlin berufen worden. Damit ist der Schule ein echter Coup gelungen. Denn Semionova ist wohl die jüngste, auf jeden Fall aber die berühmteste Professorin, die je an der Schule unterrichtet hat. Für ihre Elevinnen, die zwischen 16 und 18 Jahren alt sind, ist sie ein großes Idol, dem sie nacheifern wollen. Aber auch die jüngeren sind herbeigeströmt, um dem Training zuzuschauen und sogar die Jungs.
Mit leiser Stimme gibt sie ihre deutschen Anweisungen. Sie korrigiert bei der einen Elevin die Position der Füße, bei der anderen die Haltung der Schultern. Sie bittet die Schülerinnen, kurz die Augen zu schließen, wenn sie auf Zehenspitzen stehen, um die Balance zu fühlen. Oder sich auf das Brustbein zu konzentrieren. Sie sollen sich vorstellen, dass es wie ein Stern in alle Richtungen strahle. Die 18-jährige Benedetta folgt gebannt jeder Bewegung der neuen Professorin. „Ihr Unterricht ist sehr tänzerisch“, sagt sie.
Semionova strahlt selbst in Trainingsklamotten eine überirdische Anmut aus. Wie ein Schwan in einem Kükenstall wirkt sie, wenn sie eine Arabesque zeigt. Sie steht hier als Künstlerin, die um die magische Verwandlung weiß: wann aus einer Bewegung Tanz wird.
Zehn Jahre war sie der unangefochtene Star des Staatsballetts Berlin, bis sie die Compagnie 2012 nach einem Zerwürfnis mit Vladimir Malakhov verließ. Derzeit ist sie Principal Dancer beim American Ballett Theater in New York, tritt aber auch als Gast in St. Petersburg, Mailand, München und Tokio auf. Semionova befindet sich im Zenit ihrer Karriere – umso überraschender ist es, dass sie das Angebot aus Berlin angenommen hat. Lange umworben werden musste sie nicht. Gregor Seyffert (der künstlerische Leiter der Fachrichtung Bühnentanz) und Schulleiter Ralf Stabel haben sie einfach gefragt. „Ich mag Kinder“, erzählt Polina Semionova in der Pause zwischen zwei Unterrichtseinheiten. Gleich beginnt die Repertoire-Klasse, in der sie mit den Mädchen schon mal Stücke einstudiert, die sie selbst getanzt hat. „Da kann ich ihnen vielleicht das eine oder andere Geheimnis verraten“, sagt sie lächelnd.
Ihr Unterricht ist anspruchsvoll: Nach den Aufwärmübungen an der Stange folgen komplizierte Kombinationen in der Mitte. Sie skizziert kurz, die Schülerinnen müssen rasch begreifen, was verlangt wird und kommen ganz schön ins Schwitzen. „Das Unterrichten macht nicht nur Spaß, es bringt mir auch was“, betont sie. „Denn ich analysiere meine Kombinationen und meine Korrekturen und überlege, wie kann ich es besser vermitteln, wie kann ich den Schülern helfen. Das macht meinen Kopf klar.“
Polina Semionova ist keine Einpeitscherin. Ballettpädagogen können wahre Schinder sein, viele Tänzer können ein Lied davon singen. Der Drill in einem Ballettsaal ist oft gnadenlos. Semionova aber verkörpert einen neuen Stil. Sie will es anders machen als ihre eigenen Lehrer. Denn an ihre eigenen Schuljahre denkt sie mit gemischten Gefühlen zurück.
Mit acht Jahren wurde sie an der Bolschoi-Ballettschule in Moskau aufgenommen, die als harte Kaderschmiede gilt. Der schüchternen Polina trauten die Lehrer anfangs wenig zu, also trainierte sie umso härter. Wenn die anderen Schüler nach den regulären Klassen ins Kino gingen, stand sie allein vor dem Spiegel im Ballettsaal, um an sich zu arbeiten – bis zur völligen Erschöpfung.
Semionova, diskret wie immer, deutet nur an, dass sie unter einigen der Bolschoi-Pädagogen sehr gelitten hat. „In den mittleren Jahren war ich nicht so einverstanden mit vielen Sachen.“ Sie kann sich gut hineinfühlen in ihre Schülerinnen. „Schule ist eine schwierige Zeit“, meint sie nachdenklich. Und drückt es dann sehr drastisch aus: „Weil dein Körper gebrochen wird.“ Wie verletzlich die Seele der Mädchen ist – auch das weiß Semionova. „Ich versuche, es als Lehrerin besser zu machen. Ich korrigiere, aber ohne Druck. Man kann alles sagen, es kommt nur darauf an, wie.“ Die letzten Jahre der Ausbildung seien die wichtigsten, erzählt sie, „und da hatte ich Glück“. Ganz ohne Konflikte ging es freilich nicht ab. Die 85-jährige Institutsleiterin Sophia Golovkina wählte sie zwar für ihre Abschlussklasse. Aber erst der frühere Bolschoi-Star Yuri Vasyuchenko glaubte an die kleine Polina. 2001 bereitete er sie auf den Internationalen Moskauer Ballettwettbewerb vor – gegen das ausdrückliche Verbot von Golovkina.
Schönheit im Ballett ist mit Schmerzen erkauft, das hat sie selbst am eigenen Leib erfahren. Doch heute stellt sie die Blut-Schweiß-und-Tränen-Doktrin infrage: „Zu denken, es ginge nur mit Schmerz, ist nicht richtig. Man darf die Liebe zum Ballett nicht verlieren. Dann schafft man alles.“
Polina Semionova predigt nicht eiserne Disziplin, sie lehrt ihre Schülerinnen etwas Wichtigeres: die Hingabe an den Tanz. Als Vorbild begreift sie sich nicht. Sie sieht sich eher als Freundin, die die Mädchen unterstützt und ihnen hilft. „Es gibt kein Wunder“, sagt sie resümierend, „es gibt Arbeit, Wünsche und Liebe, damit kann man viel erreichen.“
Ihr Stern leuchtet noch heller, seit sie das Staatsballett verlassen hat, sie aber gibt sich bescheiden: „Ich habe keine Zeit, darüber nachzudenken, ob ich einen Karrieresprung gemacht habe. Wichtiger ist, dass ich viele neue Ballette getanzt habe.“ Auch wenn jetzt ihre Rückkehr gefeiert wurde: Richtig weg war sie nie. Ihr Mann Mehmet Yümak ist Ensemble-Tänzer beim Staatsballett. Semionova, die auch ein Apartment in New York hat, kehrt der Liebe wegen alle drei Monate für ein paar Wochen nach Berlin zurück. Auch die Liebe zwischen der Ballerina und dem Berliner Publikum könnte bald wieder aufflammen. Sie deutet an: Wenn Nacho Duato im Sommer die Leitung des Staatsballetts übernimmt, wird sie wieder hier auftreten – als Gaststar. Unterschrieben ist zwar noch nichts – doch die Ballettenthusiasten sind schon jetzt aus dem Häuschen.
Sandra Luzina
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